Hallo allerseits!
Ich bin ein 17-Jähriger Förderschüler, der die 10. Klasse einer Lernbehindertenschule besucht, um einen Hauptschulabschluss zu erlangen. Ich wurde drei Monate nach meiner Einschulung aus der Grundschule selektiert, weil ich – nach Aussage meiner damaligen Lehrerin – den Anschluss verloren haben soll. Die Frage, inwiefern ich wirklich eine Lernbehinderung habe und ob ich tatsächlich nicht in der Lage wäre, den Unterricht an einer Regelschule zu folgen, lässt mir keine Ruhe. Wenn ich mir im Internet die Definitionen der Lernbehinderung durchlese, stelle ich fest, dass ich zumindest beim Lernen keine Schwierigkeiten habe, die an solche Definitionen erinnern. Ich habe weder eine Leise- noch eine Rechtschreibschwäche und auch keine Rechenschwäche. Stattdessen bin ich durchaus in der Lage, mir schulische Fertigkeiten, auch mit Hilfe Lernliteratur höherer Schulformen betreffend, autodidaktisch anzueignen. Mit dem Lernhilfsbuch „Wissen fürs G-8“ vom Duden-Verlag, das ich während meiner Freizeit gelesen habe, um mir ein Bild vom gymnasialen Schulstoff zu machen, habe ich keine nennenswerten Schwierigkeiten.
Ich zitiere eine Passage aus einem Artikel, der eine ältere Lernbehinderte thematisiert, die – bis auf die 10. Klasse – den gleichen schulischen Werdegang vorzuweisen hat:
»Lernbehindert ist, wer die Schule nicht packt, wer Probleme mit Lesen, Schreiben und Rechnen hat und dazu sich generell ein bisschen komisch gebärdet. "Drei Euro neunzig", wie viel Rückgeld gibt man dann bei einem Zehn-Euro-Schein? Wer lernbehindert ist, weiß so was nicht. Wer lernbehindert ist, kann in der zehnten Klasse, am Ende der Schulzeit, lesen und schreiben wie ein mittelmäßiger Grundschüler. […] Wie soll jemand, der diesen Text hier nicht lesen, geschweige denn verstehen kann, einen Computer bedienen? […]Lernbehinderte können nicht alles lernen und vor allem nicht so schnell. Daran lässt sich kaum etwas ändern. […]Lernbehinderte haben ein Problem mit Kommunikation, sie können nicht alles sagen oder fragen. Das aber könnten und sollten sie lernen, dafür war Sema in der KostBar. « (http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/arbeit-fuer-lernbehinderte-ein-traum-mit-halben-aepfeln-a-779311-2.html)
Als ich 9/10 Jahre alt war, hatte ich beim Einkaufen keine Probleme, das Rückgeld auszurechnen und konnte auch problemlos lesen. Diese Frau kann das alles nicht einmal mit 29, was ich einfach nicht verstehe, in Anbetracht der Tatsache, dass die Frau fast denselben schulischen Werdegang hat wie ich.
Es gibt Tage, da wäre es mir lieber, dass ich wirklich lernbehindert wäre und kaum lesen könnte. Dann wäre ich nicht in der Lage, solche Artikel zu lesen und bräuchte mir keine Gedanken zu machen, ob ich nun lernbehindert bin oder nicht. Dann hätte ich meinen Frieden. Aber vielleicht bin ich ja lernbehindert, genauso wie Sema aus dem Artikel.
Lieben Gruß