Ist der Begriff "Deutsche Geschichte" für das frühe Mittelalter eigentlich noch sinnvoll??

2 Antworten

Der Begriff „Deutsche Geschichte“ für das frühe Mittelalter ist in der Tat problematisch, da er eine nationale Einheit suggeriert, die zu dieser Zeit nicht existierte. Die Regionen, die heute Deutschland bilden, bestanden aus verschiedenen Stämmen und Territorien mit eigenen Traditionen und Führungen. Eine stärkere Betonung der Regionalgeschichte im Unterricht könnte daher ein realistischeres und nuancierteres Bild der historischen Entwicklungen bieten.


stormking 
Beitragsersteller
 19.04.2024, 20:29

Es freut mich, dass du es auch so siehst.

"Und erst in der Neuzeit nannte man Deutschland >Heiliges Römisches Reich deutscher Nation<."

Dieses Statement ist de facto f a l s c h!

Als Beginn des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gilt die Kaiserkrönung von Otto I. der Große am 2. Februar 962 in Rom!

Seit dem 15. Jh., d.h. vom Spätmittelalter bzw. der Frühen Neuzei, war der Begriff "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" die offizielle Bezeichung für das seit der Kaiserkrönung Otto II. des Großen im Jahr 962 bestehenden Herrschaftsgebietes der römisch-deutschen Kaiser!

Sein Name leitet sich vom Anspruch seiner mittelalterlichen deutschen Herrscher ab, Nachfolger der römischen Kaiser der Antike und nach Gottes heiligem Willen die universalen weltlichen Oberhäupter der Christenheit zu sein, im Rang also über allen anderen Königen Europas zu stehen. Am 6. August 1806 endete das Heilige Römische Reich Deutscher Nation durch Kaiser Franz II., der an diesem Tag die Kaiserkrone niederlegte, womit das Alte Reich, wie das Heilige Römsche Reich Deutscher Nation auch genannt wurde, aufgelöst war!

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war kein Staatsgebiet im heutigen Sinne, sondern ein durch den Römisch-Deutschen König bzw. Kaiser überspannter Dachverband über zahlreiche Territorien und deren Landesherren. Um das Jahr 1000 umfasste das Hl. R. R. Dt. Nation im Wesentlichen Deutschland, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, die Schweiz, große Teile des heutigen Ostfrankreich, Nord- und Mittelitalien, Österreich und die Teschechische Republik sowie später Schlesien und Pommern (heute Polen).

Im Hochmittelalter bestand es aus 3 Reichsteilen: Dem ostfränkisch-deutschen, dem langobardisch-italienischen und dem burgundischen Königreich. Im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit gingen große Gebiete verloren, so Savoyen, die Niederlande (1648), die Schweiz (1648) und Ostfrankreich (17. Jh.). Reichsitalien löste sich politisch vom Reich, blieb aber Teil des Lehnverbands.

Im Gegensatz zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ist d a s Deutschland, wie wir es heute kennen, ist ein Produkt des späten 19. Jh.s.! Der deutsche Nationalstaat, das Deutsche Reich, wurde erst 1 8 7 1 gegründet! Mit der am 18. Januar 1871 erfolgten Kaiserproklamation der versammelten deutschen Fürsten und hohen Militärs im Spiegelsaal von Versailles wurde der deutsche König Wilhelm I. zum König ernannt und damit das Deutsche Kaiserreich ausgerufen. Die Mehrheit des deutschen Volkes erblickte darin die Erfüllung der nationalen Wünsche und einen Höhepunkt der deutschen Geschichte!

Was den Begriff "deutsch" anbelangt: Die erste schriftliche Erwähnung des Wortes "deutsch" stammt aus dem Jahr 786 und ist in einem vatikanischen Kodex belegt. Erst 2 Jahre darauf, in den fränkischen Reichsannalen von 788, wird mit "theodisce" das Deutsche als "Volkssprache" aller nichtlateinischen und nichtromanischen Sprachgruppen bezeichnet.

Bis zur Bibelübersetzung Martin Luthers im Jahr 1522 (Neues Testament; Gesamtübersetzung der Heiligen Schrift 1534), an der er bis zu seinem Tod feilte, existierte im damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation keine deutsche Sprache! Die von Luther initiierte geschriebene Hochsprache entstand erst durch die Verbreitung der neugeschaffenen Lutherbibel mithlfe des aufgekommenen Buchdrucks durch Johannes Gutenberg! So gibt es bis zum heutigen Tag in Deutschland 16 größere Dialektverbände, dazu gehören u.a. Bayerisch, Allemannisch, Obersächsisch, Ostfränkisch, Rheinfränkisch, Brandenburgisch und Nordniederdeutsch sowie jeweils wieder breite Übergangsgebiete.

Zum Begriff "Frühes Mittelalter" sei zu sagen, dass dieser den ersten Abschnitt des Mittelalters, d.h. etwa die Zeit von 500 bis 1050 umfasst. Die Zeit vor dem Frühmittelalter nennt man Spätantike, die etwa von 300 bis 600 dauerte.

Mit der Beschreibung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, seinem Beginn im Jahr 962 und der Klassifizierung der Epoche des Frühen Mittelalters ist hiermit die Frage:

"Ist der Begriff >Deutsche Geschichte< für das frühe Mittelalter eigentlich noch sinnvoll"

eindeutig mit "Ja" zu beantworten! Kein Historiker wird leugnen, dass schon Karl der Große (747-814), 200 Jahre vor Otto dem Großen ein wesentlicher Teil der Deutschen Geschichte ist! Wovon heute noch der 790 in Auftrag gegebene Aachener Königsthron Karls des Großen, auch Karlsthron genannt, zeugt, der heute das Zentrum des Aachener Doms bildet, wo er seit seiner Schaffung im Hochmittelalter aufgestellt ist!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich bin studierte Geisteswissenschaftlerin & Historikerin

stormking 
Beitragsersteller
 20.04.2024, 14:44
Der Beginn des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation wurde von späteren Historikern bestimmt. Und da waren sie sich noch nicht mal einig. Otto und seine Zeitgenossen kannten diesen Begriff noch nicht. Nach seiner Kaiserkrönung war er Kaiser der Römer. Das waren viele Herrscher vor ihm auch. Zuletzt Berengar I. Man nannte das Reich damals wohl nur "Römisches Reich". In wikipedia steht allerdings, dass es weiterhin Regnum Francorum orientalium oder kurz Regnum Francorum hieß. Erst unter Barbarossa kam der Begriff "Heilig" hinzu. Und der Begriff "Deutscher Nation" wurde erst von dem Habsburger Friedrich III eingeführt, aber er wurde nicht bis zum Endes des Reiches verwendet. Zitat aus wikipedia: "Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verschwand die Formulierung wieder aus dem offiziellen Gebrauch, wurde aber bis zum Ende des Reiches noch gelegentlich in der Literatur verwendet." (Zitat Ende)
Regilindis  20.04.2024, 15:30
@stormking

Wie ich sehe, bist Du geschichtlich zwar ein wenig intessiert, aber, als Besserwisser auftretend, vom wissenden Standard eines qualifizierten Historikers mit Brief und Siegel tatsächlich meilenweit entfernt! Das Gute ist zwar, dass in einer Demokratie jeder das Recht hat, seine Meinung frei zu äußern! Doch wenn diese aber Fakten und Tatsachen missachtet und verletzt und so mancher, der von sich allzu überzeugt ist, dann dadurch willfährig Unbedarfte findet, die ihm Glauben schenken, dann wird die Sache problematisch! Vor allem historisch-politisch, wenn die Manipulation dann bedenkliche Ausmaße annimmt!

Offenbar musst Du Dich, um Dir generell Gehör zu verschaffen, einer doppelt dick verwendeten Schrift bedienen! Was allein schon Bände spricht! Sicherlich lässt sich damit der ein oder andere schlichte Mensch beeindrucken, doch dazu bin ich, - leider (!) - nicht einfältig genug! Da musst Du Dir schon jemand anderen suchen! Vielleicht findest Du dazu ja noch das nötige Korn!

stormking 
Beitragsersteller
 20.04.2024, 16:06
@Regilindis

Die dick verwendete Schrift war keine Absicht. Sie ist entstanden, nachdem ich das Zitat hinzugefügt habe. Ich konnte das auch leider nicht korrigieren. Ich bin auch kein Besserwisser und möchte dich auch nicht persönlich angreifen. Ich möchte nur die Dinge hinterfragen. Die Entwicklung vom Ostfrankenreich zum Heiligen Römischen Reich ist ein langer Prozess. Das ist nicht allein meine Meinung, sondern die Ansicht vieler Historiker. Welche Fakten oder Tatsachen habe ich denn deiner Meinung nach missachtet?

Eisenkrieger  21.04.2024, 17:56
@stormking
Welche Fakten oder Tatsachen habe ich denn deiner Meinung nach missachtet?

Keine, soweit ich weiß. Jedoch hast du außer Acht gelassen, dass es trotz der später erst auftauchenden Bezeichnung "... deutscher Nation " durchaus vom Deutschen gesprochen wurde. Zumal ja ein Begriff selten aus dem Nichts entsteht und meist vorher sehr lange in anderen Kontexten verwendet wird, wie eben hier beim Deutschen.

Der Fakt, dass das Heilige Römische Reich erst später um die deutsche Nation ergänzt wurde, sagt ja nichts über den Begriff Deutsch an sich aus.

Auch irrst du in deiner Frage, die ich jetzt hier beantworte:

Ja, ein Deutschland im heutigen Sinne gab es nicht und dennoch ist das die deutsche Geschichte, aus der heraus wir eben wurden was wir sind. Der Begriff "deutsche Geschichte " definiert keine Territorialstaaten im Mittelalter, sondern den grob gefassten Raum deutscher Geschichte. Vielmehr muss ein Aebeitsbegriff heutige Anforderungen erfüllen und eingrenzen.

stormking 
Beitragsersteller
 21.04.2024, 18:30
@Eisenkrieger

Wie steht es denn dann um das Frankenreich vor Karl dem Großen, also der Zeit der frühen Karolinger und Merowinger? Müsste das denn nicht auch Teil der deutschen Geschichte sein? Zumindest was die deutschen Gebiete angeht, die unter fränkischer Herrschaft standen..

Eisenkrieger  21.04.2024, 18:52
@stormking

Ja, natürlich. Es geht doch nur um eine Einordnung aus heutiger Sicht und dient zur Orientierung in der Geschichtsbetrachtung. Damit ist zunächst keine weitere Wertung inkludiert.

stormking 
Beitragsersteller
 21.04.2024, 21:08
@Eisenkrieger

Soweit gut. Aber haben sich denn bereits zur Merowingerzeit die Schwaben, Bayern, Thüringer usw. als Deutsche betrachtet?

stormking 
Beitragsersteller
 22.04.2024, 11:13
@Eisenkrieger

Das Gemeinschaftsgefühl dürfte sich demnach erst während der fränkischen Zeit entwickelt haben. Die einzelnen Stämme erkannten, nach dem Ende des letzten fränkischen Herrschers, dass es sinnvoller ist weiterhin zusammenzubleiben. Der Name Ostfrankenreich bleieb, bis er irgendwann durch den Begriff Römisches Reich geändert wurde.