"Es gibt nur einen angeborenen Irrtum, und es ist der, daß wir da sind, um glücklich zu sein." Arthur Schopenhauer... Analyse?

8 Antworten

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wir existieren nicht, um glücklich zu sein

Du gibst in deinen Worten Schopenhauers Gedanken wieder.

es ist gut und schön glücklich zu sein, aber ist nicht Grund unserer Existenz/ unserer weltlichen Anwesenheit

Aus seinem Zitat für sich genommen, kann man nicht auf die Meinung Schopenhauers schließen, er hielte es für „gut und schön glücklich zu sein“. So aus dem Zusammenhang gerissen, kann man sich ebenso gut vorstellen, dass seiner Auffassung nach, Glück nicht nur nicht der Sinn des Lebens ist, sondern auch keineswegs erstrebenswert. Du wiederholst eigentlich nur deine erste Feststellung und erweiterst sie um deine eigene Meinung, die du, wie angedeutet, als die Schopenhauers erscheinen lassen möchtest.

die Existenz selbst sollte man als Glück sehen

Falls dieser Satz Schopenhauers Gedanken widerspiegeln soll, denke ich nicht, dass es möglich ist, ihn aus diesem Zitat zu beweisen. Zu diesem Zweck wären Belege aus der zugehörigen Abhandlung notwendig.

angeborener Irrtum = jeder Mensch sieht das als Ziel

Soll bedeuten, jeder Mensch strebt einem angeborenen Irrtum nach, egal welchem? Man hat als Mensch so eine Art Zwangsvorstellung, angeborene Irrtümer zu verwirklichen, willst du das sagen? Ich jedenfalls kann das aus Schopenhauers Worten, wie sie in deiner Frage stehen, nicht herauslesen.

Der Satz von dir „die Existenz selbst sollte man als Glück sehen“ ist eindeutig falsch, jedenfalls was Schopenhauers Philosophie betrifft. Der erste Satz ist zutreffend, die Sätze zwei und vier sind nur halb richtig, d.h. der vierte Satz ist kaum richtig.

Man muss davon ausgehen, dass Schopenhauers Philosophie zutiefst pessimistisch ist. Wichtiger Ausgangspunkt ist bei ihm das verheerende Wirken des „Willens“ (siehe sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“). Hauptantrieb im Menschen (und aller Lebewesen) ist dieser Wille zum Leben. Die „Vorstellung“ besagt, dass wir das Wirken des Willens von außen, d.h. aus der Perspektive unserer Vernunft, beobachten können, denn der Wille rumort in uns. Dieser Wille stammt von einem Urwillen ab, der in allen Wesen als individueller Wille erscheint und zutiefst böse ist, ja, er ist etwas Infernalisch-Tierisches. Er treibt uns deshalb – vor allem in der Form des Egoismus – an, weil er uns das Glück vorgaukelt. Doch das ist der große Irrtum unseres Lebens. Denn der Wille bringt uns in Wahrheit nur Leiden; ja, das Verhängnisvolle ist, dass, je stärker wir den Willen in uns entfesseln, um ein noch größeres Glück zu erreichen, desto größer wird das Leiden.

Das angebliche Glück der anderen, das wir meistens nur aus der Ferne beobachten, ist in Wahrheit nur eine Täuschung, also eine Art Fata Morgana. Sieht man näher hinzu, erkennt man auch bei den anderen scheinbar Glücklichen das Leiden, und je stärker sie ihren Willen (sprich: ihren Egoismus) befeuern, desto größer wird bei ihnen – wie gesagt – das Unglück, das Leiden.

Es gibt nur eine Möglichkeit, das durch den Willen hervorgerufene Leiden einzudämmen, indem man den „Willen“ zurückfährt, ihn dämpft. Dann kommen die edleren Eigenschaften des Menschen zum Vorschein, vor allem das Mitleid (auch gegenüber den Tieren), das bei Schopenhauer eine zentrale Rolle spielt.

Man wird sagen: Es gibt doch so viele Glückliche, Erfolgreiche! Wie kann denn diese Schopenhauerische Philosophie stimmen?

Dabei muss man von folgendes bedenken: Für Schopenhauer gibt es immer zwei Zustände des menschlichen Seins: entweder ist man gezwungen, ein Ziel, das man sich gesetzt hat oder das einem gesetzt wird, zu erreichen. Solange man unterwegs zu dem Ziel ist, muss man leiden; man befindet sich ständig in der Anspannung, ob man auch ans Ziel kommt; es droht ja immer das Scheitern. Hat man das Ziel erreicht (z.B. sein Examen bestanden oder – als Rechtsanwalt – einen Prozess gewonnen), gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es tritt schnell Langeweile ein (für Schopenhauer auch ein Zustand des Leidens) oder es werden einem sofort neue Ziele gesetzt, die man erreichen will oder muss (neue Prüfungen muss man bestehen oder - als Rechtsanwalt- ein neuer Prozess muss gewonnen werden); schon beginnt eine neue Zeit der Anspannung, des Stresses, des Leidens und so fort. Aus diesem Teufelskreis kommt man nie heraus; es sei denn, man wird ungeheuer reich, braucht nicht mehr zu arbeiten. Dann aber tritt der Leidenszustand der Langeweile ein (die allmählich unerträglich wird).

Woher ich das weiß:Recherche

Haldor  19.02.2020, 18:19

Eine Ergänzung: Natürlich ist Schopenhauers Philosophie nicht der Weisheit letzter Schluss, wenngleich er vieles (vielleicht das meiste) richtig gesehen hat. Der Schopenhauer-Verehrer Charlie Chaplin hat gegen Ende seines Lebens gesagt: „Und er hat doch nicht Recht!“

Nietzsche, anfangs ebenfalls ein Schopenhauerverehrer, hat sich später von ihm distanziert. Er sagte: Der „Wille zum Leben“ bei Schopenhauer, der wegen seiner Bösartigkeit zum Pessimismus führt, müsse ins Positive umgedeutet werden. Er, Nietzsche, nannte ihn jetzt „Wille zur Macht“; zu diesem Willen zur Macht (genauer: der Wille, die Machtpotentiale in sich zur Entfaltung zu bringen, z.B. Talente, Fähigkeiten) müsse man sich rückhaltlos bekennen, dann könnte man glücklich werden, allerdings nur glücklich in Form von Genugtuung, Befriedigung, Triumph.

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Da muss ich dem Herrn Schopenhauer wiedersprechen und das sogar noch erweitern.

Wir sind auf der Erde um glücklich zu sein aber auch um andere glücklich zu machen und das geht am besten, wenn wir selbst glücklich sind.

wir existieren nicht, um glücklich zu sein
es ist gut und schön glücklich zu sein, aber ist nicht Grund unserer Existenz/ unserer weltlichen Anwesenheit

Diese beiden Sätze drücken inhaltlich im Prinzip dasselbe aus, sind aber korrekt.

die Existenz selbst sollte man als Glück sehen

Das kannst du so interpretieren, meinte Schopenhauer aber ganz sicher nicht.

angeborener Irrtum = jeder Mensch sieht das als Ziel

Wenn du mit Ziel das "Glücklichsein" meinst, dann hast du Recht. Schopenhauer will mit diesem Zitat, welches nur unter Betrachtung seiner gesamten Philosophie völlig nachvollziehbar ist, aussagen, dass die Menschen nach einem nicht näher definierbaren "Glück" streben, aber damit auch der Natur der Sache gemäß nicht einmal wissen, worauf dieses Streben in concreto überhaupt gerichtet oder gar das Ziel erreicht ist. Der Mensch wird nicht geboren, um glücklich zu sein, das ist nicht Zweck seiner Existenz. Nach Schopenhauer wäre die Existenz an sich auch völlig grund- und zwecklos, da auch sein dahinterstehende "Wille" diese Eigenschaften inne hat.

Wenn es dir nur um das o.g. Zitat geht, dann empfehle ich dir das entsprechende Kapitel in seinem Hauptwerk nachzulesen, in welchem diese Textstelle direkt am Anfang vorkommt. Es ist relativ kurz: "Die Welt als Wille und Vorstellung, Kapitel: Die Heilsordnung". Gibt es auch online. Im Prinzip erläutert das gesamte Kapitel lediglich das Zitat.

Hierzu noch zwei ausgewählte "schöne" Zitate um das Ganze zu verdeutlichen (nichts für Depressive):

"Was nun den Rest der ersten Lebenshälfte, die so viele Vorzüge vor der zweiten hat, also das jugendliche Alter, trübt, ja unglücklich macht, ist das Jagen nach Glück, in der festen Voraussetzung, es müsse im Leben anzutreffen sein. Daraus entspringt die fortwährende getäuschte Hoffnung und aus dieser die Unzufriedenheit. Gaukelnde Bilder eines geträumten, unbestimmten Glückes schweben, unter kapriziös gewählten Gestalten, uns vor, und wir suchen vergebens ihr Urbild. Daher sind wir in unsern Jünglingsjahren mit unserer Lage und Umgebung, welche sie auch sei, meistens unzufrieden; weil wir ihr zuschreiben, was der Leerheit und Armseligkeit des menschlichen Lebens überall zukommt, und mit der wir jetzt die erste Bekanntschaft machen, nachdem wir ganz andere Dinge erwartet hatten."

"Es ist wirklich unglaublich, wie nichtssagend und bedeutungsleer, von außen gesehen, und wie dumpf und besinnungslos, von innen empfunden, das Leben der allermeisten Menschen dahinfließt. Es ist ein mattes Sehnen und Quälen, ein träumerisches Taumeln durch die vier Lebensalter hindurch zum Tode, unter Begleitung einer Reihe trivialer Gedanken. Sie gleichen Uhrwerken, welche aufgezogen werden und gehen, ohne zu wissen warum; und jedes Mal, daß ein Mensch gezeugt und geboren worden, ist die Uhr des Menschenlebens aufs Neue aufgezogen, um jetzt ihr schon zahllose Male abgespieltes Leierstück abermals zu wiederholen, Satz vor Satz und Takt vor Takt, mit unbedeutenden Variationen."