Ist die Kurzgeschichte Happy End von Kurt Marti besonders schwer zu interpretieren?

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Happy End

Kurt Marti

Sie umarmen sich, und alles ist wieder gut. Das Wort ENDE flimmert über ihrem Kuss. Das Kino ist aus. Zornig schiebt er sich zum Aus¬gang, seine Frau bleibt im Gedrängel hilflos stecken, weit hinter ihm. Er tritt auf die Straße, bleibt aber nicht stehen und geht, ohne sie ab¬zuwarten, geht voll Zorn, und die Nacht ist dunkel. Atemlos, mit kleinen, verzweifelten Schritten holt sie ihn ein, er geht und sie holt ihn wieder ein und keucht. Eine Schande, sagt er im Gehen, eine Affenschande, wie du ge¬heult hast. Mich nimmt nur wunder warum, sagt er. Sie keucht. Ich hasse diese Heulerei, sagt er, ich hasse das. Sie keucht noch immer. Schweigend geht er und voller Wut, so eine Gans, denkt er, und wie sie nun keucht in ihrem Fett. Ich kann doch nichts dafür, sagt sie end¬lich, ich kann wahrhaftig nichts dafür, es war so schön, und wenn's schön ist, muss ich halt heulen. Schön, sagt er, dieser elende Mist, die¬ses Liebesgewinsel, das nennst du schön, dir ist ja nun wirklich nicht mehr zu helfen. Sie schweigt und geht und keucht. Was für ein Klotz, denkt sie, was für ein Klotz.

Je kürzer ein Text ist, umso komplexer kann er sein. Bei langen Texten gibt es mehr Bezüge, wenn man nur einige findet, hat man schon etwas geleistet; bei kurzen Texten ist die Trefferquote entsprechend geringer. Hier im Text geht es um das Verhältnis eines Mannes zu seiner Frau, die nach einem Kinobesuch kein "happy end" haben. Sie ist in seinen Augen eine sentimentale fette Gans, er in ihren Augen ein gefühlloser Klotz. In ihren Gedanken ist sie selbstbewusst-emanzipiert, aber sie hechelt ihrem Mann hinterher, der rücksichtslos vorläuft und sich so von seiner "weinerlichen" Frau distanziert, mit der er nicht in Verbindung gebracht werden will.