Sollte man ein Autistisches Kind anders erziehen als ein normales?

5 Antworten

Es gibt keine Erziehung, die für alle Kinder passend ist. Erziehung ist kein Fahrplan, a la einer Wegroute. Wenn du das machst, kommst du am Ende am dem Ziel raus. So funktioniert es nicht.

Die gleiche Erziehung kann bei verschiedenen Individuen immer etwas anderes auslösen. Deswegen richtet sich Erziehung auch nach den Eigenschaften der Kinder. Ein schüchterenes Kind wirst du vermutlich mehr ermuntern, mit anderen in Kontakt zu treten, ihm Brücken bauen, oder Beobachtungsraum einräumen. Ein temperamentvolles, extrovertiertes Kind wirst du vermutlich häufiger über das Beachten von Grenzen aufklären, daran hindern gewalttätig zu sein usw.

Das gleiche gilt für Autisten. Natürlich musst du auch da die Eigenarten beachten und gute Rahmenbedingungen schaffen. Vermutlich sogar etwas mehr, als für neurotypische Kinder.

Nich kann, man muss es sogar. Autistische Kinder brauchen extrem andere bedingungen und extrem viel Verständnis für ihr anderssein. Wenn sie einen "Wutanfall" haben ist es was ganz anderes als hätte es ein neurotypisches Kind. Und bitte sag autistisch und neurotypisch, auch autistische Kinder sind "normale" Kinder

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Bin stolz drauf, Autistin zu sein

Long story short: Ja.

Short story long:

Man sollte es, wie jedes Kind, mit Respekt erziehen. Man sollte die Grenzen des Kindes einhalten, genauso, wie es beigebracht bekommen sollte, die Grenzen anderer Menschen einzuhalten (Pro Tipp: Meistens geht das automatisch, indem man von kleinauf die Grenzen des Kindes einhält).

Ebenso sollte man - im Falle von autistischen Kindern - Meltdowns keinesfalls mit Trotzanfällen (oder im Englischen auch "temper tantrums" genannt) gleichstellen.

Auch sollte man dazu bereit sein, viel über Autismus zu lernen, erfahren. (Vielleicht wäre es sogar interessant, zu überlegen, ob noch jemand anderes in der Familie oder sogar man selbst Autismus haben könnte, denn Autismus ist genetisch bedingt und vererbbar.) Die besten Tipps gibt es wo? Richtig: von Autisten selbst. Und wo findet man diese meistens? Korrekt: Im Internet. Sowohl englisch-, als auch deutschsprachige Foren, in denen sich ebenfalls ein substanzieller Anteil von Autisten aufhält, sind dafür gut geeignet. Das heißt nicht, dass jeder Tipp dort befolgt werden sollte, doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute dort einem genauer erklären können, weshalb das Kind sich so benimmt, ist weitaus größer, als bei z.B. irgendeinem neurotypischen Erzieher oder Arzt. Die können allerhöchstens an der Oberfläche kratzen, da sie nur das Verhalten sehen, aber nicht die Gefühle des Kindes und nicht seine Sichtweise einnehmen können.

Wer ein Kind hat, welches vom Neurotyp abweicht, der sollte als Elternteil lieber "ganz schnell" zum "Experten" in der Thematik werden. Das geht nicht von heute auf morgen - Und das verlangt auch niemand. Aber der Wille, sich damit zu befassen, muss gegeben sein. Dieser Wille muss im Notfall immer gegeben sein, wenn man ein Kind gebährt. Man setzt Kinder in die Welt, weil man Kinder haben will und dabei sollte man sowohl für ein neurotypisches, als auch ein neurodiverses Kind vorbereitet sein. (Davon abgesehen: Einige Behinderungen sowie Krankheiten können auch im Laufe des Lebens erworben werden und insbesondere wenn das Kind zu dem Zeitpunkt noch relativ jung ist, werden die Eltern sich hier auch unweigerlich mit den Details der Behinderung/Krankheit befassen müssen.)

Ein neurotypisches Elternpaar oder Elternteil, welches ein neurodiverses Kind erzieht (Autismus kann auch eine Generation überspringen), kann nicht von besagtem Kind erwarten, dass es sich in die neurotypisch-geformten Normen der Gesellschaft pressen lässt - Und selbst wenn, dann nicht ohne massive Folgen für die psychische und eventuell sogar physische Gesundheit des Kindes (sowohl des minder-, als auch des volljährigen Kindes).

Im Gegensatz zu neurotypischen Kindern (sowie Erwachsenen), sind autistische Kinder (sowie Erwachsene) auch - mal mehr, mal weniger stark - auf ihre Routinen angewiesen. Eine Einhaltung dieser wäre schon mal sehr gut, auch wenn niemand alles planen kann und Unvorhersehbarkeiten kann es leider immer geben.

Um wieder zur Hauptfrage zur kommen: Ja, man kann, darf und sollte sein autistisches/neurodiverses Kind anders als ein neurotypisches erziehen. Selbstverständlich gibt es viele Dinge, die für alle Kinder wichtig sind. Ein paar der Wichtigsten, wie ich finde: Respekt, bedingungslose Liebe, Unterstützung, Einhaltung von Grenzen, Sicherheit (die emotionale Sicherheit sollte hierbei nie zu kurz kommen), Akzeptanz sowie Vertrauen.

Aber ein neurotypisches Kind ist ein neurotypisches und ein autistisches/neurodiverses ist ein autistisches/neurodiverses.

Autistische/neurodiverse Kinder sowie Personen im Allgemeinen müssen und sollten nicht besser behandelt werden, sondern anders. Ein Rollstuhlfahrer wird nicht besser behandelt, weil er einen Rollstuhl bekommt. Wenn ein Rollstuhlfahrer entweder gar nicht oder gerade nicht laufen kann, kann er nicht laufen. Makes sense? Okay. Jetzt, Folgendes: Wenn ein autistisches/neurodiverses Kind nicht ohne einen Sensory Overload einkaufen kann, esseidenn, es darf Noise-Cancelling-Headphones und/oder eine Sonnenbrille aufsetzen, wird das Kind nicht besser behandelt, wenn es diese aufsetzen darf. Wenn das Kind nicht ohne Sensory Overload (welche schnell zum Melt- oder Shutdown führen können und spätestens beim Meltdown meckern die meisten dann wieder rum) einkaufen gehen kann, kann es nicht ohne Sensory Overload einkaufen gehen.

Deshalb ist es auch so wichtig, dass Leute endlich verstehen, dass ein Nachteilsausgleich ein Nachteilsausgleich und kein Vorteil ist.

Einfache Rechnung:

Neurotypische, nicht-behinderte Menschen kommen mit 0 Punkten auf die Welt.

Neurodiverse, behinderte Menschen mit -5 Punkten. Unsere Behinderung gibt uns einige Nachteile, bis an unser Lebensende, an welche die meisten neurotypischen Leute kaum denken müssen.

Ein Nachteilsausgleich soll uns eher in Richtung 0 Punkte bringen. Na gut, das ist beinahe unmöglich. Eine Behinderung geht auch nicht mit einem Nachteilsausgleich weg, nicht jeder Behinderte hat einen und selbst wenn, so sieht das (in Deutschland) mit den Nachteilsausgleichen eher wie ein lasches Konzept aus. Eine Idee, ja, die ist ganz gut, mhm, aber schlussendlich heißt es im Falle von autistischen/neurodiversen Kindern trotzdem allzugerne: "Stell' dich nicht so an!"

Das ist die Wahrheit. Das ist das Leben der meisten behinderten Menschen und ich kann mir sogar gut vorstellen, dass selbst körperlich behinderte Menschen diesen Satz schon allzu oft gehört haben oder dass ihnen vorgewurfen wurde, sie würden ihre Symptome als schlimmer darstellen, als sie eigendlich sind. "Stell' dich nicht so an!" - Ein Klassiker. Sollte der Titel eines Buches von einer autistischen/behinderten Person sein, welche über ihre Kindheit schreibt.

Würden wir einen Vorteil bekommen, würden wir +10 Punkte bekommen, so, dass wir auf +5 wären. Oder +5 Punkte, wenn wir behaupten wollen, wir würden von 0 Punkten anfangen, was wir zwar nicht tun, but whatever.

Beide Beispiele haben eine Behinderung. Die eine ist sichtbar, die andere nicht. Beide haben ein Recht auf einen Nachteilsausgleich sowie andere Hilfsmittel (darunter können auch Therapien fallen).

Genau deshalb ist es so wichtig, ein autistisches/neurodiverses Kind nicht absolut wie ein neurotypisches zu behandeln bzw. erziehen. Ich glaube, viele Menschen/Eltern befürchten, ihr autistisches/neurodiverses Kind würde sich schlecht entwickeln, bekäme es eine "Extrawurst". Aber die bekommt es nicht. Es würde eine bekommen, wenn, beispielsweise, Folgendes passiert: Kind sitzt in der Klasse. Klassenarbeit steht an. Kind darf alles am Rechner machen, da es zu starke, motorische Schwierigkeiten beim Schreiben hat (Nachteilsausgleich) and let's be real; die Lehrer haben eh alle schon aufgegeben, das Gekrakel zu entziffern. Ein Vorteil wäre es, wenn besagtes Kind die Arbeit gar nicht erst schreiben muss und trotzdem eine gute Note bekommt, einfach so. Das wäre wahrscheinlich nicht nur unfair gegenüber den anderen Kindern, sondern auch gegenüber des autistischen Kindes, denn irgendwie könnte man denken, die meinen, das Kind wäre dumm. Einfach so, just because autism.

Ich glaube auch, manche Eltern haben einfach Angst, dass ihre Kinder dadurch ausstehen. Das ist auch irgendwo verständlich. Die Welt ist grausam, Kinder sind grausam. Aber mal davon abgesehen, dass das ziemlich ableistisch sind, wenn wir uns vor Augen führen, dass es autistische/behinderte Kinder sowie Erwachsene gibt, die so oder so wie ein pinker Elefant inmitten all den Grauen herausstechen - ob sie es wollen oder nicht -, wird damit lediglich ein Problem umgangen (während dreißig Neue erschaffen werden, aber das werden die Kinder dann 20 Jahre später in ihrer therapy session aufarbeiten müssen, so who cares, nicht mein Bier), aber es wird nicht an der Wurzel gepackt. Damit löst man keine Probleme. Damit kreiert man nur einen Haufen anderer. Für sein Kind, sich selbst, für andere Kinder sowie Erwachsene in ähnlichen Situationen und für alle anderen autistischen/neurodiversen/behinderten Kinder, die noch kommen werden.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽

Man soll jedes Kind anhand seiner eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse fordern und fördern, egal ob Autist oder nicht. Bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen muß man sich halt besonders informieren, wie man damit am besten umgeht.

Man sollte generell jedes Kind angepasst erziehen und nicht nach Lehrbuch.