Was sagt ihr zu einer "Hundeleine" bei einem Autistischen Kind?

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Anmerkung: Diese Antwort ist einige Zeichen zu lang. Ich fand es jedoch persönlich wichtig, alles, was ich erwähnt habe, zu erwähnen. Den Rest werde ich als Kommentar unter meine Antwort schreiben. Entschuldigung schon einmal!

Wie du bereits selber festgestellt hast, sind diese "Hundeleinen" alles andere als optimal und ich sage es einfach mal ganz frei heraus: Ich bin entsetzt darüber, dass die meisten Leute schrieben, sie fänden diese Methode legitim. Nicht etwa, weil ich nicht schon häufiger gelesen habe, wie weitaus grausamere Taten mit solchen haltlosen Argumenten wie z.B "Hab du erstmal ein autistisches Kind", "Ihr Kind war autistisch! Denkt doch nur daran, wie tapfer sie war, dass sie das ausgehalten hat. In solchen Situationen würdet ihr zu allen Mitteln greifen" o.Ä versucht wurden, zu relativieren, sondern weil ich davon ausging, dass wir uns "alle" einig darüber sind, dass die "Hundeleine"-Methode erniedrigend und menschenunwürdig ist.

Wenn wir autistische Kinder an die Leine nehmen, dann bitte auch nicht-autistische und neurotypische Kinder. (Bitte nicht, aber ich meine: Wir sollten fair bleiben.)

Viele vergessen: Auch viele neurotypische Kinder können mal weggehen, wegrennen, sich in Gefahrensituationen begeben. Aber mir scheint es, als würden einige ihre Äuglein davor verschließen. Natürlich - Nur autistische/behinderte/neurodiverse Kinder sind Problemkinder und nur sie haben es verdient, an die "Hundeleine" zu kommen, aber bloß nicht die neurotypischen Kinder. Zur Klarstellung: Kein Kind - ob neurotypisch oder neurodivers - sollte an solch eine Leine kommen, außer es selbst möchte dies ausdrücklich und von sich aus.

Zuerst einmal möchte ich, dass wir wegkommen von solch Argumenten wie "Ich bin selbst Mutter eines autistischen Kinder (oder wahlweise auch "Ich habe viel Kontakt zu Eltern mit autistischen Kindern"/"Ich arbeite mit autistischen Kindern zusammen") und weiß daher, von was ich rede" bzw. "(...) Dann wirst du verstehen, weshalb die Hundelein-Methode doch ganz hilfreich sein kann" - und ja, das kann sie, wenn das Kind von sich aus, ohne Bestechungen, Drohungen oder Belohnungen, einwilligt. Aber nein, es tut mir leid, Gabi, (sorry an alle Gabis) das ist nicht zwingend der Fall. Du bist nicht das Sprachrohr deines autistischen Kindes, irgendeines autistischen Kindes und schon gar nicht der Autismus-Community als solches. Du bist das Sprachrohr deiner eigenen Erfahrungen. Du kannst erzählen, wie schwer es dir geht, aber du wirst niemals empfinden und wahrscheinlich auch nie adäquat beschreiben können, wie dein/das autistische Kind sich fühlt. Und das ist vollkommen in Ordnung.

Das mag auf den ersten Blick nichts mit der ganzen "Hundeleine"-Diskussion zu tun haben, allerdings wird die Verwendung der "Hundeleine" wohl gerne damit zu rechtfertigen versucht, indem man sich selbst - als Elternteil bzw. Erziehungsberechtigte - in die Opferposition stellt. "Hab du erstmal ein autistisches Kind" etc. pp.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Autisten diejenigen sind, die bis zu ihrem Tod mit ihrem Autismus zurechtkommen müssen, in einer Welt, auf die ihr Gehirn nicht abgestimmt ist. Um es geradeheraus zu formulieren: Es ist widerlich, eklig und abartig solche Aussagen zu machen. Gabi, du hast auch mal Pause vom Autismus. Dein Kind jedoch nicht, nie.

Was lehren wir neurodiversen bzw. explizit autistischen Kindern damit? Dass sie weniger wert sind. Ja, das klingt jetzt hart. Man will seine Kinder doch nur beschützen! Dann sage ich: Nehmt sie alle - ob neurodiverse oder nicht - an die Leine und schaut mal, wie lange es dauert, bis sie bellen.

Stellt euch mal vor, ihr seid ein autistisches Kind und eure Eltern wenden diese Methode hin und wieder bei euch an. Hm, komisch, denkt ihr euch dann irgendwann sicherlich. Klar, ihr "tickt" hin und wieder aus (Meltdowns), aber andere Kinder machen das doch auch (keine Meltdowns, sieht von außen sehr ähnlich aus, dazu komme ich später) und die bekommen keine "Hundeleine" angelegt ...

Es setzt sich der Gedanke fest, dass das Kind diese Behandlung vielleicht sogar verdient hat, weil es eben autistisch ist. Weil es weniger wert ist. Es hat keine/weniger Rechte. Es darf nicht selbst bestimmen, wann es ihm zu viel wird, wann es sich aus einer Situation zurückziehen darf.

Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen müsste, aber wir Autisten sind KEINE Hunde.

Mal ganz zu schweigen davon, was das wohl mit einem Kind - ob neurotypisch oder nicht - anstellt, wenn es erwachsen ist. Natürlich wird das nicht für jedes Kind gelten, aber genügend wird das sicherlich ... vielleicht nicht zwingend traumatisieren, aber es wird sie in eine negative Richtung hin verändern. Es wird einen Effekt auf die Psyche haben.

Nun gut, aber jetzt gehen wir mal wirklich davon aus, dass da ein autistisches Kind ist. Vielleicht sogar eins, das nicht erst fünf Jahre alt ist. Es hat relativ leicht Meltdowns, es ist schnell überfordert und besagte Meltdowns können auch mal darin ausarten, dass das Kind sich selbst und eventuell sogar andere verletzt. Hier könnte man nun sagen, dass dies eine Ausnahmesituation ist, ein Notfall. Und ich sage es mal so: In sehr, sehr speziellen Fällen kann es ein Notfall sein und in wirklich sehr, sehr, extrem speziellen Fällen wäre eine "Hundeleine" als Übergangslösung eine Idee, die man sich mal durch den Kopf gehen lassen könnte.

Aber generell? Nein. Nein. Weshalb? Simpel: Meltdowns können verhindert werden, Meltdowns haben Voranzeichen, bevor sie auftreten, Meltdowns haben immer einen Grund.

Zuerst einmal: Was ist ein Meltdown?

Ein (autistischer) Meltdown ist eine heftige Reaktion auf zu viele Reize. (Geräusche, Gerüche, Menschen, Lichter, Berührungen, Texturen, Stoffe, Konsistenzen, Emotionen, Schmerzen etc. pp)

Nicht jeder Autist/jedes autistische Kind hat (immer) den gleichen Meltdown, aber im Allgemeinen kann solch ein Meltdown bestehen aus:

  • Heulen
  • Kreischen
  • Treten, Schlagen
  • Beißen
  • Mit Sachen um sich werfen
  • Selbstverletzung (Kratzen, sich selbst hauen, beißen, Kopf gegen die Wand schlagen o.Ä)
  • Verletzung von anderen (Durch z.B Treten, Schlagen und Beißen)

Eine verzwickte Situation - Für alle Beteiligten. Das Kind ist völlig überwältigt und weiß sich nicht anders zu helfen (Der Computer ist überhitzt, überlastet, deshalb der Meltdown), die Eltern sind besorgt um die Sicherheit ihres Kindes (und ihrer eigenen, der der Leute um sie herum) und die Außenstehenden starren verwirrt aus der Wäsche und fragen sich, ob sie hier im falschen Film sind. (Wenn man ganz viel Glück hat, bekommt man als Elternteil auch noch einen doofen Spruch von ahnungslosen Passanten hinterhergeworfen.)

Aber man muss verstehen: Ein Meltdown kommt nie wirklich plötzlich. Hier sind ein paar Voranzeichen (Die sogenannte "rumble stage"):

Many autistic people will show signs of distress before having a meltdown, which is sometimes referred to as the “rumble stage”. They may start to exhibit signs of anxiety such as pacing, seek reassurance through repetitive questioning or physical signs such as rocking or becoming very still.

Quelle: https://www.autism.org.uk/advice-and-guidance/topics/behaviour/meltdowns/all-audiences#:~:text=Anticipating%20a%20meltdown,rocking%20or%20becoming%20very%20still.

Und:

At this stage, there may still be a chance to prevent a meltdown. Strategies to consider include distraction, diversion, helping the person use calming strategies such as fiddle toys or listening to music, removing any potential triggers, and staying calm yourself.

(Quelle: Die selbe wie oben)

Bevor wir schauen, wie wir diese Situation am besten handhaben können, möchte ich erstmal erklären, was der Unterschied zwischen einem autistischen Meltdown und einem "Trotzanfall" o.Ä ist. (Wobei ich nicht sagen würde, dass das Kind trotzig ist. Es bemerkt einfach nur, dass es ein eigenständiges Individuum mit eigenen Wünschen, Gedanken, Gefühlen und Bedürfnissen ist und das sollte respektiert werden.)

Wie bereits erwähnt sehen Meltdowns und "Trotzanfälle" von außen sehr ähnlich, wenn nicht sogar identisch, aus. Das Kind ist überbelastet und schmeißt sich heulend, kreischend und tretend auf den Boden? Das Kind bekommt kein elftes Überraschungsei und schmeißt sich heulend, kreischend und tretend auf den Boden? Where's the difference? Der Unterschied liegt in den Gründen. Während Kind B frustriert darüber ist, dass es seinen Willen nicht durchsetzen kann (Legitime Emotionen und das Kind muss lernen, mit diesen umzugehen), ist Kind A (das autistische) so überwältigt von all den Reizen, dass es sich nicht mehr anders zu helfen weiß.

Man möge denken, dass dies doch klar sein sollte, aber ich sehe noch, mit einer relativen Regelmäßigkeit, wie autistische Meltdowns als "Trotzanfälle" ((temper) tantrums) bezeichnet werden.

Nun, wie kommt man als Elternteil nun am besten aus dieser Situation heraus, wenn es bereits geschehen ist? Wenn das Kind mitten im Meltdown-Modus ist? Das Erste ist: Man ignoriert die Blicke und dummen Sprüche der anderen Leute. Ja, das ist nicht immer ganz so leicht, aber irgendwann sollte man bemerkt haben, dass es egal ist, was andere Leute denken, solange das Kind und man selbst in Sicherheit ist.

Überlegen wir uns nochmal, was zu einem Meltdown führen kann und behalten dabei stets im Hinterkopf, dass Autisten viele Dinge nicht filtern können und diese daher deutlich extremer wahrnehmen, als neurotypische Leute. Bleiben wir im Supermarkt, weil das so passend ist. Wir haben:

  • (Oftmals) viele Leute (Viele Leute = Viel Gewusel, = viel Krach, = viele, plötzliche Berührungen
  • Gerüche
  • Durchsagen
  • Lärm (Leute unterhalten sich, Kassen piepsen, die Durchsagen plus die Musik, Kassierer/Kassiererinnen räumen Regale ein etc. pp)
  • Lichter (Die wirklich sehr irritierend, wenn nicht sogar schmerzhaft sein können)
  • Unordnung (Manchmal wird umgeräumt, Produkte sind nicht mehr da, wo sie letzte Woche noch standen)
  • und sicherlich noch mehr, was mir gerade nicht einfällt

Kurzum: Supermärkte sind für viele Autisten eine enorme Belastung.

Daraus kann nun also ein Meltdown resultieren, okay. Da wir das nun alles verstanden haben (hoffe ich), kommen wir zurück zum Kind an der Kasse, welches gerade einen Meltdown durchlebt. Wichtig: Man versucht sein Bestes, das Kind an einen sicheren, reizarmen/reizärmeren Ort zu bringen. Dass das leider nicht immer möglich ist, ist mir klar. Aber man sollte wissen, dass dies die beste Lösung ist, denn nur mit diesem Wissen kann man sich besser auf den nächsten Meltdown vorbereiten. Wir kennen den Unterschied zwischen Meltdown und Trotzanfall, wir kennen die Voranzeichen eines Meltdowns und wir kennen die Gründe eines Meltdowns.

Hat man es irgendwie geschafft, das Kind in eine sichere, reizarme Umgebung zu bringen, ist es wichtig, das Kind nicht zu bedrängen. Nicht berühren, nicht knuddeln! Es sei denn, das Kind sagt oder zeigt selbst, dass es gerne umarmt werden möchte. (Denn ja, manchmal wollen wir Autisten auch umarmt werden.) Man versichert dem Kind, dass man da bleiben wird, dass man aufpassen wird, dass nichts passiert. All die Emotionen, die zu dem Meltdown geführt haben, sind komplett valide. Man selbst mag sie vielleicht nicht verstehen, aber man versteht - als halbwegs kompetentes Elternteil - dass es etwas sehr Schwieriges für das Kind ist. Man kann z.B auch Stimming-Toys anbieten.

Der Schlüssel dazu, dass das Kind keinen Meltdown bekommt - zumindest nicht dort, wo es wirklich gefährlich werden könnte - liegt in der Prävention. Er liegt darin, im Voraus zu wissen, was zu solch einem Meltdown führen kann und diese Situationen - so gut es geht - zu vermeiden. Zu realisieren ist dies in der Praxis jedoch nur manchmal. Und wenn das Kind z.B nie lernt, alleine einzukaufen ... Nun, wie soll es dann lernen, jemals alleine einzukaufen? Autistische Kinder werden zu autistischen Erwachsenen.

Hier gilt es also, zusammen mit dem Kind Tricks, Strategien zu entwickeln, wie es den Einkauf erlernen kann. Simpel gesagt. Dies kann ohne, aber auch mit professioneller Hilfe geschehen. (Man möge nur bitte darauf achten, dass die Person sich auch wirklich mit Autismus auskennt.)

Zum Thema Stimming:

Wir alle stimmen - ob neurodiverse oder nicht -, doch Autisten machen das im Allgemeinen deutlich häufiger und nicht selten auch auffälliger. Das liegt daran, dass unser Gehirn all die Reize und Informationen nun einmal nicht so leicht verarbeiten kann. Stimming ist also ein essentielles Hilfsmittel für Autisten und autistische Kinder, um sich vor einem Meltdown zu bewahren. Stimming hilft mit dem Verarbeiten von Reizen etc. Abgesehen davon hat es noch zwei andere Funktionen: Manchmal stimmen Autisten, weil wir zu wenigen Reizen ausgesetzt sind. Denn ja, das kann auch der Fall sein. (Funfact: Viele Autisten weisen sowohl Hyper- als auch Hyposensibilität in unterschiedlichen Bereichen auf.) Und manchmal macht es uns einfach Spaß, zu stimmen. Also: Wieso unterdrücken? Wieso verbieten?

Wenn das Kind häufig Meltdowns hat, sollte man sich folgende Fragen stellen:

  • Zerre ich das/mein Kind häufig an Orte, in Situationen, in welchen es vielen Reizen ausgesetzt ist? (Und: Ist dies wirklich immer, unbedingt nötig?)
  • Bestehe ich z.B darauf, dass es Lebensmittel essen soll, welche es ganz eindeutig nicht essen kann (Aufgrund der Hypersensibilität im Bezug auf Geschmacksrichtungen und/oder Konsistenzen - Daher das eingeschränkte Essverhalten bei einigen Autisten)?
  • Erlaube ich dem/meinem Kind, Stimming zu betreiben?

Wir bemerken: Mit Liebe und Verständnis, mit ernsthafter Interesse an Autismus und Autisten kommt man wesentlich weiter als mit einer Hundeleine o.Ä.

Übrigens bin ich nicht nur Autistin. Meine Mutter ist es ebenfalls (Ich bekam meine Diagnose mit 10, sie vier Jahre später) und sie musste mich ab meinem 9. Lebensjahr komplett alleine großziehen. Selbst all die Jahre davor hatte sie kaum Hilfe bekommen, auch da mein Vater die Angewohnheit hatte, sich kaum um mich zu kümmern. Mich zu den Großeltern schicken war nicht drin - Die akzeptierten meinen Autismus nicht. Selbiges galt für Tanten und Onkel. Mich wo hingeben? Forget it, nur, wenn ich es von mir aus wollte. Man konnte mich nicht einfach so mal zu jemandem geben, denn ich war ein Mama-Kind. Mama MUSSTE dabei sein, sonst wäre mir alles zu viel. Und die Lehrer? Die haben getan, als gäbe es Autismus gar nicht. Ich denke also, dass ich beide Seiten relativ gut kenne. Das ist nämlich der Haken mit solchen Aussagen wie "Hab du erstmal ein autistisches Kind" o.Ä. Wenn dieser Satz von neurotypischen Eltern gesagt wird, können sie nicht beide Seiten sehen. Autistische Eltern auf der anderen Seite, kennen meist beides. Sie wissen, wie es ist, als Autist/Autistin zu leben, genauso wie sie wissen, wie anstrengend und verzweifelnd es sein kann, ein autistisches Kind großzuziehen. Insbesondere, wenn man unfaires Verhalten gegenüber dem eigenen Kind miterleben muss, welches man selber über sich ergehen lassen musste.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽

Zitruseulchen  18.08.2022, 15:39

Fortsetzung meiner Antwort:

Besonders perfide wird die "Hundelein"-Methode jedoch, wenn wir unser Augenmerk auf autistische Kinder lenken, welche nicht sprechen können. Nicht etwa, weil sie stumm oder gehörlos sind (Bei der Autismus-Diagnostik wird sowas überprüft, zwecks Differenzialdiagnostik), sondern weil manche Autisten - sowohl Kinder, als auch Erwachsene - nicht oder nur wenig sprechen können. Manche Autisten lernen auch generell ziemlich spät das Sprechen. Ich habe das zum Beispiel erst im Alter von 4/5 Jahren erlernt - Mit der Hilfe einer Logopädin. Jetzt kann ich ganz normal sprechen, aber nicht alle Autisten/autistische Kinder haben dieses Glück. Insbesondere während eines Meltdowns kann dieses Nicht-sprechen-können sehr schlimm werden.

Natürlich liegt es hier an den Erziehungsberechtigen, dafür zu sorgen, dass das Kind sich verständigen kann. Wenn nicht mit gesprochener Sprache, dann in irgendeiner anderen Form. Denn auch "non-verbale" Autisten haben viel zu sagen, viel zu erzählen und allem voran Bedürfnisse, ein Recht auf Selbstbestimmung, welches sie zu jeder Zeit deutlich machen können sollten. Leider gehen nicht wenige Leute davon aus, "non-verbale" Autisten wären dumm, würden nichts von ihrer Umwelt mitbekommen etc.

Gehen wir also zurück in den Supermarkt - Zusammen mit dem autistischen Kind. Aber diesmal kann das Kind sich nicht durch gesprochene Sprache verständigen, es bekommt nicht die Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, damit es seine Gefühle ausdrücken kann (Welches selbst Autisten, die sprechen können, nicht immer leicht fällt) und es muss sein Stimming unterdrücken, denn "Was sollen bloß die Leute denken?".

Zuerst einmal: You had it coming. Was hast du erwartet? Als Elternteil, meine ich.

Wie dem auch sei. Wir stellen uns nun also vor, dass das Kind dort steht (oder brüllt, heult, ...) mit der "Hundeleine" an der Hand oder sonstwo. Es kann sich nicht verständigen, es ist überlastet, es weiß sich nicht anders zu helfen. Zerr dein Kind nicht mit Ach und Krach in solche Umgebungen, insbesondere dann nicht, wenn du erwartest, dass es ohne Hilfe und Verständnis die große Hürde namens "Einkauf" bewältigen kann.

Besonders perfide wird es hier eben, da das Kind noch nicht einmal vorher ausdrücken kann, dass es ihm zu viel wird. Dem Kind wird gezeigt: Hey, du hast kein Recht auf Selbstbestimmung und deine Emotionen sind nicht ernstzunehmen. Wir werden dich an der Leine halten und du wirst damit zurechtkommen müssen, dass deine eigenen Grenzen übergangen werden, dass du dich nicht aus der Situation herausnehmen darfst.

Außerdem: Wie viele Eltern würden die Methode wohl auch dann benutzen, wenn sie gar nicht nötig ist? Also wirklich, absolut gar nicht? Wie viele Eltern würden diese Methode ausnutzen?

Wer jetzt immer noch meint, die "Hundeleine" wäre eine tolle Methode, dem ist auch nicht mir zu helfen. Na ja, ich hab schon von wesentlich grausameren Taten gegen Autisten/autistischen Kindern gehört/gelesen und immer wieder fällt mir auf: Manche neurotypische Leute lieben es, sich in die Opferrolle zu stellen.

So, nun bin ich fertig. Tut mir leid, dass es so lange geworden ist.

Glaskocher  25.08.2022, 22:22

Danke für diesen sehr ausführlichen und nachdenklich machenden Text zu diesen recht komplexen Thema.

MomoftheMandA  21.04.2023, 21:15

Das ist die Krasseste Antwort überhaupt und genau so ist es hier und wird es hier gehandhabt. Nicht diagnostiziert. Aber dass muss es auch nicht. Wenn man recherchiert und besagte Strategien schon durchführt und sieht was passiert. Für Kita, Schule und Förderung in nötigen Bereichen, lassen wir uns definitiv testen.

Völlig Legitim. Man sollte das auf keinen Fall mit Hundeleinen oder sonstiges gleichstellen!!!

Ich habe sowas schon öfter gesehen, erst letztens auf ein Volksfest, bevor dir das Kind irgendwo hineinrennt oder sich verletzt, dann ist das doch das geringere Übel und man geht mit dem Kind raus und unternimmt was, statt es im Haus zu behalten, damit es ja geschützt ist!!!

Da Autisten ein anderes Körpergefühl anderen Menschen gegenüber haben als "Neurotypische", kann die Verbindungsleine oder Führleine auch bedeuten, daß das Kind zwar unter räumlicher Kontrolle ist, aber nicht dauernd menschlichen Hautkontakt hat. Wenn letzterer zu größeren mentalen Problemen führt als die Leine, dann ist die Leine vorzuziehen. Bei neurotypischen Kindern reicht es meistens, sie ohne Leine an die Hand zu nehmen.

Es ist aber selbstverständlich, daß die Leine besser am Oberkörper, Gürtel oder zur Not am Handgelenk des Kindes angebracht ist, statt um den Hals.

Da würde ich sowas "besser" finden.

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Du kennst die Begebenheiten nicht, du weisst nicht ob sich das Kind losreisst wenn du mal 1 sek mit den Gedanken bei was anderem bist, und direkt auf ein Auto zuspringt...hin und wieder geht es halt bei psychisch kranken Kindern nicht anders.


kiniro  17.08.2022, 22:52

Autismus ist keine psychische Krankheit.

Ich habe neulich einen Vater mit Vierlingen gesehen, da hatten alle 4 einen Gurt um den Bauch und der Vater eine Leine mit vier Seilen. Fand ich eine gute Idee. Diejenigen die sich darüber aufregen sollten selbst erst mal versuchen wie man so eine Rasselbande bändigt.