"Von Beileidsbezeigungen am Grabe bitten wir, Abstand zu nehmen."
Sehr oft liest man in Traueranzeigen diesen Satz.
Es ist psychologisch längst nachgewiesen, daß Anteilnahme sehr viel zur Trauerbewältigung beiträgt. Ganz nach dem Motto: "Geteiltes Leid ist halbes Leid". Da möchte man doch eigentlich meinen, jeder Trauernde ist sehr interessiert daran, wenn seine nächsten Angehörigen und überhaupt sein näheres Umfeld mit ihm fühlen und ihm ihre Anteilnahme aussprechen.
Warum also verzichten so viele Hinterbliebene auf diese Möglichkeit? Und das ist gewiß kein Einzelfall, der Satz "Von Beileidsbezeigungen am Grabe bitten wir, Abstand zu nehmen." steht fast in jeder dritten, vierten Traueranzeige.
9 Antworten
Familie und Freunde haben sowohl vor als auch nach der Beerdigung die Möglichkeit mitzufühlen, und das ist auch ganz wichtig, wie du richtig sagst.
Meistens ist mit solchen Aussagen gemeint, daß die Angehörigen in dieser schwierigen Stunde nicht ewig lang Händeschütteln und sich immer wieder die gleiche Sprüche anhören möchten ( zu denen wir leider neigen ).
Vllt. weil sie nicht möchten dass es anderen wegen ihnen "schlecht" geht, und dass sie traurig sind, man sollte sich vllt. eher gemeinsam über die schönen Zeiten unterhalten, aber du hast schon recht, rein psychologisch ist es nicht wirklich sinnvoll.^^
viele können aber in diesem Moment eben dieses nicht ertragen..
bei der Beerdigung meines Sohnes wollte ich auch nicht angefasst, in den Arm genommen oder angesprochen werden...ich hatte mit mir zu tun und hätte Kontakt nicht ertragen........
wir haben viele Karten und Briefe bekommen, und das hilft wirklich, auch die Leute, die angerufen haben hinterher und Hilfe angeboten haben..............
in meiner Arbeit sehe ich es auch täglich, das viele Menschen nach der verabschiedung am Grab gleich beiseite gehen und nicht angesprochen werden wollen...
Geteiltes Leid ist doppeltes Leid. Denn es leidet nicht nur die vom Leid betroffene Person, sondern auch Personen, die damit eigentlich nichts zu tun haben.
Auch der Satz: "Ich kann nachempfinden, wie du dich fühlst", ist oft nur so dahin gesagt. Man kann nur nachempfinden, was man selbst schon erlebt hat. Und eine Gesellschaft, die aus Floskeln und leeren Worthülsen besteht, gibt es eben Leute, die das nicht haben wollen und lieber im eigenen Kreis - im Kreis der davon Betroffenen - mit der Situation umgehen wollen. Ein klares Statement, dass es zu respektieren gilt.
Außerdem: lass die Toten ihre Toten begraben.
Als meine Mutter vor mehr als 20 Jahren gestorben ist, war es für mich so, dass es einfach nur noch Salz in die eh schon schmerzende Wunde gestreut hätte, wenn jeder auch noch verbal drauf herumgeritten wäre und das eh schon Offensichtliche nochmal extra angesprochen hätte.
Nicht jeder will sein Leid teilen, viele machen es auch lieber mit sich selbst aus (u.U. auch nur anfangs, bevor sie dann bereit sind, darüber mit anderen zu sprechen). Mag ja sein, dass es "psychologisch nachgewiesen" ist, dass im Allgemeinen Menschen Anteilnahme in solchen Fällen schätzen, aber das kann niemals für jedes Individuum gelten.
Es gibt sehr viele Gründe, welche es für die trauernde Person extrem unangenehm machen können, das in so einem Moment noch mal extra unter die Nase gerieben zu bekommen, bzw. auch der gefühlte Druck, darauf eine angebrachte Reaktion zeigen zu müssen, eine Rolle spielen zu müssen, korrekt funktionieren zu müssen obwohl man vielleicht innerlich gerade zerbricht und man eh schon das Gefühl hat, am "Pranger" zu stehen weil einen jeder mitleidig anschaut, was für introvertierte Menschen, die nicht gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, auch so schon der Horror sein kann.
Was für Faktoren da mitspielen: die persönliche Vorgeschichte und eventuelle psychologischen Traumata der betreffenden Person, Introvertiertheit, Schüchternheit, soziale Phobien, Neurosen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Autismus, uvm.
Fast jeder trägt im Laufe seines Lebens irgendwann einen kleinen "Dachschaden" davon und kann nicht mit allen in einen Topf geworfen werden (...ich selbst würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass der Charakter/Persönlichkeit eines Menschen im Endeffekt die Summe seiner angesammelten Dachschäden ist). Es gibt da also keine Allgemeinlösung für jeden - da man sich aber natürlich auch nicht erwarten kann, dass jeder weiß, wie man in der Hinsicht drauf ist oder Gedanken lesen kann, wird es eben ausdrücklich erwähnt für die Fälle, in denen das Übliche eben nicht erwünscht ist.