Unterschied der Menschenbilder von Aristoteles und Platon?

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Beim »Menschenbild« geht es um Anthropologie (Lehre vom Wesen des Menschen).

Zwischen Platon und Aristoteles bestehen verhältnismäßig große Ähnlichkeiten.

Überlegt werden kann eine versuchsweise Skizzierung.

Gemeinsamkeiten

  • Auffassung, es gebe etwas, wozu etwas von Natur aus/seinem Wesen nach geschaffen ist (ein ihm eigentümliches Werkes/eine spezifische Funktion), auch beim Menschen
  • Mensch als Geistwesen/Vernunftwesen, von den Strebeformen der Seele kommt dem Vernünftigen die Leitung zu gegenüber nichtrationalen Vermögen (a) das Muthafte/sich Ereifernde - gemeint ist nicht wütend sein, sondern eher etwas wie engagiert und tatkräftig sein – b) das Begehrende/das Begehrliche), Geist/Vernunft als etwas Göttliches im Menschen
  • Mensch ein sprachbegabtes Lebewesen (Platon, Kratytlos 423 Überlegungen über Sprache als stimmliche Nachahmung; nach Aristoteles, Politik 1, 2, 1253 a ein sprach- und vernunftbegabtes Lebewesen)
  • Mensch seinem Wesen nach ein auf das Zusammenleben in einer politischen Gemeinschaft ausgerichtetes Lebewesen
  • aufrechter Gang als Merkmal des Menschen

Unterschiede

  • Platons Auffassung neigt invidueller Unsterblichkeit der Seele zu, nach Auffassung von Aristoteles hat die Seele an einem unsterblichen tätigen Geist teil, aber ohne individuelle Unsterblichkeit, weil sie nicht ganz eigenständig von Körper abtrennbar ist
  • Platons Auffassung neigt manchmal einer Zufälligkeit und Unerheblichkeit des Köperlichen, in dem die Seele wie in einem Gefängnis eingeschlossen ist, Aristoteles betont mehr die Zusammensetzung aus Geist und Körper (der Werkzeug der Seele ist, einer ersten vollendeten Wirklichkeit eines natürlichen, organischen Körper)
  • Platons Auffassung ist, die natürlichen Anlagen/Begabungen seien bei den Geschlechtern auf ähnliche Weise verteilt und die Frau könne an allen Beschäftigungen (auch der Philosophie und der Leitung des Staates) teilnehmen, auch wenn die Frau im Durchschnitt schwächer als der Mann sei, Aristoteles dagegen vertritt einen deutlichen Unterschied der Geschlechter mit Unterordnung der Frau, Frauen fehle eine ausreichend feste Kraft der Überlegung und Entscheidung
  • Platon hält Händigkeit für keine mit der Geburt gegebene Sache, sondern eine der Erziehung und empfiehlt, die Geschicklichkeit beider Hände zu üben, Aristoteles hält Händigkeit für angeboren und eine größere Leistungsfähigkeit der rechten Hand für natürlich

Albrecht  10.11.2021, 00:53
@Gringo58

viel ist zu finden bei:

Sabine Föllinger, Differenz und Gleichheit : das Geschlechterverhältnis in der Sicht griechischer Philosophen des 4. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. Stuttgart : Steiner, 1996 (Hermes : Einzelschriften ; 74). ISBN 3-515-07011-7 S. 118 - 226 (Teil III Die Geschlechterdifferenz bei Aristoteles)

Platons Auffassung ist, die natürlichen Anlagen/Begabungen seien bei den Geschlechtern auf ähnliche Weise verteilt und die Frau könne an allen Beschäftigungen (auch der Philosophie und der Leitung des Staates) teilnehmen, auch wenn die Frau im Durchschnitt schwächer als der Mann sei, Aristoteles dagegen vertritt einen deutlichen Unterschied der Geschlechter mit Unterordnung der Frau, Frauen fehle eine ausreichend feste Kraft der Überlegung und Entscheidung

Platon

Platon ist in seinem Dialog »Politeia« beim Entwurf eines besten Staates für Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen und Männern eingetreten.

Erziehung und Bildung sowie öffentliche Aufgaben und Funktionen sind außerdem bei dem Stand/bei der Klasse der Wächter und und der Philosophen für das männliche und das weibliche Geschlecht grundsätzlich gleich.

Die zentrale Stelle für Platons Frauenbild ist Platon, Politeia 451 c – 457 b. Die Dialogfigur Sokrates legt im Zusammenhang der Erziehung und Bildung der Wächter (einschließlich der zukünftigen Philosophenherrscher) dar, auch Frauen sollten auf gleiche Weise erzogen und (aus)gebildet werden.

Platon ist klar gewesen, damit eine damals ungewöhnliche Auffassung zu vertreten. Er zählt seine Aufassung über das weibliche Geschlecht und seine Erziehung und Bildung in einem idealen Staat zu den Aussagen, auf die drei Wogen des Hohngelächters herabstürzen könnten (neben der Frauen-, Kinder- und Gütergemeinschaft und der Philosophenherrschaft).

Begründung der Gleichheit

Allgemein geht es im Staat um das Allgemeinwohl und die Verteilung von Aufgaben und Positionen soll sich nach den Begabungen und Fähigkeiten richten. Demzufolge kann ein Ausschließen von Bereichen nur berechtigt sein, wenn Frauen und Männern ihrem Wesen nach in einem Gebiet unterschiedlich sind. Platon nimmt nur einen bestimmten biologischen Unterschied als tatsächlich vorliegend an, wobei er dies hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Fortpflanzung anspricht. Das Gebären (biologischer Unterschied) begründet nicht, allgemein Tätigkeiten als für Frauen ungeeignet zu erklären. In einem Hundevergleich wird darauf verwiesen, Hündinnen zum Wachen und Jagen einsetzen zu können. Es ist bei einer Begründung, die sich auf die Naturbegabung/Fähigkeit bezieht, zu beachten, wofür eine unterschiedliche natürliche Anlage von Belang ist. Nebensächliche Umstände wie der, ob jemand kahlköpfig ist oder volles Haupthaar hat, sind ja auch dafür ohne Bedeutung, ob jemand geeignet ist, als Zimmermann tätig zu sein. In der allgemeinen Art der natürlichen Begabung gebe es keinen Unterschied. Eine gewisse Einschränkung besteht in der Aussage, Frauen seien dabei im Allgemeinen schwächer (womit ein Übertreffen im Einzelfall nicht ausgeschlossen ist). Auch Frauen sind im platonischen Staat grundsätzlich aber als Philosophinnen, die den Staat leiten, denkbar (Platon, Politeia 540 c). Philosophen (bzw. Philosophinnen) haben erst mit 50 Jahren ihren Ausbildungsweg abgeschlossen. Bei der Philosophenherrschaft können eine einzelne Person oder mehrere Personen an der Spitze stehen (Platon, Politeia 540).

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Albrecht  10.11.2021, 00:54
@Gringo58

eine Kernaussage (Platon, Politeia 455 d – e):

οὐδὲν ἄρα ἐστίν, ὦ φίλε, ἐπιτήδευμα τῶν πόλιν διοικούντων γυναικὸς διότι γυνή, οὐδ᾽ ἀνδρὸς διότι ἀνήρ, ἀλλ ὁμοίως διεσπαρμέναι αἱ φύσεις ἐν ἀμφοῖν τοῖν ζῴοιν, καὶ πάντων μὲν μετέχει γυνὴ ἐπιτηδευμάτων κατὰ φύσιν, πάντων δὲ ἀνήρ, ἐπὶ πᾶσι δὲ ἀσθενέστερον γυνὴ ἀνδρός.

„[Sokrates:] Keine Aufgabe/Beschäftigung/Tätigkeit derer, die den Staat verwalten, also, Freund, gibt es für die Frau, weil sie eine Frau ist, oder für den Mann, weil er ein Mann ist, sondern die natürlichen Anlagen sind bei beiden Lebewesen auf gleiche Weise verteilt und an allen Beschäftigungen/Tätigkeiten hat einerseits die Frau ihrer Natur nach Anteil, andererseits der Mann, bei allem aber ist die Frau schwächer als der Mann.“

Schwäche der Frau

Die Verteilung von Begabungen unter die Geschlechter nimmt Platon als gleich verteilt an. Frauen hält er im Regelfall für schwächer. Dies betrifft nicht allein direkt die Körperkraft, sondern als Ergebnis geringerer Kraft nimmt er allgemein in allen Bereichen eine geringere durchschnittliche Leistungsfähigkeit von Frauen an, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Ausnahmen sind dabei möglich. Im Einzelfall kann also eine Frau dieser Ansicht nach einen Mann durchaus übertreffen. Auch Frauen können sich durch Begabungen als in Bereichen vortrefflich auszeichnen, z. B. in der Heilkunst, in musischen Künsten, im Sport, in militärischen Angelegenheiten, in der Weisheitsliebe, in der Willenskraft, in der Geschicklichkeit zum Bewachen.

Platon, Politeia 455 c – d:

οἶσθά τι οὖν ὑπὸ ἀνθρώπων μελετώμενον, ἐν ᾧ οὐ πάντα ταῦτα τὸ τῶν ἀνδρῶν γένος διαφερόντως ἔχει ἢ τὸ τῶν γυναικῶν; ἢ μακρολογῶμεν τήν τε ὑφαντικὴν λέγοντες καὶ τὴν τῶν ποπάνων τε καὶ ἑψημάτων θεραπείαν, ἐν οἷς δή τι δοκεῖ τὸ γυναικεῖον γένος εἶναι, οὗ καὶ καταγελαστότατόν ἐστι πάντων ἡττώμενον;

ἀληθῆ, ἔφη, λέγεις, ὅτι πολὺ κρατεῖται ἐν ἅπασιν ὡς ἔπος εἰπεῖν τὸ γένος τοῦ γένους. γυναῖκες μέντοι πολλαὶ πολλῶν ἀνδρῶν βελτίους εἰς πολλά · τὸ δὲ ὅλον ἔχει ὡς σὺ λέγεις.

„[Sokrates:] Kennst du nun etwas von den Menschen Betriebenes, worin nicht in all diesen Hinsichten das Geschlecht der Männer sich unterschiedlich/in ausgezeichneter Weise/vorzüglich im Vergleich zu dem Geschlecht der Frauen verhält? Oder sollen wir weitläufig reden und von der Webekunst sprechen und von der Besorgung des Backwaren und der Kochspeisen, in denen bekanntlich das weibliche Geschlecht etwas zu taugen scheint, worin unterlegen zu sein, das allerlächerlichste ist?

Du redest wahr, sagte er [Glaukos], daß in sozusagen allem jenes Geschlecht diesem Geschlecht weit übertrifft. Zwar sind viele Frauen in vielem besser als viele Männer. Im Ganzen aber verhält es sich so, wie du sagst.“

In Platons philosophischer Schule, der Akademie, war das weibliche Geschlecht zugelassen. Nach antiker Überlieferung (Diogenes Laertios 3, 46 und 4, 2) sind Axiothea aus Phleious und Lastheneia aus Mantineia Schülerinnen Platons und Mitglieder der platonischen Akademie gewesen, auch bei Platons Nachfolger, seinem Neffen Speusippos.

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Albrecht  10.11.2021, 00:55
@Gringo58

Aristoteles

Aristoteles, Politika (griechisch: Πολιτικά; Politik; lateinischer Titel: Politica) 1, 5, 1254 b

Aristoteles, Politik. Übersetzt von Eckart Schütrumpf. Hamburg : Felix Meiner Verlag, 2019 (Aristoteles: Philosophische Schriften ; Band 4. Philosophische Bibliothek , Band 724), S. 17:

„In gleicher Weise trifft dies dann auch auf den Menschen und die übrigen Lebewesen zu: Die zahmen Tiere sind in ihrer Natur besser als die wilden, und für sie alle ist es vorteilhafter, vom Menschen beherrscht zu werden, denn auf diese Weise wird ihr Überleben gesichert. Ferner ist im Verhältnis (der Geschlechter) das Männliche von Natur das Bessere, das Weibliche das Geringerwertige, und das eine herrscht, das andere wird beherrscht.“

Aristoteles, Politika (griechisch: Πολιτικά; Politik; lateinischer Titel: Politica) 1, 12, 1259 a – b

Aristoteles, Politik. Übersetzt von Eckart Schütrumpf. Hamburg : Felix Meiner Verlag, 2019 (Aristoteles: Philosophische Schriften ; Band 4. Philosophische Bibliothek , Band 724), S. 33. „Es gibt, wie wir festgestellt haben, drei Teilbereiche der Heitung eines Haushaltes. Einer ist die despotische Herrschaft, die vorher behandelt wurde, ein (weiterer) der väterliche, ein dritter die eheliche; denn (der Hausherr) gebietet auch über die Gattin und die Kinder - über beide als Freie, jedoch nicht in der gleichen Herrschaftswese, sondern über die Gattin wie man unter Bürgern herrscht, über die Kinder dagegen wie ein König, Denn von Natur hat das Männliche eher die Führung als das Weibliche – wenn sie nicht eine naturwidrige Verbindung eingegangen sind – und das Ältere und in seiner Entwicklung vollendete eher als das Jüngere und noch nicht fertig ausgebildete.“

Aristoteles, Politika (griechisch: Πολιτικά; Politik; lateinischer Titel: Politica) 1, 13, 1260 a

Aristoteles, Politik. Übersetzt von Eckart Schütrumpf. Hamburg : Felix Meiner Verlag, 2019 (Aristoteles: Philosophische Schriften ; Band 4. Philosophische Bibliothek , Band 724), S. 35- 36:

„Offensichtlich liegen nun die gleichen Bedingungen auch in anderen (Verhältnissen) vor, so daß es von Natur mehrere Arten von Herrschenden und Beherrschten gibt; denn auf eine Art herrscht der Freie über den Sklaven und das Männliche über das Weibliche und der Vater über das Kind, und im jedem sind die genannten Seelenteile vorhanden, aber sie sind in verschiedener Weise vorhanden: Der Sklave besitzt die Fähigkeit zu praktischer Vernunft überhaupt nicht, die Frau besitzt sie zwar, aber nicht voll wirksam, auch das Kind besitzt sie, jedoch noch nicht voll entwickelt.“

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Albrecht  10.11.2021, 00:56
@Gringo58

Aristoteles, Historia zoon (griechisch: Ἱστορία ζῴων; Geschichte der Tiere; lateinischer Titel: Historia animalium) 9, 1, 608 a - b

Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Herausgegeben von Hellmut Flashar. Band 16: Zoologische Schriften, Teil 1: Historia animalium, Teil 5: Buch VIII und IX. Übersetzt und erläutert von Stefan Schnieders. Berlin : Akademie-Verlag, 2019, S. 42 – 43:

„Bei allen Arten, bei denen das Weibliche und Männliche vorkommt, hat die Natur beinahe in gleicher Weise den Charakter der Weibchen von dem der Männchen unterschieden. Am deutlichsten ist das bei den Menschen und den Lebewesen mit einer gewissen Körpergröße und den lebendgebärenden Vierfüßern. Der Charakter der Weibchen ist nämlich sanfter und läßt sich schneller zähmen, er läßt sich eher Berührung durch Hände gefallen und ist lernfähiger, wie z.B. die Weibchen der Spartanischen Hunde bessere Naturanlagen haben als die Männchen. Bei der Hunderasse in Molossien unterscheiden sich die Jagdhunde in keiner Weise von denen andernorts, während die Hütehunde dieser Rasse sich durch Größe und Tapferkeit gegenüber wilden Tieren auszeichnen. Aber die aus beiden Gekreuzten, d.h. aus den Molossischen und Spartanischen Hunden, zeichnen sich durch Mut und Fleiß aus.

Die Weibchen sind insgesamt mutloser als die Männchen, abgesehen vom Bär und vom Leoparden; bei diesen hält man die Weibchen für mutiger. Bei den übrigen Gattungen sind die Weibchen sanfter, verschlagener, weniger durchschaubar, impulsiv und mehr auf die Aufzucht der Jungen bedacht, die Männchen sind im Gegensatz dazu aggressiver, wilder, durchschaubarer und weniger hinterlistig. Spuren dieser Charaktereigenschaften finden sich sozusagen in allen Lebewesen, sie sind aber wesentlich deutlicher in denjenigen, die einen ausgeprägteren Charakter besitzen, und am meisten beim Menschen. Denn dieses Lebewesen [scil. der Mensch] besitzt eine vollkommene Natur, weshalb diese seelischen Anlagen bei ihnen [scil. den Menschen] deutlicher in Erscheinung treten können. Deshalb ist die Frau mitleidvoller als der Mann und eher zum Weinen geneigt, außerdem ist sie neidischer, hat immer etwas an ihrer Lage auszusetzen, ist zanksüchtiger und neigt zu Handgreiflichkeiten. Das weibliche Geschlecht ist auch weniger leicht in Wut zu bringen als das männliche und verzweifelt leichter, außerdem ist es unverschämter und verlogener, es ist zum Täuschen veranlagt und hat ein besseres Gedächtnis, zudem ist das weibliche Geschlecht wachsamer und zögerlicher, überhaupt ist es passiver als das männliche und bedarf weniger Nahrung. Das männliche Geschlecht ist hilfsbereiter, wie schon gesagt wurde, und mutiger als das weibliche; denn sogar in der Klasse der Cephalopoden kommt das Sepia-Männchen dem Weibchen zu Hilfe, wenn es von einem Dreizack getroffen wird, das Weibchen aber ergreift die Flucht, wenn das Männchen getroffen wird.“

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Albrecht  10.11.2021, 00:56
@Gringo58

Aristoteles, Περὶ ζώων γενέσεως/De generatione animalium/Über die Entstehung der Tiere II 3, 737a 27 – 29 erklärt: τὸ γὰρ θῆλυ ὥσπερ ἄρρεν ἐστὶ πεπηρωμένον καὶ τὰ καταμήνια σπέρμα, οὐ καθαρὸν δέ∙ „Das Weibchen ist nämlich gleichsam ein verstümmeltes Männchen, und die Monatsblutungen sind Samen, aber kein reiner.“

Aristoteles schreibt bei der geschlechtlichen Zeugung dem Männlichen die Form-, Bewegungs- und Zweckursache zu, dem Weiblichen die Materialursache. Es gibt keine Gleichwertigkeit der Zeugungsbeiträge, das Männchen hat die wichtigere Rolle. Da Aristoteles mit diesem Konzept nicht das Phänomen der Vererbung mütterlicher Merkmale erklären kann, modifiziert er es dahin, auch dem Menstruationsblut (das für ihn den einzigen weiblichen Zeugungsbeitrag darstellt; einige Annahmen bei Aristoteles sind falsch, aber damals war noch nicht der heutige Wissensstand erreicht) eine aktive Rolle bei der Vermittlung von Erbinformationen zuzusprechen (was zwar seinem Ausgangspunkt widerspricht, aber schon darin angelegt ist, das Menstruationsblut als eine Art Samen bzw. als die weibliche Entsprechung zu betrachten).

Als ausschlaggebend für das Geschlecht wird von Aristoteles die Teilhabe an der Wärme betrachtet (Männchen wärmer als Weibchen). Zugrunde liegt die hämatogene Samenlehre (Aristoteles, Περὶ ζώων γενέσεως/De generatione animalium/Über die Entstehung der Tiere I 9, 726 b 30ff.), der Samen sei ein Verkochungsprodukt des Blutes, das wiederum aus der Verkochung (Verarbeitung zu etwas Feinerem durch Wärme) von Nahrung entstehe. Die These mangelnder Wärme des Weibchens, durch das ein Unvermögen (ἀδυναμία) bedingt sei, Nahrung bis zur Stufe des Samens zu bringen, ist kein aufgrund empirischer Beobachtungen aufgestellter Satz, sondern eine Annahme.

Die Entstehung eines weiblichen Kindes kann nach seinem Ansatz als Abweichung mit einem bestimmten Mangel verstanden und damit erklärt werden, das männliche Prinzip habe nicht ausreichend Wärme gehabt und die Materie nicht voll bewältigt.

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