Kann jeder mit Fleiß ein Physikstudium schaffen?
Hallo,
ich studiere seit Oktober Physik, habe jedoch gerade in theoretischer und Experimentalphysik Probleme, es zu verstehen. Mit linearer Algebra läuft es ganz gut, denn da hat das Wissen keinen wirklichen Alltagsbezug, man muss es sich nicht wirklich vorstellen können, wenn ihr versteht, was ich meine. In theoretischer Physik aber zum Beispiel geht es gerade um konservative Kräfte, aber ich kann mir nichts wirklich darunter vorstellen. Ich verstehe zwar die Mathematik, die dort betrieben wird und kann es auch meistens anwenden (wir hatten in theoretischer Physik eine Zwischenklausur, die sehr gut lief), aber ich verstehe einfach nicht, wie das jetzt genau aussehen soll, ich habe kein Bild im Kopf, weiß nicht, was da gerade passiert und, und, und, … Ich habe das Gefühl, ich verstehe die Physik dahinter einfach nicht. Es dauert auch etwas länger, wenn ich meine Kommilitonen frage, bis es dann "Klick" macht.
Kann man das irgendwie lernen? Kommt das mit der Zeit oder bin ich einfach "zu doof" für's Studium?
Falls das eine Rolle spielt : Ich hatte Mathe und Physik als Leistungskurs und beides lief sehr gut, für das Studium habe ich mich entschieden, weil ich Mathe sehr gerne mag, Physik faszinierend finde und die Welt verstehen möchte. Einen konkreten Berufswunsch habe ich aber noch nicht vor Augen.
Ich freue mich sehr über eure Antworten! :)
3 Antworten
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Die Ursache der Schwierigkeit, die Du beschreibst, scheint mir die zu sein, daß der Lehrstoff in Teilgebiete zerstückelt präsentiert wird, noch bevor die Studierenden soweit sind, die Zusammenhänge zu sehen. Im Schulunterricht wird ja der gleiche Fehler gemacht.
Fleißiges Arbeiten ist nur eine Methode, um die Lücken zwischen den Wissensbruchstücken zu schließen. Fleiß allein bringt aber die Gefahr mit sich, daß man einsam leidet, sich in Details verrennt und mehr Überblick verliert als man hinzugewinnt.
Ich empfehle Kommunikation. Sprich mit anderen über Physik. Das kann gemeinsames Lernen sein, aber auch lockere kreative Unterhaltung.
Vor allem aber: Stelle Fragen. Das kannst Du auch hier tun, aber unbedingt solltest Du es an der Uni tun. Frag die Mitstudent(inn)en und frag die Lehrkräfte. Es ist ihr Job, Dir Auskunft zu geben und wir bezahlen sie dafür. Falls Du Dich scheust, zu fragen, überwinde die Scheu und ermutige auch die anderen, es ebenso zu tun.
Und hilf anderen, die Sachen zu verstehen, die Dir leicht fallen. Du lernst dabei auch selbst dazu, denn die Fragen öffnen immer neue Perspektiven auf die Dinge.
Ein gutes Buch ist: Uni-Angst und Uni-Bluff heute von Wolf Wagner.
https://www.rotbuch.de/buch/sku/61669/uni-angst-und-uni-bluff-heute.html
Auch wenn sie ursprünglich für Leute geschrieben wurde, die sich vor Mathematik fürchten, ist die Learning Bill of Rights auch auf Deine Situation übertragbar:
The Learning Bill of Rights
- I have the right to learn at my own pace and not feel put down or stupid if I’m slower than someone else.
- I have the right to ask whatever questions I have.
- I have the right to need extra help.
- I have the right to ask a teacher or tutor for help.
- I have the right to say I don’t understand.
- I have the right not to understand.
- I have the right to feel good about myself regardless of my abilities in a particular subject.
- I have the right not to base my self-worth on my skills in a perticular subject.
- I have the right to view myself as capable of learning any subject.
- I have the right to evaluate my instructors and my textbooks.
- I have the right to relax.
- I have the right to be treated as a competent adult.
- I have the right to dislike a subject.
- I have the right to define success in my own terms.
Quelle: Sheila Tobias, Math anxiety and physics: Some thoughts on learning ‚difficult‘ subjects. Physics Today, June 1985, p. 61-68. Diese Bill of Rights ist unter verschiedenene Überschriften und in verschiedenen Textvarianten auch auf einigen Webseiten zu finden.
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.... ich verstehe einfach nicht, wie das jetzt genau aussehen soll, ich habe kein Bild im Kopf, weiß nicht, was da gerade passiert und, und, und, … Ich habe das Gefühl, ich verstehe die Physik dahinter einfach nicht. ....
Das ist genau das, was einen Physiker ausmacht. Der unbändige Wunsch, dahinter zu kommen und es "zu verstehen". Was dabei herauskommt, kann man zum Beispiel bei Feynman sehen, der eine ganz eigene Art des "Verstehens" vorstellt.
Fleiß hilft immer. Wenn Fleiß bedeutet, sich andauernd, ausdauernd und immer wieder mit den Problemen zu beschäftigen. Das Studium hat den Vorteil, daß die meisten der erfolglosen Erklärungsversuche unterbleiben und somit viel Zeit gespart werden kann.
Und frage dich, ob die "Welt", die "Wirklichkeit" so sein kann, wie wir sie uns vorstellen.
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Das Studium ist in der Tat eine ganz andere Hausnummer als die Schulmathematik. Ich hatte allerdings Physik nur als Nebenfach und damit keine theoretische Physik. Was mir für ein tieferes Verständnis der Physik sehr geholfen hat, waren die Feynman Lectures, eben weil es ihm immer darum geht, nicht nur die Formeln herzuleiten, sondern auch das Prinzip dahinter zu verstehen. Wenn Du diese Bücher noch nicht kennst, solltest Du Dir sie auf jeden Fall mal anschauen.
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Hier gibt es die Feynman Lectures online: http://www.feynmanlectures.caltech.edu/
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Die konservativen Kräfte kommen in Band I, Kapitel 14, Abschnitt 14-3.
Vielen Dank, ich schaue mal rein :)