Keuschheit im Buddhismus?

2 Antworten

Sei gegrüßt,
im Buddhismus gibt es verschiedene Ausprägungen der Keuschheit. Sie wird vor allem mit dem monastischen Leben assoziiert, doch findet sich auch eine reiche Kultur um diese Praxis im Laienstand.

Keuschheit ist essenzieller Bestandteil der monastischen Gelübde. Hat man Geschlechtsverkehr, ohne sich vorher von dem monastischen Leben abgesagt zu haben, verliert man automatisch seinen Status als Mönch. Entrobt man aber vorher ordentlich, ist es kein Problem aus konventioneller Sicht.

Keuscheit für Laien ist kein absolutes Muss, wie es hier von anderer Seiter her gut ausgeführt wurde, jedoch wurde es vom Buddha empfohlen für spirituellen Fortschritt. Es gibt sogenannte "edle" (Pāḷi: ariya) Laien, die keinerlei Verlangen nach Sexualität verspüren, zum Teil begründet auf der Erfahrung weitaus erhabeneren Glücks der Meditation und Weisheit, die Sexualität im Vergleich als schmerzhaft erscheinen lässt.

Es finden sich Laien aller Stufen, die entweder ihr Leben lang freiwillig enthaltsam leben, oder an bestimmten Tagen (meist ca. einmal die Woche, an Voll-, Neu- und den Halbmondtagen) unter einfacheren Bedingungen, nach den sogenannten "Acht Tugendregeln" leben, Keuschheit mit einbezogen (siehe: https://zugangzureinsicht.org/html/lib/authors/nanavara/uposatha.html). Besonders die Einhaltung der Acht Tugenregeln ist sehr weit verbreitet unter Laienbuddhisten im Theravada Buddhismus.

Enthaltsamkeit nach der Lehre des Buddha ist eine für den Geist höchst gesunde Übung. Sie stärkt Selbstkontrolle, Genügsamkeit, Unabhängigkeit und fördert ein ruhiges Herz, Auge (kein Nachschauen) und höheres Glück. Im Vergleich dazu beschrieb der Buddha das Glück der Sexualität als ein "kotiges" und "minderwertiges" Glück. Er sprach nicht das angenehme Gefühl beim Sex ab, doch er kannte ein Glück unvergleichbar mit jeglichem Glück der Sinne, inkl. Sex. Ein zutiefst Stiller Geist, unberührt, "komplett" rein, gänzlich flexibel, in sich ruhend, unabhängig von jeder Sinnlichkeit und materiellen Dingen. Das höchst Glück was ein Wesen erreichen kann ... Warum Keuschheit negativ behaftet ist im Westen, ist weil dieses Glück dort meist nicht bekannt ist und es nicht gelehrt wird.

Ich selber lebe seit 2016 komplett enthaltsam als buddhistischer Mönch der Theravada Tradition und sehe viele Vorteile in diesem Lebensstil.

Liebe Grüße!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Ich bin Soto-Zen-Buddhist und möchte mich dazu äußern

Zölibat im Buddhismus

Sexuelle Enthaltsamkeit gilt nicht für buddhistische Laienanhänger, sondern der Verzicht auf sexuelle Handlungen bezieht sich im Wesentlichen auf den Stand der Geistlichen, also Mönche und Nonnen.

Aber selbst dabei muss man unterscheiden, da es beispielsweise in Japan durchaus das Tempelpriestertum existiert - hier heiraten Priester und geben ihr Amt meist innerhalb der Familie an die ältesten Nachkommen weiter.

Auch gibt es mittlerweile im Buddhismus auch reine Laienbewegungen, bei denen auch "geistliche Ämter" von Menschen wahrgenommen werden, die nicht monastisch als Geistliche ordiniert wurden.

In Südostasien ist es zudem nicht ungewöhnlich, lediglich eine Zeit lang im Rang eines Laienschülers als "Mönch auf Zeit" in einem Kloster zu leben - das sind meist Mitglieder wohlhabender Familien, die so auf "positives Karma" hoffen

Sünde und Keuschheit

Grundsätzlich kennt der Buddhismus das Konzept der "Sünde", also einen Verstoß gegen göttliche Gebote nicht - was nicht verwundert, da es im Buddhismus auch keine Lehre von einem allmächtigen Schöpfergott gibt.

Die fünf Sittlichkeitsgelübde

Der Mensch verpflichtet sich jedoch, wenn er die "Zufluchtnahme" vornimmt und formell Buddhist wird, zur Einhaltung der fünf Sittlichkeitsgelübde:

  • Kein Leben nehmen
  • nicht gegebenes nicht nehmen
  • die Sexualität nicht missbrauchen
  • die Rede nicht missbrauchen
  • den Geist nicht betäuben

Der Buddhismus hat nun keinen einheitlichen Katechismus, der genau festlegt, wie jedes dieser Gelübde vom Einzelnen idealerweise zu befolgen ist. Es bedarf also eigener Selbsterkenntnis und der Entwicklung von Weisheit.

Die Theravada-Tradition nennt aber z.B. besondere Personengruppen die sexuell unter dem Schutz der Gemeinschaft stehen - darunter Kinder, Verlobte, Strafgefangene und andere Menschen, die besonders schutzbedürftig sind.

Es bleibt aber letztlich an uns, was wir genau unter diesen Gelübden verstehen und wie wir sie in unserem Leben verwirklichen.

Grundsätzlich kann man sich zwei Fragen stellen:

a) verursacht mein (Nicht-) Handeln eine Form von Leiden?

b) begünstigt mein (Nicht-) Handeln eine Form von Abhängigkeit?

Das sind die Gradmesser an denen ein Buddhist sein Verhalten messen sollte. Dabei geht es nicht darum, bestimmte Dinge pauschal zur "Sünde" zu erklären.

Erfolg, Luxus, Sexualität - sie sind nicht von sich aus etwas "sündhaftes", sondern es ist eine Frage unseres Geistes - wie gehen wir mit diesen Dingen um?

Belügen wir Menschen um sie ins Bett zu bekommen? Betrügen wir einen Partner? Haben wir ungeschützten Sex? Dann wird Sexualität zur Quelle des Leidens

Entwickeln wir eine Abhängigkeit von unserem Partner oder gar eine Sexsucht, haften am Pornographiekonsum? Dann ensteht Abhängigkeit und damit Leiden.

Wer aber in der Lage ist, mit fünf bisexuellen Partnern eine gleichberechtigte Beziehung ohne unvermeidliches Leiden zu führen, der kann dies durchaus machen

Die Vorstellung einer restriktiven Sexualmoral, die Sex vor der Ehe, oder gleichgeschlechtliche Beziehungen pauschal durch ein Gebot verbietet, lässt sich aus Buddhas Lehren nicht ableiten.

Dinge wie z.B. die Homophobie einiger buddhistischer Lehrer, sind auf ihre kulturellen Prägungen und charakterlichen Mängel zurückzuführen, nicht aber auf die Lehre des Buddha.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Seit etwa 40 Jahren praktizierender Buddhist

BieneBienesummm 
Beitragsersteller
 20.07.2020, 00:36

Danke für deine ausführliche Antwort! Sie war wirklich sehr aufschluss- und hilfreich.

Enzylexikon  20.07.2020, 13:18
@BieneBienesummm

Sehr gerne, das freut mich. Aber wie du siehst, gibt es auch andere Beiträge, deren Wert nicht unterschätzt werden sollte. :-)