Warum deckelt die EZB den Leitzins nicht bei <1%?

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Man stelle sich einen Kutscher vor, der sein wildgewordenes, viel zu schnelles Pferd bremsen will. Er braucht eine wirkungsvolle Möglichkeit: Zügel. Wenn er die Zügel jedoch nicht mehr anziehen kann, rennt das Pferd immer weiter und bricht irgendwann vor Erschöpfung komplett zusammen. Man stürzt wie Ikarus brennend gen Boden.

In einem wirtschaftlichen Boomzyklus wären diese Zügel die Erhöhung des Leitzinses.

Konsequenz, wenn man die Zügel über eine Leitzinsobergrenze abschafft:

Jeder würde im Wachstumsschwindel auf den Zug aufspringen, billige Kredite aufnehmen und überinvestieren, selbst wenn die Grenzproduktivität bereits trotz Vollbeschäftigung stark abnimmt. Die Inflation würde dadurch immer weiter angeheizt.

Die Notenbank hätte kein praktikables Instrument mehr, um die Inflation zu dämpfen. Es ginge nur noch fiskalpolitisch (Steuern rauf, eher unpraktikabel weil viele zielgerichtete Informationen notwendig sind) oder über Dreiecksgeschäfte wie Quantitative Tightening (QT), wie es zuletzt nach der Geldmengenerhöhung in der Coronazeit praktiziert wurde. Wobei das irgendwann auch nicht mehr geht, wenn die Realzinsen (inflationsbereinigt!) negativ sind.

Sowohl in Boomzyklen als auch in nicht-inflationären Phasen und Bustzyklen kommt es zu 1) Zombieunternehmen und 2) Vermögensblasen.

1) Zombieunternehmen

Geld kann billig durch normalerweise nicht-überlebensfähige Unternehmen beschafft werden. Wenn diese Firmen irgendwann zahlungsunfähig werden und ihre Tilgungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen können, entzieht sich dieses Geld der Kontrolle der Notenbank. Es entsteht eine Überflutung des Systems mit unproduktiver Liquidität, da das Geld nicht durch produktives Kapital gedeckt ist.

2) Vermögensblasen

Banken geben ihr nicht lukratives Zinsmargengeschäft auf und konzentrieren sich auf Assets wie Immobilien. Ebenso folgen Anleger diesem Trend. Die Folge sind Spekulationsblasen, die durch übermäßige Investitionen in diese Märkte entstehen. Wenn diese Blasen irgendwann platzen, führt das nicht nur zu massiven Vermögensverlusten, sondern auch zu Refinanzierungsproblemen, da plötzlich die Werthaltigkeit der zugrunde liegenden Sicherheiten fehlt. Dies kann die Gesamtwirtschaft in eine tiefe Krise stürzen.

Keine gute Idee...

Der Zins (vereinfacht der "Preis für Geld") ist ein komplexes Thema und vielleicht das streitbarste in der Wirtschaftswissenschaft. Eine Deckelung des Zines in einem sehr niedrigen Bereich ist sowohl aus Sicht klassischer, linker Ökonomen (keynesianische Liquiditätspräferenz) als auch aus Sicht libertärer Denkschulen (Urzins/Zeitpräferenz) dauerhaft nicht wünschenswert. Es würde die Stabilität eines Fiatgeldsystems massiv gefährden.

Insofern: Aus "altliberaler" Sicht ist eine solche Zinsdeckelung der Teufel :)

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ökonom (Dr.) + Informatiker (Master) + >10J Berufserfahrung

Weil das die Inflation ins unendliche treiben würde.

Das wäre natürlich die Lösung für verschuldete Staaten. Allerdings würden dei Länder dann keine neuen Schulden aufnehmen können. Oder würdest du einem Staat bei z. B. 10 % Inflation für 1 % Geld leihen? Alle anderen auch nicht.

Es geht ganz einfach nicht.

Ein bisschen an die wirtschaftlichen Realität muss sich eben auch die EZB ausrichten.