Ist der Begriff "Deutsche Geschichte" für das frühe Mittelalter eigentlich noch sinnvoll??

2 Antworten

Der Begriff „Deutsche Geschichte“ für das frühe Mittelalter ist in der Tat problematisch, da er eine nationale Einheit suggeriert, die zu dieser Zeit nicht existierte. Die Regionen, die heute Deutschland bilden, bestanden aus verschiedenen Stämmen und Territorien mit eigenen Traditionen und Führungen. Eine stärkere Betonung der Regionalgeschichte im Unterricht könnte daher ein realistischeres und nuancierteres Bild der historischen Entwicklungen bieten.

"Und erst in der Neuzeit nannte man Deutschland >Heiliges Römisches Reich deutscher Nation<."

Dieses Statement ist de facto f a l s c h!

Als Beginn des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gilt die Kaiserkrönung von Otto I. der Große am 2. Februar 962 in Rom!

Seit dem 15. Jh., d.h. vom Spätmittelalter bzw. der Frühen Neuzei, war der Begriff "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" die offizielle Bezeichung für das seit der Kaiserkrönung Otto II. des Großen im Jahr 962 bestehenden Herrschaftsgebietes der römisch-deutschen Kaiser!

Sein Name leitet sich vom Anspruch seiner mittelalterlichen deutschen Herrscher ab, Nachfolger der römischen Kaiser der Antike und nach Gottes heiligem Willen die universalen weltlichen Oberhäupter der Christenheit zu sein, im Rang also über allen anderen Königen Europas zu stehen. Am 6. August 1806 endete das Heilige Römische Reich Deutscher Nation durch Kaiser Franz II., der an diesem Tag die Kaiserkrone niederlegte, womit das Alte Reich, wie das Heilige Römsche Reich Deutscher Nation auch genannt wurde, aufgelöst war!

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war kein Staatsgebiet im heutigen Sinne, sondern ein durch den Römisch-Deutschen König bzw. Kaiser überspannter Dachverband über zahlreiche Territorien und deren Landesherren. Um das Jahr 1000 umfasste das Hl. R. R. Dt. Nation im Wesentlichen Deutschland, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, die Schweiz, große Teile des heutigen Ostfrankreich, Nord- und Mittelitalien, Österreich und die Teschechische Republik sowie später Schlesien und Pommern (heute Polen).

Im Hochmittelalter bestand es aus 3 Reichsteilen: Dem ostfränkisch-deutschen, dem langobardisch-italienischen und dem burgundischen Königreich. Im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit gingen große Gebiete verloren, so Savoyen, die Niederlande (1648), die Schweiz (1648) und Ostfrankreich (17. Jh.). Reichsitalien löste sich politisch vom Reich, blieb aber Teil des Lehnverbands.

Im Gegensatz zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ist d a s Deutschland, wie wir es heute kennen, ist ein Produkt des späten 19. Jh.s.! Der deutsche Nationalstaat, das Deutsche Reich, wurde erst 1 8 7 1 gegründet! Mit der am 18. Januar 1871 erfolgten Kaiserproklamation der versammelten deutschen Fürsten und hohen Militärs im Spiegelsaal von Versailles wurde der deutsche König Wilhelm I. zum König ernannt und damit das Deutsche Kaiserreich ausgerufen. Die Mehrheit des deutschen Volkes erblickte darin die Erfüllung der nationalen Wünsche und einen Höhepunkt der deutschen Geschichte!

Was den Begriff "deutsch" anbelangt: Die erste schriftliche Erwähnung des Wortes "deutsch" stammt aus dem Jahr 786 und ist in einem vatikanischen Kodex belegt. Erst 2 Jahre darauf, in den fränkischen Reichsannalen von 788, wird mit "theodisce" das Deutsche als "Volkssprache" aller nichtlateinischen und nichtromanischen Sprachgruppen bezeichnet.

Bis zur Bibelübersetzung Martin Luthers im Jahr 1522 (Neues Testament; Gesamtübersetzung der Heiligen Schrift 1534), an der er bis zu seinem Tod feilte, existierte im damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation keine deutsche Sprache! Die von Luther initiierte geschriebene Hochsprache entstand erst durch die Verbreitung der neugeschaffenen Lutherbibel mithlfe des aufgekommenen Buchdrucks durch Johannes Gutenberg! So gibt es bis zum heutigen Tag in Deutschland 16 größere Dialektverbände, dazu gehören u.a. Bayerisch, Allemannisch, Obersächsisch, Ostfränkisch, Rheinfränkisch, Brandenburgisch und Nordniederdeutsch sowie jeweils wieder breite Übergangsgebiete.

Zum Begriff "Frühes Mittelalter" sei zu sagen, dass dieser den ersten Abschnitt des Mittelalters, d.h. etwa die Zeit von 500 bis 1050 umfasst. Die Zeit vor dem Frühmittelalter nennt man Spätantike, die etwa von 300 bis 600 dauerte.

Mit der Beschreibung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, seinem Beginn im Jahr 962 und der Klassifizierung der Epoche des Frühen Mittelalters ist hiermit die Frage:

"Ist der Begriff >Deutsche Geschichte< für das frühe Mittelalter eigentlich noch sinnvoll"

eindeutig mit "Ja" zu beantworten! Kein Historiker wird leugnen, dass schon Karl der Große (747-814), 200 Jahre vor Otto dem Großen ein wesentlicher Teil der Deutschen Geschichte ist! Wovon heute noch der 790 in Auftrag gegebene Aachener Königsthron Karls des Großen, auch Karlsthron genannt, zeugt, der heute das Zentrum des Aachener Doms bildet, wo er seit seiner Schaffung im Hochmittelalter aufgestellt ist!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich bin studierte Geisteswissenschaftlerin & Historikerin