Ursachen der kambrischen Explosion?

5 Antworten

Da gibt es eine Menge Ansätze. Einige besagen, dass sich zu Beginn des Kambriums die Lebensbedingungen für vielzellige Tiere drastisch verbessert haben. Einerseits ging während Ende des Präkambriums eine Folge von Eiszeiten zu Ende, andererseits lässt sich in diesem Zeitraum auch ein Anstieg des Sauerstoffgehaltes in der Atmosphäre und der Sauerstoffsättigung im Meer nachweisen.

Besonders spannend finde ich die These, dass die regulativen Hox-Gene im Vorfeld der kambrischen Explosion entstanden sind und durch Abweichungen in der Individualentwicklung die Entstehung von zahlreichen unterschiedlichen Körperbauplänen ermöglichten, die für verschiedene Tierstämme typisch sind und im Kambrium erstmals auftreten.

Bis zu einem gewissen Grad lässt sich die kambrische Explosion auch so verstehen, dass nicht die Vielfalt der Arten und Tierstämme zugenommen hat, sondern nur die Anzahl der überlieferten Fossilien. Aus China sind zahlreiche Mikrofossilien aus dem Zeitraum von 630-550 Millionen Jahren überliefert, die darauf hindeuten, dass sich ein Großteil der frühen tierischen Evolution im mikroskopischen Bereich abgespielt hat und daher sehr schwer zu verfolgen war, bevor im Kambrium vermehrt makroskopische Lebewesen auftraten.

Ein weiteres Erklärungsmodell lautet, dass zu Beginn des Kambriums erstmals Jäger auftraten, was einen enormen Selektionsdruck auf die übrige Fauna für Skelette, Schalen und Panzer bewirkte. Dafür spricht, dass es in der präkambrischen Ediacara-Fauna (580-540 Millionen Jahre alt) keine Hinweise auf räuberische Aktivität gibt, weder Bissverletzungen noch Jagd- und Verteidigungsvorrichtungen. Die vermehrte Anzahl von hartschaligen Organismen im Kambrium bedeuteten auch mehr Fossilien, was die schlagartige Zunahme der überlieferten Tierstämme erklären könnte.

vereinfacht gesagt: Mutation. Nach über 3 Milliarden Jahren Einzellern kann sowas ja mal vorkommen, dass eine unter vielen solcher Mutationen länger besteht und sich ausbreitet/vervielfältigt

In der Biologie im Allogemeinen und in der Evolutionsbiologie im Besonderen hat sich mittlerweile die Theorie Dissipativer Strukturen, für die Ilya Prigogine 1977 den Nobelpreis erhielt, durchgesetzt. Demnach stellt die Evolution eine dissipative Struktur dar. Im Prinzipo beschreibt die TDS die Pysik des Lebens.

Ein ganz kurzer Abriss über das Verhalten dissipativer Strukturen:

Die Theorie Dissipativer Strukturen (TDS) sagt über dissipative Strukturen aus, dass die Entropieproduktion das entscheidende Kriterium ist, das über das Verhalten der dissipativen Struktur Auskunft gibt.

Gehen wir von einem System nahe des Fließgleichgewichtes aus. Dieses System gehorcht dem Prinzip der minimalen Entropieproduktion. Das System strebt dem Zustand zu, das dem Optimum der Ressourcenausnutzung entspricht. Wird dieses System durch mäßige Energiezufuhr aus dem Fließgleichgewicht gebracht, zeigt es erhebliche Stabilitäten, indem zwar ein neues Fließgleichgewicht angestrebt wird,, jedoch noch keine neuen Ordnunsgstrukturen geschaffen werden. Fällt die Störung weg, tritt das Phänomen der Resilienz auf, wodurch das System wieder zum alten Fließgleichgewicht zurückkehrt. Diesen Zustand hatten wir vor der kambrischen Explosion. Die Erde war ein Schneeball und das Ökosystem hatte sich darauf eingestellt.

Erst wenn der zusätzliche Energieeintrag ein kritisches Maß überschreitet, kippt das System ins Prinzip der maximalen Entropieproduktion. Dann spielt der Wirkungsgrad keine Rolle mehr sondern dann geht es darum, die Entropieproduktion bzw. die Dissipation von Exergie zu maximieren. In solch einer Phase entstehen neue Ordnungsstrukturen, es treten Emergenzen auf.
Dieser Zustand trat auf, als die Erde sich erwärmte, die Eisdecke schmolz und nun das bisherige Ökosystem einen so hohen Energieeintrag erfuhr, dass es völlig ins Chaos gekippt wurde. Aus diesem Chaos konnten dann die neuen Ordnungsstrukturen in Form des evolutionären Fortschrittes entstehen. Die Geschwindigkeit der Entwicklung hängt dabei von der Differenz des Energieeintrages zwischen dem vorherigen stabilen System und dem neuen Energieeintrag statt. Da diese Differenz bezogen auf die Erdgeschichte zwischen dem Schneeball und der erwärmten Erde so groß war, wie nie zuvor oder danach, gab es in dieser Zeit auch die schnellsten evolutionären Fortschritte.

Sobald die Emergenzen aufgetreten sind, kehrt das System zum Prinzip der minimalen Entropieproduktion zurück, indem es innerhalb der neuen Ordnungsstruktur zu einem neuen Fließgleichgewicht strebt. Das neu entstandene Ökosystem mit all den neuen Arten versucht, sich zu stabilisieren. Das wäre das Kambrium nach der evolutionären Explosion.


mineralixx  30.08.2016, 18:07

Direkt vor der "Kambrischen Explosion" war die Erde kein "Schneeball"! Das beweisen viele meeresbewohnende Tiergruppen in Präkambrium, Vorfahren der späteren. Ein Problem ist z.B., dass es nur an wenigen Orten der Erde heute noch marine Sedimentgesteine dieser Epoche gibt, diese liegen meist auch noch in erst spät erforschten Regionen.

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Hamburger02  30.08.2016, 19:03
@mineralixx

Werde jetzt nicht das ganze Kambrium aufrollen, dazu habe ich einen schönen Artikel gefunden:
http://www.geo.tu-freiberg.de/~elicki/Kambrium-BIUZ.pdf

Gehe aber gerne auf die Fragen ein, die in dem Artikel nicht angesprochen werden bzw. zu meinen Aussagen passen. Dass Evolution in der zeitgenössischen Wissenschaft als Dissipative Struktur aufgefasst wird, lässt sich leicht auf google mit "evolution dissipative Struktur" überprüfen.

Ob die Erde bis vor etwa 600 Jahren ein Schneeball war, ist nicht eindeutig, wenngleich neuere Forschungen eher dafür sprechen. Das spielt hier aber keine Rolle. Worüber sich die Wissenschaftler aber zumindest einig sind, ist:
"Wenngleich die Vorstellungen bezüglich des betrachteten Zeitrahmens, des Umfangs oder der Wahl der Bezeichnung der „Kambrischen Explosion“ auch unterschiedlich sein
mögen, sind sich die meisten Paläontologen einig, dass ein vehementer Ereigniskomplex zu Beginn des Kambriums die Biosphäre unseres Planeten nachhaltig veränderte."

(ebda, S. 8)

Da wäre das erste Problem, der Zeitraum und "Explosion". Die angegebenen Zeiträume sind ganz beliebig gezogene Grenzen ohne jeglicher physikalischen oder biologischen Bedeutung. Wenn wir uns die Entwicklung in einer Kurve anschauen, wird das ganze deutlicher (ebda, S. 2). Wenn man von unten kommt (570 Mio), ergibt sich folgender Verlauf: die Anzahl der Arten entwickelt sich zunächst sehr langsam, nimmt dann aber in einer hyperbolischen Form schnell zu. Dann schwingt die Kurve in die Sättigung über, um über mehrere Schwingungen einem stabilen Zustand zuzustreben.

Genau dieser Entwicklungsverlauf entspricht dem Verhalten dissipativer Strukturen.

Hyperbolischer Anstieg:
Der kommt durch zwei Effekte zustande. Zum einen erfolgen Klimaänderungen nicht schlagartig sondern können sich über viele Millionen Jahre hinziehen. Im Laufe der Zeit wird also die Energiedifferenz zwischen der Eiszeit und dem Kambrium (immer incl. Präkambrium) immer weiter zu, wodurch dem vorhandenen Ökosystem mehr Energie zur Verfügung steht, was dessen Entwicklung beschleunigt.
Zum anderen ist ein Charakteristika dissipativer Strukturen, die Selbstverstärkung. Diese Selbstverstärkung, die durch Rückkoppelungen entsteht, hat typischerweise einen hyperbolischen Verlauf. Es tritt das Prinzip der maximalen Entropieproduktion in Kraft. Hier kommt es nur darauf an, irgendwie die vorhandenen Energieressourcen so stark wie möglich auszubeuten.

Überschwingen:
Typisch für komplexe Systeme, die in der Regel dissipative Strrukturen enthalten, ist eine Entwicklung in Schwingungen. Sobald die Rückkoppelung das System in die Sättigung getrieben hat, schlägt das Verhalten des Systems zum Prinzip der minimalen Entropieproduktion um.

Unterschwingen/Stabilisieren.
Dann versucht das System, die vorhandenen Ressourcen optimal ausnutzen und mit der verbrauchten Energie das Maximum an Strukur zu erzeugen. Dies erkennt man an dem typischen Schwingen eines Regelkreises, der von einer niedrigen Basis auf ein deutlich höheres Niveau eingeregelt werden soll. Dann ist die Zeit revolutionärer Entwicklungen vorbei. Stattdessen wird die vorhandenen Struktur auf die jeweilige Umwelt optiniert, wodurch neue Arten, aber nicht unbedingt neue Gattungen entstehen.

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mineralixx  01.09.2016, 13:55
@Hamburger02

Die Grenzen zwischen den einzelnen Erdzeitaltern (stratigraph. Grenzen) sind keinesfalls willkürlich gezogen, wie hier behauptet - sondern am ersten Auftreten bzw. Aussterben von Arten orientiert. Und die "kybernetische Sichtweise", die du hier ausbreitest, trifft so auf Systeme mit vielen Arten und in ganz unterschiedlichen ökologischen Systemen nicht zu. So hat das Aussterben z.B. der Graphtolithen oder auch der Trilobiten nichts mit Entropie zu tun.

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Hamburger02  01.09.2016, 14:31
@mineralixx

Und die "kybernetische Sichtweise", die du hier ausbreitest, trifft so auf Systeme mit vielen Arten und in ganz unterschiedlichen ökologischen Systemen nicht zu.

Nun hatte ich das Glück, Anfang Juni auf einer Kreuzfahrt einen der führenden Ökosystemforscher Deutschlands zu treffen und mich mit ihm ausgiebig zu unterhalten. Er hat mir bestätigt, dass in seinem Bereich die Theorie Dissipativer Strukturen von Ilya Prigogine, auf der auch meine Argumentation beruht, inzwischen in der Ökosystemforschung state of the art sei und ihr obendrein die entscheidenden Impulse zu einer systemischen Neubetrachtung geliefert habe. Eine Meinung direkt aus der aktuellen Forschung von einem anerkannten Professor werte ich nun leider höher, als deine.

Verrate mir dioch mal spasseshalber, nach welchem Kriterium z.B. diue Grenze zwischen Präkambrium und Untermabrium gezogen wurde und wie das in eine systemische Betrachtungsweise passt.

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mineralixx  03.09.2016, 13:17
@Hamburger02

Diese Grenzziehung hat eine Kommission der IGA vorgenommen, orientiert an "Leitfossilien". Die aktuelle Ökosystemforschung, die ich durch mein Studium auch (ansatzweise) auch kenne, hat aber in der Stratigraphie (noch?) keinen Einzug gehalten.

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Rowal  27.08.2016, 18:34

Was du nicht alles weisst. Weißt du auch warum alle Stämme bereits im Kambrium erschienen sind mit Ausnahme der Moostierchen, wobei man diese doch am ehesten bereits im Kambrium erwartet hätte? Es gab sogar einen Stamm, Archaecyathida, der später wieder ausgestorben ist.

Im übrigen muss deine "Theorie" - es ist wohl mehr eine Meinung - falsch sein, mag sie auch noch so gelehrt daherkommen. Denn die biologische "Entropieproduktion" trat bereits vor der kambrischen Radiation auf, nämlich vor 543 Millionen Jahren, wennn man das Verhältnis von Kohlenstoff-13 zu Kohlenstoff-12 Isotopen als Maßstab nimmt. Das dient sogar dazu, den Beginn des Kambriums zu datieren. Die kambrische Radiation fand aber in der Zeitspanne von 525 - 515 Millionen Jahre statt. Wenn deine "Theorie" stimmen würde, hätte die Radiation ca. vor 550 - 540 Millionen Jahre stattfinden müssen.

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realsausi2  27.08.2016, 16:40

Sehr schön. Nur fürchte ich, dass Du den Fragesteller etwas überforderst ;))

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Es gibt viele Sedimente und Gesteine aus dieser Zeit. Die Ausbildung von Skeletten erzeugte Fossilien. Also war die kambrische Explosion auch eine Explosion der Indizien.