Selbstdiagnose?

4 Antworten

Bei Selbstdiagnosen kann ich beide Seiten verstehen, aber darum soll es jetzt gar nicht gehen.

Herausfinden tust du das nur, indem du einen Termin bei einem Facharzt machst. Ein Facharzt bedeutet in deinem Fall: Ein auf Autismus spezialisierter Psychiater oder wahlweise auch Neurologe.

Am wichtigsten sind 3 Dinge, wenn es um Selbstdiagnosen bezüglich Autismus geht:

  1. Wie lange du dich mit der Thematik bereits beschäftigt hast
  2. Wo/Bei wem du dich über die Thematik bereits informiert hast (Viele Seiten, Bücher und Leute verbreiten Fehlinformationen/Halbwahrheiten/Vorurteile über die Autismus-Spektrum-Störung. Von Tiktok, Seiten wie Autism Speaks, Netdoktor, Neurologen-und-Psychiater-im-Netz, der Wikipedia-Seite und vielen mehr würde ich beispielsweise ganz viel Abstand nehmen, wenn es um Autismus geht. Das Schwierige ist, dass viele Seiten zwar einiges schreiben, was korrekt ist, sie jedoch auch im selben Artikel viel sagen, was inkorrekt ist oder nur auf manche Autisten zutrifft.)
  3. Dass du weißt, dass autistische Anzeichen ihren Ursprung genauso gut auch in einer anderen Behinderung/Störung oder sogar in einer Krankheit haben können. (Ebenso ist es auch wichtig zu erwähnen, dass es Komorbiditäten gibt.)

Ich weiß nun natürlich nicht, was du bereits für Anzeichen kennst. Am besten wäre es, wenn ich/wir das vorher wüsste(n). Aber nun gut, was mir aktuell aus dem Stehgreif einfallen würde, wäre:

  • Probleme mit dem Augenkontakt (Entweder zu wenig Augenkontakt, oder regelrechtes Starren. Man empfindet Augenkontakt als höchst unnatürlich, unangenehm, manchmal ist er sogar mit physischen Schmerzen verbunden. Es kann auch sein, dass man zwar Augenkontakt halten kann, sich daran jedoch selber erinnern muss und es nichts ist, was man intuitiv macht. Ebenso kann es sein, dass man sich dadurch nicht mehr so gut auf das Gesagte des Gegenübers konzentrieren kann. Generell würde es für Autismus sprechen, wenn du Probleme damit hast, abzuschätzen, wann und wie lange du deinen Gesprächspartnern in die Augen schauen sollst, wenn es sich für dich nicht natürlich anfühlt. Wenn du lediglich Probleme damit hast, weil Augenkontakt für dich beschämend ist, du dann Angst hast, spricht das eher für z.B. eine Sozialphobie - Wobei man natürlich auch sowohl Autismus, als auch eine Sozialphobie haben kann.)
  • Hyper- und/oder Hyposensibilität im Bezug auf z.B: Geräusche/Lärm, Gerüche, Lichter, Berührungen, Hitze, Kälte, physische Schmerzen, Veränderungen im Luftdruck oder der Luftfeuchtigkeit, Geschmack, Konsistenzen, Texturen, Stoffe, etc. pp. Es kann durchaus sein, dass man im selben Bereich sowohl Hyper-, als auch Hyposensibilität aufweist. Beispiel: Du bist hyposensibel, wenn es um laute Musik geht, kannst es jedoch gar nicht aushalten, wenn jemand im Nebenzimmer staubsaugt.
  • Stimming (Um Reize zu filtern, Reize herzustellen, sich besser zu konzentrieren etc. Wichtig ist, dass Stimming nicht einfach so abgestellt werden kann und wenn doch, nur mit Anstrengung.)
  • Spezialinteressen (Diese sind sehr, sehr selten echte Inselbegabungen und haben nichts damit zu tun, dass das Interesse sich unbedingt auf Themen/Objekte beziehen muss, welche "speziell" sind. Ein Spezialinteresse ist ein Spezialinteresse, weil man sich jeden Tag, stundenlang damit beschäftigen kann, man eventuell sogar alles um einen herum vergisst/ausblendet, man in Gesprächen häufig den Drang hat, darüber zu reden, man traurig/wütend/ängstlich/verwirrt/gereizt wird, wenn man diesem nicht nachgehen kann und weil es einem selbst sehr hilft.)
  • Motorische Schwierigkeiten (Dies kann z.B beinhalten: Schwimmen, Fahrradfahren, Purzelbäume schlagen, Handschrift, Schuhe zubinden, dem Zubereiten von Essen, dem Essen an sich, Duschen, Zähneputzen, ... Quasi alles was zur Fein- und Grobmotorik gehört. Manche haben dort mehr Schwierigkeiten als andere.)
  • Probleme mit den Propriozeptionen
  • Probleme mit den Exekutiven Funktionen
  • Probleme damit, zwischen den Zeilen zu lesen
  • Probleme mit dem Lesen von Mimik, Gestik und Körpersprache sowie dem "korrekten" Anwenden dieser
  • Probleme mit dem Erkennen oder Anwenden von Ironie, Sarkasmus sowie Sprichwörtern, Redewendungen etc.
  • Gesagtes häufig zu wörtlich nehmen
  • Monotone Sprechart
  • Probleme mit dem Anpassen der eigenen Sprechlautstärke (Du redest also entweder oft zu leise oder zu laut, ohne dass du es selbst bemerkst.)
  • Ein Blick fürs Detail
  • Den Drang, Regeln auch dann einzuhalten, selbst wenn jeder andere weiß, dass diese auch gebrochen werden können (Es gibt ja Regeln, die nicht so starr gesehen werden müssen.)
  • Komische Gangart und/oder Sitzart (Komische Gangart ganz z.B. bedeuten, dass du oft auf den Zehenspitzen läuft. Jedenfalls wird es dafür sorgen, dass deine Schuhe deutlich schneller kaputt gehen, als sie es eigentlich sollten. Ich bin z.B. als Kind oft über meinen großen Zeh gestolpert.)
  • Eventuelle Echolalie (Haben aber auch nicht alle Autisten)
  • Eventuelle Alexithymie (Es gibt auch Leute, die Alexithymie und keinen Autismus haben, aber bei Autisten soll der Prozentsatz deutlich höher sein)
  • Nicht wissen, wann man dran ist mit sprechen
  • Abneigung gegenüber Telefonaten
  • Starker Gerechtigkeitssinn
  • Abneigung gegenüber Lügen, großer Wille, immer die Wahrheit zu sagen (So sehr, dass du höchstwahrscheinlich hin und wieder mit anderen angeeckt bist, weil diese meinten, du wärst unhöflich gewesen. Wichtig ist: Du bist nicht unhöflich, weil du es sein willst, sondern weil du selbst gar nicht bemerkst, dass du unhöflich bist und du tatsächlich der festen Überzeugung bist, dass die Wahrheit immer die beste Antwort ist und du Probleme damit hast, du verstehen, weshalb Leute aus "Nettigkeit" lügen.)
  • Probleme mit verbalen Anweisungen, besonders dann, wenn es mehrere hintereinander sind und diese nicht detailliert genug erklärt wurden
  • Probleme damit, mit einer Aktivität weiter zu machen, wenn man bei dieser unterbrochen wurde und/oder Probleme damit, mit einer neuen Aktivität anzufangen, von der einen in die andere Aktivität überzugehen
  • Eingeschränkte Essensvorlieben aufgrund der Hyper/Hyposensibilität, höchstwahrscheinlich zeigst du physische Abneigung, wenn du diese essen musst, z.B Übelkeit, Würgereflex, starkes Schütteln o.Ä. (Es liegt also nicht an irgendwelchem Allergien)
  • Tendenz dazu, andere häufig zu unterbrechen und wenn du redest (insbesondere wenn es um deine Spezialinteressen geht), ist es sehr schwer für andere, auch mal zu Wort zu kommen
  • Nicht bemerken, wenn andere gelangweilt sind
  • Ein starkes Bedürfnis nach Routine, bei dem dich eventuell auch kleine Abweichungen aus der Bahn bringen können
  • Angst vor Veränderungen
  • Probleme mit Autoritätspersonen (Wird hier gut erklärt:
Autistic children in school are somewhat notorious for finding it hard to adapt to the authority of teachers– some teachers more than others. This is not because they’re evil little ragamuffins, as some teachers would have it, but because their natural state is to assume equanimity. Autistic students (and I speak from long experience) will not bow to authority for authority’s sake.
They will respect it, if respect can be had, and they’ll do what they’re told — if it makes sense; but they won’t blindly accept authority.
(...)
I know from my experience of being a manager/leader that I just wanted to let people do their job, and assumed they’d do it well. I wasn’t happy issuing diktats to them or punitive messages from higher up and tended to try to shield them from all that crap.
But this is not how managers are meant to behave. I couldn’t handle the “telling off” side of the job (like confronting people for being ill and absent-  wtf!?), so I handed in my notice and went back to classroom teaching.

Quelle: https://neuroclastic.com/autism-and-responding-to-authority/ )

  • Abneigung gegenüber Spontanbesuchen, Überraschungen, Leuten, die entweder zu früh, oder zu spät kommen, wenn ein anderer Weg zur Schule/Arbeit/Uni genommen werden muss, als normalerweise etc.
  • Tendenz zum Infodumping, Oversharing und/oder Overexplaining
  • Eventueller Hang zum Personifizieren von Objekten oder Tieren (Man findet sich z.B. dabei, starkes Mitgefühl für Teddybären auf dem Flohmarkt zu haben und will sie alle kaufen, um sie zu versorgen etc.)
  • Eventuelle Hyperempathie (im Englischen Hyperempathy), wobei hier zu erwähnen ist, dass wie alles im Autismus-Spektrum auch unsere Empathiefähigkeit ein Spektrum ist. Manche haben so starke Empathie (Hyperempathy), dass sie nicht einmal die Nachrichten lesen können, ohne dem Risiko ausgesetzt zu sein, einen Meltdown/Shutdown zu bekommen, solche, die zwar viel Empathie fühlen, sie aber nicht oder nicht "korrekt" zeigen können, solche, die nur eine selektive Empathie haben oder nur dann, wenn sie bereits selbst in der selben/einer ähnlichen Situation waren, solche, die wirklich gänzlich damit Probleme haben etc. pp. Wichtig ist immer, zu erwähnen, dass Empathielosigkeit einen nicht zu einem schlechten Menschen macht. Man kann trotzdem Mitgefühl haben und nur das Beste für seine Mitmenschen und Mitlebewesen im Allgemeinen wollen)
  • Selektiver Mutismus (Dieser kann während eines Shutdowns kommen, wenn du Angst hast, in Situationen mit viel Stress, wenn du dich unwohl fühlst, du in einer Situation oder an einem Ort bist, in der/in dem du dich nicht auskennst usw. In solchen Momenten bist du schlicht und ergreifend nicht dazu in der Lage, zu Sprechen. Sprechen bereitet dir physische Schmerzen. Dir liegen die Wörter wahrscheinlich auf der Zunge, aber sie kommen einfach nicht raus.)
  • Meltdowns und/oder Shutdowns - keine Trotzanfälle oder Wutanfälle -, ausgelöst durch zu viel sensorischen Input (Stimming hilft da sehr, allerdings kann es durchaus sein, dass irgendwann selbst das nicht mehr genug ist. Jeder Autist/jede Autistin hat seine/ihre Grenzen da woanders und es kann auch sein, dass Meltdowns erst kommen, wenn man bereits wieder Zuhause ist. Besonders Individuen, die ihre autistischen Verhaltensweisen maskieren (Masking) tendieren häufig dazu, dafür Zuhause starke Meltdowns zu haben. Es kann oft auch zum autistischen Burnout kommen. Die Anzeichen/"Symptome" für Autismus variieren stark, jenachdem, wie alt du bist, wie dein Umfeld ist, welche Hilfsmittel dir zur Verfügung stehen etc. pp.)
  • Einiges mehr, was mir gerade nicht einfallen will

Auch wichtig: Ein signifikanter Anteil muss zustimmen, aber es muss nicht alles zustimmen. Es existiert mit 99,9%iger Wahrscheinlichkeit kein Autist (oder keine Autistin) auf der Welt, bei dem sämtliche Punkte immer und immer gleichstark zutreffen.

Nichtsdestotrotz - trotz meiner noch längst nicht vollständigen Liste - würde ich dir wirklich dazu raten, lieber zu versuchen, einen Termin bei einem Facharzt auszumachen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽

Ich kann bei mir "alles" selbst diagnostizieren, wenn in lange genug im Internet suche.

Nur weil bei dir das eine oder andere zutrifft, heisst das nicht, dass du Autist bist. Es gibt Diagnosezentren, die sich auf Autismus spezialisiert haben. Wenn du den Verdacht hast, Autist zu sein, wende dich an eins der Zentren (z.B. Uniklinik Koeln) und lass dich testen.

Dann zähl doch mal die Punkte auf, die dir an dir autistisch erscheinen.

Das macht die Sache einfacher, eine Vermutung in die eine oder andere Richtung zu äußern.

Über die Symptome sowie Klischees wirst du bestimmt einiges gelesen haben.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – ASS-Diagnose mit 50 / über 20 Jahren im Thema

Durch das Konsultieren eines Fachmenschen. Für Diagnosen sind diese zuständig, nicht du.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Diagnostizierte Autismus-Spektrum-Störung