Ist wirklich jeder Mensch egoistisch?

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Liebe/r Ludwig20,

Deine Frage befindet sich in einem Grenzbereich zwischen Diskussionsfrage und Ratsuche.

Gerade bei Fragestellungen mit einem hohen Anteil an Diskussionspotential ist es umso wichtiger, die Ratsuche deutlich in den Mittelpunkt zu stellen. Bitte achte in Zukunft darauf.

Herzliche Grüsse

Amelie vom gutefrage.net-Support

20 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

In dieser Aussage wird ein tatsächlich in der Motivation/dem Streben vorhandener Umstand überzogen. Zu den inneren Bedingungen des Handelns gehört, auf etwas zu zielen, das sich subjektiv in irgendeiner Weise als „gut“ darstellt. Wer sich für etwas entscheidet, will etwas selbst für gut Gehaltenes (etwas Gutes, Angenehmes, Lust, Freude, das im Vergleich Bessere).

Daraus ist aber nicht eine zutreffende Folgerung, alles sei gleich zu beurteilen und zwischen allen Motiven (Beweggründen), Entscheidungen und Handlungen bestünden keinerlei grundsätzlichen Unterschiede von Belang.

Die Aussage tritt – kennzeichnend ist das eingebaute „nur“ und der Ausdruck „jede scheinbar selbstlose Tat“ - mit der Geste des Entlarvens auf. Was möglicherweise als „edel“ und „höheres“ Motivs eingeschätzt wird, soll als auch nicht besser als anderes gelten.

Was mit dem Begriff „Natur“ gemeint ist, kann unterschiedlich sein. Der Mensch ist einerseits Naturwesen, andererseits hat er das Wesen/eine natürliche Veranlagung ein kulturelles Wesen zu sein. Eine Tendenz zur Selbsterhaltung und grundlegende einfache Bedürfnisse können als naturbedingt verständen werden, aber das bloße Existieren allein ist nicht einziges Ziel. Es gibt vielfältige Bedürfnisse, Wünschen und Interessen. Die Maslowsche Bedürfnispyramide zeigt etwas von dieser Vielfalt und dem Hinzukommen von weiteren Bedürfnissen oberhalb der Stufe elementarer Grundbedürfnisse auf, bis hin zur Entfaltung von Anlagen und Vervollkommnung.

Personen können etwas 1. um seiner selbst willen, 2. um seiner Folgen willen, 3. sowohl um seiner selbst als auch um seiner Folgen willen anstreben.

Bei einer ausschließlichen Darstellung der Menschen als Egoisten mangelt es an wichtigen Unterscheidungen, die andere Gesichtspunkte beachten und nicht nur auf einen Begriffsgegensatz Egoist - Altruist fixiert sind. Eine Schwäche der Aussage ist ein impliziter Begriff des Egoismus. Indem etwas als Egoismus dargestellt wird, soll das Vorliegen von Altruismus (als Gegenbegriff gedacht) widerlegt werden. Meines Erachtens ist es verfehlt, Egoismus und Altruismus als sich ausschließende Begriffe zu verwenden oder altruistisches und moralisches Handeln gleichzusetzen.

Die Theorie, nach der Menschen bei alle Handlungen die eigene Befriedigung anstreben und daher ihre eigentlichen Beweggründe immer egoistisch sind, heißt psychologischer Egoismus. Bei Handlungen, die altruistisch zu sein scheinen, wird von ihm stets die Unterstelllung eines „eigentlich“/„in Wahrheit“/„in Wirklichkeit“ letztlich ausschlaggebenden egoistischen Beweggrundes als Erklärung vorgenommen.

Die (anfechtbare) logische Herleitung des psychologischen Egoismus verwendet ungefähr folgendes Muster:

1) Alle wollen nur das, was sie wollen.

2) Alle wollen nur das, was ihren Interessen entspricht.

3) Alle wollen immer nur die Befriedigung ihrer Interessen.

4) Alle wollen immer nur ihre Befriedigung.

Am Anfang steht eine Tautologie. Die Ableitung zwischen Satz 1 und Satz 2 enthält eine Lücke. Es gibt unterschiedliche Arten der Bestrebungen des Willens.

Willensbestrebungen können auf bestimmte Gegenstände ausgerichtet sein oder sich auf die Befriedigung von Willensbestrebungen beziehen. Die Willensrichtung ist dabei anders. Wer Interesse an etwas Essbaren hat, kann z. B. eine Speise für sich wünschen. Bei einem auf die Befriedigung eines Hungergefühls zielenden Wollen ist aber nicht das (dem Wunsch zugrundeliegende) Hungergefühl Gegenstand des Wunsches. Ein großer Teil der Wünsche sind sachbezogen und unmittelbar auf den Gegenstand gerichtet. Auch zwischen Satz 3 und Satz 4 gibt es eine Lücke. In Satz 3 bedeutet Befriedigung die Erfüllung des Wunsches. In Satz 4 bedeutet Befriedigung ein von der Erfüllung des Wunsches ausgelöstes Gefühlserlebnis eines Subjekts. Interessen und Wünsche können sich aber auch auf etwas richten, das für die wünschenden Subjekte gar nicht erlebbar ist (z. B. Sachverhalte in der Zukunft, die außerhalb der eigenen Lebenszeit liegen).

Die Voraussetzung ist eine Formulierung bzw. Definition, die schon ausschließt, es könne anders sein. Unter Handeln wird etwas verstanden, das auf Nutzen/Interesse abzielt, also den größtmöglichen Nutzen anstrebt (Handlungstheorie des rationalen Egoismus), und unter Nutzen/Interesse dann etwas, das in Eigennutz/selbstsüchtigen Interessen besteht. Damit wird die vom psychologischen Egoismus aufgestellte Behauptung aber zu einer, die nicht aufgrund von Erfahrung (empirisch) bestätigt oder widerlegt werden kann. Die Aussage holt nur analytisch heraus, was vorher schon hineingesteckt wurde, erbringt also keinen echten Nachweis.


Albrecht  26.10.2012, 04:43

Begleiterscheinungen der Befriedigung/Zufriedenheit/Freude sind nicht die allein entscheidenden Beweggründe „nichtegoistischen“ Handelns. Es gibt eine auf eine Sache zielende Absicht der Handlungen. Etwas kann um einer Sache selbst willen getan. Eine möglicherweise vorhandene Tatsache der Wirksamkeit eines weiteren Motivs (z. B. Freude daran zu haben, anderen eine Freude zu bereiten oder für Gerechtigkeit einzutreten) beseitigt nicht die Eigenschaft, sittliches Handeln mit einem Sollen zu sein. Wer anderen hilft, hilft nicht unbedingt, automatisch und zwingend bloß, um seine Helferrolle zu genießen, die möglicherweise Anerkennung verschafft.

Egoismus ist eine Ich-Bezogenheit (das lateinische Wort ego heißt „ich"). Eigenliebe in dem Sinn, sich selbst zu lieben und für sich zu sorgen, kann eine gute Grundlage sein, auch andere Menschen lieben zu können und sich um ihr Wohlergehen zu kümmern. Eigene Interessen wahrzunehmen und einen Nutzen für sich selbst anzustreben, ist nichts an sich Verwerfliches, sondern zunächst einmal ein berechtigtes Ziel. In manchen Situationen kann ein Sorgen für das eigene Wohl als Selbstbehauptung für das eigene Überleben und Wohlergehen notwendig sein.

Beim Wort „Egoismus“ sollten unterschiedliche Bedeutungen auseinandergehalten werden. Schädlich ist ein bloß gieriger und tendenziell schrankenloser Egoismus. Rücksichtslos ist eine Eigennützigkeit und Selbstsucht, die Vorteile mit ausschließlichem Blick auf einen eigenen Nutzen auf Kosten anderer verfolgt und Interessen anderer grundsätzlich niemals als gleichermaßen berechtigt anerkennen mag. Dies läuft darauf hinaus, für sich selbst etwas zu fordern und versuchen durchzusetzen, was man anderen nicht ebenfalls zugesteht. Ein solcher Egoismus verletzt die Goldene Regel („Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu.") und ethische Prinzipien wie den von Immanuel Kant als Kriterium aufgestellten kategorischen Imperativ („Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.").

Beachtenswert ist, zwischen scheinbar Gutem und wahrhaft Gutem zu unterscheiden. Wird etwas Wertvolles zustande gebracht/verwirklicht? Unterliegt jemand blickverengenden Einflüssen und verfehlt selbst gewünschte Ziele? Ein wohlverstandenes Eigeninteresse kann durchaus zu einer Zusammenarbeit mit anderen führen, in der beide Seiten gewinnen. Die Menschennatur enthält dafür durchaus Möglichkeiten. Eine solche Einstellung ist auch kein völliger Gegensatz zu einem Altruismus (die einfache Gegenüberstellung von Egoismus und Altruismus als sich ausschließende Alternativen ist hinderlich). Es ist also möglich, eine Verbindung von wohlverstandenem Eigeninteresse und anderen Interessen/einem Allgemeininteresse anzustreben, bei dem das Interesse letztlich zusammenkommt und sich ein Gewinn für mehrere (in einem optimalen Fall für alle) Seiten ergibt.

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Ja, wir handeln egoistisch, aber Egoismus ist nicht zwangsläufig etwas Negatives. Der Begriff wird zwar oft benutzt, um negative Eigenschaften zu beschreiben, kann aber auch ganz wertneutral verwendet werden. Wenn das in den eigenen Ohren eher doof klingt, kann man es auch Selbstliebe nennen.

Um das mal zu veranschaulichen: Ich arbeite z.B. ehrenamtlich in einem Jugendtreff. Das macht mir viel Spaß, ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und das verleiht meinem Leben auch Sinnhaftigkeit, ich bekomme ein positives Selbstbild (als "guter" Mensch), ich erfahre positive Rückmeldung von anderen und werde anerkannt für meine Arbeit, ich erfahre sehr viel Zuneigung von den Kinder und Jugendlichen, mit denen ich arbeite, und ich werte meinen Lebenslauf auf. Das sind alles Dinge, die für mich gut sind. Ich würde in meiner Freizeit z.B. nicht auf der Baustelle arbeiten, weil es mir keinen Spaß machen würde, mir die Sinnhaftigkeit und der menschliche Kontakt fehlen würden und ich dafür wohl keine besondere Anerkennung kriegen würde- lediglich der Wunsch nach Geld könnte mich dazu bringen. Also sind die Dinge, die ich tue, schon egoistisch motiviert... das heißt aber nicht selbstsüchtig, sondern selbstliebe-voll/ sich selbst etwas Gutes tuend. Davon können auch andere profitieren.

Ich glaube, dass Selbstlosigkeit unmöglich ist oder vielleicht nur einem Erleuchteten gelingt, denn ich kann mich ja gar nicht von dem Menschen lösen, der ich bin. Und auch wenn ich unliebsame Aufgaben tue, habe ich dafür ja immer irgendeine Motivation (es sei denn natürlich, ich werde gezwungen). Also würde ich z.B. mitten in der Nacht bei klirrender Kälte Obdachlosen Tee ausschenken, obwohl ich mich in der Nähe dieser Menschen eigentlich unwohl fühle, dann ist Spaß wohl weniger mein Motiv, aber doch eindeutig mein Wunsch danach, ein guter Mensch zu sein, und möglicherweise eben auch Anerkennung. Wir haben solche Bedürfnisse nun mal und ich finde, wir haben auch ein Recht auf diese Bedürfnisse.Wenn ich mir Anerkennung wünsche und die in einem Ehrenamt bekommen kann, das auch anderen Menschen hilft- was ist dann schlecht daran, mir meine Bedürfnisse zu erfüllen?


Albatroesser  25.10.2012, 15:10

ach, was ich dazu noch sagen wollte: Ich finde es ganz gut, wenn man sich das immer vor Augen hält, denn sonst kann man leicht Höhenflüge kriegen. Ich könnte ja auch mit stolzgeschwellter Brust durch die Straßen stolzieren und rufen "Ich bin ein guter Mensch und ihr nicht!" Wenn ich mir aber bewusst bin, dass auch ich egoistisch motiviert bin und dass Selbstlosigkeit ein unerreichbares Ideal ist, dann kann ich mich und andere Menschen viel wertschätzender behandeln.

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Es ist egoistisch, dass man lebt, weil man die Welt dadurch verschmutzt und die Natur verbraucht.

Es ist aber auch egoistisch, sein Leben zu beenden, da man dabei die Menschen in der Umgebung seelische Schmerzen bereitet.

Wenn man am Ende seines Lebens zurückblickt, sollte man glücklich und zufrieden die ewige Ruhe beginnen können.

Das könnte man als egoismus bezeichnen. Aber das ist nun mal das einzig wichtige.

Klar, da hast du recht, fast alle Menschen handeln in der Form egoistisch. Außnahmen sind fast nicht vorhanden. Es gibt eben sehr viele Dinge die einem Menschen Vorteile verschaffen und deshalb kommen viele nicht darauf dass es auch etwas mit Egoismus zu tun hat wenn man eine Vermeintlich uneigennützige Handlung ausführt.


Theddy99  25.10.2012, 18:57

Ach ja, ich kann es dir einfach erklären. Jede Handlung hat Vor- und Nachteile, und wenn die Vorteile überwiegen, Qualitativ und/oder Quantitativ dann führt man die Handlung aus, ansonsten nicht. Das Qualitative bedeutet dabei die Gewichtung der Vor- und Nachteile, und dabei wirken eben die Dinge die einen selbst betreffen besonders stark.

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Ja, nur die Ausprägung ist unterschiedlich stark Ausgeprägt und das ist Naturbedingt.


BluePapillion  25.10.2012, 14:53

Man unterscheidet zwischen gesundem Egoismus und egoistischem Verhalten in der Wissenschaft, erst bei einem moralischen Fehlverhalten oder Straftatbestand, vorher wird der Begriff Egoist, für beides als Synonym verwendet.

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