Gefühle und Gedanken nach jahrelanger Zeit im Exil?

5 Antworten

Es kommt sehr darauf an, aus welchen Gründen man die Heimat verlassen hat und wie lange man fort war.

Beispiel 1:

Jemand wurde als Kind 1945 aus Ostpreußen vertrieben und kommt nach 1989 zum ersten Mal wieder in die alte Heimat, den Ort seiner Kindheit. Das wird aufwühlend und rührend sein. Er wird nach Überresten seiner Kindheit suchen: Wie sieht die alte Schule heute aus? Steht das Elternhaus noch? Denkbare Gefühle und Gedanken: ein Schwelgen in Erinnerungen, ein Schmerz über den Verlust und eine Rührung darüber, das alles doch noch einmal sehen zu dürfen.

Beispiel 2:

Jemand muss aufgrund seiner politischen Einstellung im Jahr 1933 Deutschland verlassen. Nach 1945 kommt er nach Deutschland zurück. Das erste, überwältigende Gefühl wird wohl der Schock über die gewaltigen Zerstörungen sein. Wenn er aus Hamburg kam, wird er seine Stadt nicht wiedererkennen. Seine alte Heimat ist eine einzige, riesige Trümmerlandschaft. In diesen Schock mag sich ein zweites Gefühl mischen, das der Beklemmung: seine alten Verfolger leben ja noch. Wer von den Passanten, denen er begegnet, war wohl ein überzeugter Nazi?

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Germanistik

Es gibt ein schönes, und sehr beklemmendes Gedicht von Erich Kästner über einen Kriegsheimkehrer. Ein Kriegsheimkehrer ist nicht ganz dasselbe wie ein Exilant. Aber die Gefühle, die beide umtreiben, können in der Situation von 1945 sehr ähnlich sein:

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Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Germanistik
 - (Schule, Deutsch, Geschichte)

Dahika  09.09.2021, 13:47

Beklemmend. Meine Eltern erzählten mir von einem Bruder meines Vaters, der aus Kriegsgefangenschaft zurückkam. Frau und Kinder waren zwar noch da, aber er hat nie wieder eine richtige Beziehung zu ihnen aufbauen können. Man blieb sich fremd.

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da ich das noch nicht erleben musste, kann ich nichts dazu sagen.

Aber vor kurzem kam auf ARTE (?) ein interessanter Bericht über jüdische alliierte Soldaten mit. deutschem oder österr. Hintergrund. Diese Männer beschrieben ihre Gefühle. Einer davon war besonders eindrücklich. Er war aus Wien, war dann emigiert und amerikanischer Bürger und Soldat geworden. Er kam mit seiner Einheit zurück nach Wien.
Vorher hatte er Wien gehasst, aber als er durch die Straßen lief, merkte er, dass er Wien auch liebte. Er war - obwohl seine Familie im Holocaus umgekommen war - eben auch Wiener, Österreicher. Wien war seine Stadt, mehr als New York, wo er lebte.

Er musste als Wachsoldat deutsche/österr. Kriegsgefangene (Soldaten, keine Kriegsverbrecher!) bewachen. Und er erzählte, dass er sich den Österreichern oft näher gefühlt hatte als den Amerikanern, zu denen er ja auch gehörte.

Eine "schizophrene" Situation. Ich kann mir darum vorstellen, warum manche Juden die alte Heimat nicht mal mehr besuchen wollen. Vielleicht weil sie sich fürchten, diese Gefühle uralter Liebe wiederzubegegnen.

Jedenfalls fand ich diese Sendung sehr eindrücklich.

Vielleicht z. b das man sich in der eigenen Heimat auf einmal fremd fühlen könnte. Oder auch das genaue Gegenteil, endlich wieder Zuhause... Die alten Erinnerungen usw


donut20 
Beitragsersteller
 09.09.2021, 12:33

danke, das ist ein guter Einwand

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Ich war im August in Berlin und schockiert. So eine fürchterliche Endzeitstimmung und latente Aggression.

Meine Freunde meinten, es sei doch alles bestens, im Vergleich zum Winter und Frühjahr geradezu sommerlich. Grauenhafte Vorstellung, wie das dann vorher gewesen sein muss.


donut20 
Beitragsersteller
 09.09.2021, 12:36

also würdest du sagen, man empfindet Veränderung und das alles bicht mehr so ist wie früher

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DocPsychopath  09.09.2021, 12:40
@donut20

Ja. Wenn man im "fremden" Land ist, denkt man erst, man wäre dort fremd. Man ist sozusagen "der Deutsche".

Wenn man zurück kommt, merkt man plötzlich, dass die Deutschen fremd sind. Und man irgendwie anders geworden ist.

Während Corona geht das viel viel schneller als sonst, wenn man zwischen zwei Ländern mit sehr verschiedenen Coronawegen pendelt. Zwischen Deutschland und Schweden mit dem "sog. Sonderweg" können dann Planeten liegen.

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