Unterschied Enantiomere und Diastereomere?

1 Antwort

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich gebe Dir rote und blaue Handschuhpaare, und Du klebst jeweils zwei mit ver­schiedener Farbe so zusammen, daß die Handinnenflächen aneinander liegen (jeder Handschuh steht dabei für ein Stereozentrum, und die Farben stehen dafür, daß die Sterozentren chemisch verschieden sind). Dabei hast Du vier Möglichkeiten:

  1. rot links + blau links
  2. rot rechts + blau rechts
  3. rot links + blau rechts
  4. rot rechts + blau links

Diese Konfigurationen bilden jeweils zwei Enantiomerenpaare, nämlich 1/2 und 3/4. Das sollte klar sein, denn Durch Spieglung machst Du ja aus einem rechten Hand­schuh einen linken und umgekehrt, also müssen 1/2 zueinander im Verhältnis von Spiegelbildern stehen und 3/4 auch.

Weil Enantiomere Spiegelbilder voneinander sind, verhalten sie sich chemisch gleich, wenn sie nur mit nichtchiralen Reaktionspartnern reagieren. Ein nichtchira­ler Reak­tionspartner merkt ja keinen Unterschied, ob sein Partner links oder rechts herum gepolt ist (ein linker und ein rechter Schuh paßt gleich gut in eine quaderförmige Schuhschachtel).

Aber die Paare 1/3, 1/4, 2/3 und 2/4 sind keine Spiegelbilder voneinander, und des­halb sind sie Diastereomere. Sie sehen auch völlig verschieden aus: In den Strukturen 1 und 2 liegen die Daumen auf derselben Seite, in den Strukturen 3 und 4 auf ver­schie­denen Seiten. Wenn Du das nicht glaubst, dann schüttle mal jemandem mit Deiner rechten Hand einmal seine Linke und einmal seine Rechte. Der Unterschied ist dras­tisch: Einmal kommen die Daumen auf dieselbe Seite und einmal auf die andere.

Deshalb haben Diastereomere z.B. unterschiedliche Schmelzpunkte und unter­schied­liche Siedepunkte, und unterschiedliche Reaktivität gegenüber jedem anderen Mole­kül (die Unterschiede können natürlich klein sein). Sie sind genauso verschieden wie z.B. cis und trans-substituierte Alkene: Andere Molekülform bedingt andere Eigen­schaften.

Ein anderer, etwas formalerer Weg, dasselbe zu sagen, ist:

  • Zwei enantiomere Moleküle haben dieselben Abstände zwischen den ein­an­der ent­sprechenden Atomen (die Daumen sind gleich weit voneinander entfernt), und daher dieselben intramolekularen Wechselwirkungen (und folglich gleichen Schmelz- und Siedepunkt, aber auch Dichte, Farbe, Wärmekapazität). Mit achiralen Partnern haben sie auch dieselben intermolekularen Wechselwirkungen, reagieren also gleich, z.B. lösen sie sich gleich gut in Wasser.
  • Zwei diastereomere Moleküle haben verschiedene Abstände zwischen den ein­ander entsprechenden Atomen (die Daumen sind einmal zusammen und einmal auf der anderen Seite des Moleküls). Daher unterscheiden sie sich bereits als reine Substanzen in so gut wie allen Eigenschaften, und reagieren natürlich auch verschieden mit jedem anderen Molekül. Mannose löst sich z.B. deutlich schlech­ter in Wasser als Glucose — irgendwie klar, denn die OH-Gruppen, die für die Lös­lichkeit sorgen, sind geometrisch anders angeordnet und können bei der Mannose besser miteinander H-Brücken bilden als bei der Glucose, also haben sie weniger Interesse, sich mit dem Wasser abzugeben.

Wenn Du über diese Antwort ausreichend nachgedacht hast, wirst Du auch verstehen, daß zwei identische Stereozentren nur drei mögliche Strukturen ergeben, nämlich ein Enantiomerenpaar und eine achirale Struktur (die heißt dann meso-Form). Im Beispiel mit den Handschuhen sind das links/links und rechts/rechts (ein Enantiomerenpaar) und links/rechts (die meso-Form). Die meso-Form ist dabei diastereomer zu den Enantiomeren.