Starke/Schwache Säure/Base bestimmen?

3 Antworten

Aus meiner Sicht bedeutet starke Säure, daß die Säure mit Wasser vollständig reagiert (also ihr Proton zu ≈100% abgibt und H₃O⁺ erzeugt). Das ist aber konzentra­tions­abhän­gig; eine Säure ist ja bei pH=pKₐ immer genau zu 50% deprotoniert. Deshalb ist die Frage, ob eine Säure stark oder schwach ist, auch konzentrationsabhängig.

Ich zeige Dir das hier anhand der Ameisensäure (pK=3.77):

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  • Die Abszisse gibt die Konzentration logarithmisch an; der Wert x=2 steht also für c=10¯²=0.01 mol/l.
  • Die schwarze Kurve zeigt den pH-Wert der Säure mit entsprechender Kon­zen­tra­tion, die weiße die erste Ableitung davon (rechte Ordinate). Beachte, daß man in der ersten Ableitung für eine schwache Säure −dpH/dlg(c)=½ erwartet (wegen pH=½(pKₐ−lg(c)), und für eine starke Säure natürlich 1.
  • Die Hintergrundfarben geben die Anteile an freieer Ameisensäure (rot) und For­miat (blau) im Gleichgewicht an. Du siehst, daß bei c>0.01 mol/l (x<2) die Amei­sen­säure schwach ist, also kaum dissoziiert, und bei c<10¯⁵ mol/l (x>5) stark, also vollständig dissoziiert.

Du siehst also, daß es problematisch ist, wenn man eine Säure als Substanz stark oder schwach nennt; in Wirklichkeit kann man das nur für eine Lösung gegebener Kon­zentration sagen. Oft denkt man aber, daß Lösungen typischerweise einen be­stim­mten Konzentrationsbereich haben, z.B. grob 1 mol/l bis 0.01 mol/l; in diesem Fall könnte man die Ameisensäure als „schwach“ bezeichnen, weil sie bei derartigen Konzentrationen immer schwach ist.

(Wer sich eine „typische“ Konzentration schwächer vorstellt, z.B. 0.001 mol/l, der wür­de die Ameisensäure nicht mehr als schwach ansehen, sondern intermediär; im­mer­hin sind bei c=0.001 mol/l bereits 34% der Säure deprotoniert, und pH=3.47.)

Soweit ich das interpretiere, sagen beide Deine Quellen dasselbe aus, nämlich daß eine Säure „stark“ heißt, wenn sie bei typischen Konzentrationen vollständig disso­ziiert ist; Nur unterscheiden sich die Quellen insoferne, als sie verschiedene Zahlen für ein „typische“ Kozentration annehmen. Hier siehst Du es im Detail:

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Hier sind die Dissoziationsgrade von Säuren mit pKₐ=0 bis pKₐ=9 für die Kon­zen­tra­tio­nen 1 mol/l < c < 10¯⁹ mol/l aufgetragen.

  • Du siehst (violett oben), daß eine Säure mit pKₐ=​0 bei c=1 mol/l zu α=61.8% dis­so­ziiert ist (ja, der Goldene Schnitt), und bei c=0.1 mol/l sind es bereits α=92%. Mit etwas Gutmütigkeit kann man also sagen, daß eine Säure mit pKₐ=0 bei jeder ver­nünftigen Konzentration in Wasser mehrheitlich dissoziert ist, sich also als starke Säure verhält.
  • Das steht im Einklang damit, daß Deine eine Quelle schreibt, Säuren mit pKₐ≤0 seien stark; diese Quelle behauptet auch, daß Säuren mit pKₐ>0 schwach seien, und daß ist ein bißchen ein Problem, denn Su siehst ja, daß selbst bei c=1 mol/l eine Säure mit pKₐ=1 zu ca. ¼ (dunkelgrün), eine mit pKₐ=2 zu ca. ⅒ (hellblau) dissoziiert ist, und bei kleineren Konzentrationen noch viel mehr.
  • Deine andere Quelle sagt, eine Säure ist schwach wenn pKₐ<4. Du siehst an der Kurve für pKₐ=4 (gelb), daß eine solche Säure bei allen Konzentrationen c>0.001 mol/l (10¯³ mol/l) nur wenig dissoziiert ist. Diese Definition deckt also einen prak­tisch relevanten Konzentrationsbereich von 1 mol/l bis 0.001 mol/l ab.
  • Aber bei hinreichender Verdünnung, z.B. 10¯⁵ mol/l, ist natürlich auch eine solche Säure kräftig dissoziiert (92%).
  • Außerdem gibt es gewöhnlich auch noch einen Konzentrationsbereich, in dem die Säure weder stark noch schwach ist, sondern intermediär. Säuren mit 0≪​pKₐ≪7 sind zu 50% dissoziiert, wenn ihre Konzentration das Doppelte der Säure­kon­stan­ten be­trägt; für Ameisensäure sind das beispielsweise 2⋅10ᵖᴷᵃ=0.00034 mol/l.
  • Beachte, daß Säuren mit pKₐ⪆7 so schwach sind, daß sie bei allen Kon­zen­tra­tio­nen nur geringfügig dissoziieren — die Kurve für pKₐ=8 (violett, unten) zeigt das deutlich.

Letztlich sind „stark“ und „schwach“ eben Eigenschaften, die von Säurekonstante und Konzentration abhängen. Ich empfehle daher die Sprechweise: Ameisensäure (pKₐ=​3.77) ist bei 0.1 mol/l eine schwache und bei 10¯⁶ mol/l eine starke Säure.

Den pH-Wert einer wäßrigen Säurelösung kannst Du übrigens mit folgender Formel berechnen:

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Für die Graphik habe ich diese Formel benutzt, um zuerst den pH-Wert auszurechnen, und dann daraus den Dissoziationsgrad.

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Schaue bitte einmal bei der Wikipedia nach. Die dort vorgenommene Einteilung ist meiner Ansicht nach ganz brauchbar.

Die Angaben "sehr stark", "stark", "schwach" usw. anstelle des pKs-Wertes sind eher schwammige Begriffe. Der Sinn besteht aber darin, dass man je nach Säurestärke bestimmte Annahmen über den Dissoziationsvorgang der Säure anstellen kann, die einem dann die Berechnung des pH-Werts erleichtern. D.h. je nach Säurestärke wird dann eine andere Formel eingesetzt. Dabei sollte man sich eher auf die Einteilungen aus Lehrbüchern beziehen, idealerweise dem jeweiligen Schulbuch oder der Literaturempfehlung des Professors. Die "SimpleClub"-Videos können vielleicht den Einstieg in ein Thema erleichtern, sind aber inhaltlich grottenschlecht und sollten keinesfalls als seriöse Referenz angesehen werden.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium