Studiere ich Mathematik falsch?
Wie man aus der Frage oben entnehmen kann, studiere ich Mathematik (im 2. Semester). Ich stelle diese Frage wegen Folgendes:
In meiner Schulzeit habe ich es schon wirklich gehasst, wenn wir irgendwelche Formeln bzw. Sätze/Regel an den Kopf geschmissen bekommen haben ohne jemals zu besprechen wo sie überhaupt herkommen. Also diese nicht zu beweisen!!
Das hat und reizt am Mathestudium immer noch am meisten. Es gibt natürlich noch die Übungsaufgaben, die man jede Woche für die Prüfungszulassung abgeben muss, welche echt frustrierend und des Öfteren auch nervtötend sind, aber man gewöhnt sich langsam dran :)
Mein Problem liegt nun aber woanders. Wie ihr bestimmt wisst, hat man im 1. Studienjahr Analysis und Lineare Algebra (mit Nebenfach). Wenn ich mir in Analysis Sätze, Beweise, Lemmata etc. durchlese (z.B. im Skript oder auch in anderer Literatur) fällt es mir sehr viel einfacher die Beweise zu verstehen und die Aussagen dieser Sätze, Theoreme etc. sogar vorzustellen!! Wie man nun bestimmt schon vermuten kann, ist Lineare Algebra mein Problem. Ich wiederhole zurzeit das Zeug in Lineare Algebra aus dem 1. Semester (wir schreiben eine Kombiklausur im Sommer) und mir fällt es jetzt zwar einfacher, die Beweise zu verstehen, aber im 2. Semester habe ich immer noch Probleme mit dem Fach.
Nun stell ich mir die Frage, ob es schlimm ist, wenn ich das alles nicht wirklich ganz verstehe. Viele meiner Kommilitonen schauen sich nicht mal die Beweise an (in beiden Fächern) und benutzen eben nur die Sätze, Definitionen etc. um die Hausübungen zu lösen.
Ist es also für mein Studium nicht gefährdend, wenn ich eben diese Beweise in Lineare Algebra nicht wirklich drauf habe? Reicht es mir für höhere Semester eigentlich nur die Aussage von diesen Sätzen, Theoreme etc. "auswendig zu wissen". Ich hab mir das vorher immer so vorgestellt, dass man nach seinem Bachelor alle Definitionen, Sätze (und deren Beweise) etc. versteht :P
Ich bin für jede Antwort/Hilfe dankbar!!
Lg Bluefire
6 Antworten
Hallo!
Mach dir nicht so viele Sorgen. In den ersten Semestern kommt es oft vor, dass man nicht alles versteht oder auch manchmal (oft) gar nichts versteht. Das geht vielen so. Das WIchtigste ist, dann nicht die Nerven zu verlieren, sondern weiter zu machen, dran zu bleiben.
Allerdings würde ich die offenen Fragen nicht endgültig wegschieben, sondern nach einer Pause wieder versuchen, die Sachen zu verstehen.
Ich fand es beim Studium manchmal sehr unbefriedigend, dass ich zwar die Klausur geschafft hatte, die Theorie aber nicht wirklich verstand. Manchmal hielt mich die Lernerei für die Klausur geradezu davon ab, mich intensiver mit der Theorie zu beschäftigen. Vieles habe ich erst später verstanden, und dann fand ich es plötzlich einfach.
Es kommt auch nicht darauf an, alle Aufgaben zu lösen. Es geht darum sich mit den Aufgaben intensiv zu beschäftigen. Ich hatte öfter die Nächte durchgemacht und trotzdem die Aufgabe nicht rausgekriegt. Das was man an Denkenergie aufgewendet hat, ist keine verlorene Zeit!
Man soll besser vorankommen, wenn man in Gruppen lernt. Ich war nicht so der Gruppentyp. Wenn man nur einen netten Menschen kennt, mit dem man über die Aufgaben und die Theorie diskutieren kann, dann ist das schon hilfreich. Und ganz egal, ob man der "Langsamere" oder der "Schnellere" ist, es profitieren immer beide.
Zu diesen Fragen gibt es einen schönen Podcast, bei dem sich zwei Mathematiker über Probleme am Anfang des Studiums und zum Studium der Mathematik allgemein unterhalten. Zitat (Ausschnitt des Headers):
Viel Raum nimmt ein, die Ergründung des mental-geistigen Rüstzeugs, das angehende Mathematiker mitbringen sollten. Außerdem: Wie grenzt sich Mathe von verwandten Fächern wie Informatik und Physik ab?
Hier der rss-feed:
http://www.kuechenstud.io/studienwahl-tv/feed/mp3/
es handelt sich um die vierte Sendung "SW004 Mathematik" (eine mp3-Datei, 52,3 MB. Den kannst Du dir ja mal anhören. Ich fand die Sendung sehr ermutigend.
Kurz gesagt:
Es ist zwar sicherlich sinnvoll, die Beweise zu verstehen und möglichst auch selber führen zu können - immerhin könnte das ja auch eine Aufgabe in einer Klausur oder Hausübung sein ;-)
Aber wenn man den ein oder anderen Beweis mal nicht komplett versteht, aber den jeweiligen Satz wenigstens vernünftig anwenden kann, dürfte trotzdem der Erfolg des Studiums nicht vollkommen gefährdet sein.
Allerdings ist m. E. im Mathestudium wirklich das "Begreifen" mindestens genau so wichtig wie das reinen "Wissen", insofern finde ich Deinen Ansatz besser als den von Deinen Kommilitonen. Und bei mir selber war es auch immer so, das ich mir die Sachen besser merken konnte, wenn ich nicht nur wusste "wie" sie waren, sondern auch "warum" sie so waren.
Bei den Beweisen war meiner Meinung nach immer vor allem die grundsätzliche Beweisidee das Wichtigste - wenn man die kennt und verstanden hat, kann man den Rest des Beweises an sich meist nachvollziehen, das ist dann oft nur noch "heftige Rechnerei". Wenn Du also ein Problem mit einem Beweis hast, versuche vor allem, das Prinzip zu begreifen (den "Trick" zu erkennen)
Und diese gleiche Idee kann man dann vielleicht später in einen anderen, unbekannten Beweis, selber anwenden ...
Ein guter Beitrag! Das mit der Beweisidee war eine Sache die ich im Studium lange nicht verstanden hatte. Ich hatte damals den (falschen) Ehrgeiz (Perfektionist ^^) "alles" verstehen zu wollen, jede Zeile eines Beweises. Das hatte zur Konsequenz dass ich die grundlegende Beweisidee manchmal aus den Augen verloren und mich in Einzelheiten (den heftigen Rechnereien) verloren hatte.
Es war wie Du geschrieben hast: in den mündlichen Prüfungen fragten die Profs nach den Beweisideen.
Wenn ich heute nochmal Mathematik studieren würde, dann würde ich anders arbeiten. (Hinterher ist man immer schlauer! ;-) ) Auch genau deswegen finde ich es gut, solche Sachen zu fragen und sich darüber zu unterhalten.
Vielen Dank für die ausführliche und hilfreiche Antwort :D
Ich denke die Beweise muss man nicht alle unbedingt verstehen.
Aber je mehr Beweise du nachvollziehst desto besser ist es natürlich für dich, weil du so auch ein besseres Gefühl dafür bekommst worauf es beim Beweisen ankommt.
Ich hab mir auch nie alle Beweise angeguckt (hab Mathe als Nebenfach) und hab bis jetzt jede Klausur bestanden. Ich glaube auch, dass kaum jemand wirklich alle Beweise bis ins Detail durchdringt. Dafür lässt das Studium einfach nicht genug Zeit.
Wenn ich mir heute die Beweise aus LinA 1 oder Ana 1 anschaue, kommen mir die meisten auch relativ trivial vor, obwohl ich sie damals nicht nachvollziehen konnte.
Puh, das Mathestudium kenne ich jetzt nur durch Freunde aber die haben immer wieder gesagt dass die Professoren im Hauptstudium vor allem wollten, dass die Studenten die Idee hinter einem Ansatz verstanden haben. Wenn man die Idee im Kopf hat ist der Rest nur noch Handwerk. Wenn du eine Klausur schreibst und nicht auf die Lösung einer Aufgabe kommst, weil dir das handwerkliche fehlt, kannst du einfach deine Idee daneben schreiben. Das ist ganz wichtig! Lass eine Aufgabe nicht leer nur weil du irgendeine Formel vergessen hast, aber den Ansatz kennst sie zu lösen.
Ich denke alles wirklich verstehen zu wollen ist nicht verkehrt und das solltest du beibehalten. Es ist keine Hexerei und dauert eben nur ein bisschen bis man darauf kommt. Hat man es erstmal verstanden ist es plötzlich ganz leicht und wenn man so weit ist, sollte man auf jeden Fall versuchen es anderen beizubringen. Zum einen ist Helfen unglaublich gut für das eigene Wohlbefinden aber man wiederholt den Stoff so auch und er festigt sich in einem selbst. Win-Win sozusagen. Nur wenn du es jemandem anderen beibringen kannst hast du es verstanden!
Mach dir aber auch nicht zu viel Stress. Ich denke im Hauptstudium hat man noch genug Zeit Dinge zu verstehen die man vorher noch nicht so ganz nachvollziehen konnte. Im Endeffekt kommt es im Mathestudium darauf an dein analytisches Denken auszubilden. Der ganze Stoff ist quasi nur ein Werkzeug um dein Gehirn umzubauen. Es tut weh aber wenn der Prozess mal vollzogen ist, hat man nen nettes Hirn-Upgrade was einem in jeder Lage helfen kann. Das versteht man in der Regel aber erst hinterher und das sollte man wissen wenn es um Gehaltsverhandlungen geht. Man wird größtenteils nicht wegen dem Wissen eingestellt sondern wegen dem sehr seltenen Upgrade.
Der Satz stammt nicht von mir (Ich glaube Einstein?) aber ich hab die Erfahrung auch immer wieder gemacht. Wenn ich etwas nicht einfach erklären kann hab ich es selber noch nicht gut genug verstanden.
Also, eigentlich darf man einen Satz nur anwenden, wenn man ihn bewiesen hat, ihn beweisen kann und versteht. Alles andere wäre dann eher Esotherik als Mathe.
Wir hatten am Ende von LinA2 "Die Universaldefinition des Tensorproduktes" das habe ich bis heute nicht gerallt-habe es aber auch nie mehr gebraucht.
Im Grundstudium beschäftigt Ihr euch hauptsächlich mit LinA und Ana. Und das bildet die Grundlage, damit man sich später mal vernünftig unterhalten kann. Du solltest wirklich einen genügend großen Anteil der Beweise selber führen können und verstehen. -Sonst gibt´s später Problem-und Profs merken, ob man verstanden hat oder nicht...
Es kommt vor, dass man einen Beweis nicht versteht-und man kann seine Prüfung trotzdem schaffen-und man kann trotzdem weiterarbeiten. Es macht aber durchaus Sinn, sich die Beweise nochmal genauer anzusehen-oder sich einen anderen Beweis zu suchen. Wir hatten mal einen Prof, der hat die Stirling-Formel bewiesen-und wollte unbedingt zeigen, wieso es einen Zusammenhang zwischen e und pi und den natürlichen Zahlen gibt-und fing dann an 12! Tafeln in der Vorlesung vollzuschreiben-wir waren alle total entsetzt und sind total frustriert aus der Vorlesung marschiert, weil keiner mehr was verstanden hat.-Es gibt aber auch genügend Beweise dafür, die auf einer Tafel Platz finden-und die wir dann auch verstanden haben-also es gibt häufig verschieden Beweise.
Du machst das schon ganz richtig so.
Ein sehr guter (An-)Satz!
Ich habe sogar mehrfach die Erfahrung gemacht: Erst in dem Augenblick, wo ich versucht habe, es anderen zu erklären, habe ich selber die Sache (endlich) komplett verstanden.