Was sind vier wichtigsten Pflichten nach Kant?

2 Antworten

Die gemeinten vier Pflichten sind Pflichten, auf die Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785; 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten.. AA IV, 421 – 425/BA 53 – 57 eingeht, wobei er keine Vollständigkeit beansprucht, sondern nur einige herzählen will und zeigen, was für Maximen dem kategorischen Imperativ nicht entsprechen.

Eine Aussage, bei Immanuel Kant gebe nur vier unbedingte Pflichten, kann daraus nicht abgeleitet werden, weil dieser sich an dieser Stelle darauf beschränkt, an Beispielen etwas darzulegen.

Die Beispiele sind, als Pflichten formuliert:

1) Selbsterhaltung (keine Selbsttötung, mit einem Prinzip der Selbstliebe, das Leben abzukürzen, wenn bei einem längeren Leben die Übel die Annehmlichkeiten der Erwartung nach überwiegen)

2) Ehrlichkeit (keine Lüge, z. B. durch ein falsches Versprechen)

3) Kultivierung/Entwicklung/Pflege/Förderung/Verbesserung/Erweiterung der eigenen Naturgaben/Anlagen/Begabungen/Talente/Fähigkeiten/Vermögen (kein Verkümmernlassen/keine Vernachlässigung/Verwahrlosung aus Neigung, sein Leben bloß bequem für Genuß zu verwenden)

4) Wohltätigkeit durch Hilfe/Beistand in der Not (kein Unterlassen von Hilfeleistung, weil jemand keine Lust hat, für jemand etwas beizutragen, der mit großen Mühseligkeiten zu kämpfen hat)

1) ist eine Pflicht gegen sich selbst und, was die Art der Verbindlichkeit betrifft, eine strenge/enge Pflicht (vollkommene Pflicht), sie ist unnachlaßlich.

2) ist eine Pflicht gegenüber anderen und, was die Art der Verbindlichkeit betrifft, eine strenge/enge Pflicht (vollkommene Pflicht), sie ist unnachlaßlich.

3) ist eine Pflicht gegen sich selbst und, was die Art der Verbindlichkeit betrifft, eine weitere Pflicht (unvollkommene Pflicht), sie ist verdienstlich.

4) ist eine Pflicht gegenüber anderen und, was die Art der Verbindlichkeit betrifft, eine weitere Pflicht (unvollkommene Pflicht), sie ist verdienstlich.

Bei den strengen/engen (vollkommenen) Pflichten kann die dagegen verstoßende Maxime nicht widerspruchsfrei als Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft gedacht werden und erst recht nicht gewollt.Bei den weiteren (unvollkommenen) Pflichten kann die dagegen verstoßende Maxime zwar als Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft gedacht, aber nicht gewollt werden, weil ein solcher Wille sich selbst widersprechen würde.

Pflicht ist bei Immanuel Kant die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung vor dem moralischen Gesetz.

Pflicht tritt als inneres Gebot auf, gut zu handeln.

Zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten besteht nach Kants Darlegung ein Unterschied in der Art der Verbindlichkeit: vollkommene Pflichten haben eine enge bzw. strenge Verbindlichkeit, unvollkommene Pflichten eine weite Verbindlichkeit.

Vollkommene Pflichten sind dem Begriffsumfang nach Pflichten, die Rechtspflichten sind. Unvollkommene Pflichten sind dem Begriffsumfang nach Pflichten, die allein Tugendpflichten sind, keine Rechtspflichten.

Rechtspflichten gebieten eine Handlung (eine äußere Gesetzgebung ist möglich). Pflichten, die allein Tugendpflichten sind (sie können keiner äußeren Gesetzgebung unterworfen werden, weil sie auf einen Zweck ausgerichtet sind, aber einen Zweck als Ziel verfolgen, der durch keine äußerliche Gesetzgebung bewirkt werden kann) gebieten eine Maxime (dem Vernunftinteresse entnommener subjektiver Grundsatz) der Handlung, nicht genau die Handlung selbst.

Der Zweck der Handlung ist in beiden Fällen zugleich Pflicht, aber bei unvollkommenen Pflichten gibt es (anders als bei vollkommenen Pflichten) einen Spielraum in der Anwendung der Maxime. Bei der Beachtung und Befolgung der Maxime ist nicht genau bestimmt, wie (auf welche Weise) und wieviel (in welchem Ausmaß) der Zweck bewirkt wird.

Rechtliche Gesetzgebung macht nur äußere Handlungen zu Pflichten, ethische Gesetzgebung sowohl innere Handlungen als auch (die Pflichten beruhen auf äußerer Gesetzgebung, in die ethische Gesetzgebung aufgenommen werden sie unter dem Gesichtspunkt der Gesetzgebung zu den inneren Triebfeder der Handlungen) äußere Handlungen.

Hinweise zu den Pflichten stehen vor allem in folgenden Werken:

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785; 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 406 - 495/BA 25 - 87

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797)


Albrecht  12.09.2015, 10:10

Immanuel Kant nennt weitaus mehr als vier Pflichten.

A) Rechtspflichten

Eine ziemlich allgemeine Einteilung ist:

1) Pflicht, ein rechtlicher Mensch zu sein (rechtliche Ehrbarkeit; »mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck«.)

2) Pflicht, niemandem ein Unrecht zu tun

3) Pflicht, im Fall eines nicht vermeidbaren Verbindung mit anderen in eine Gesellschaft einzutreten, in der jedem das Seine erhalten werden kann (»Tritt in einen Zustand, worin jedermann das Seine gegen jeden anderen gesichert sein kann«)

B) Tugendpflichten

Zwecke, die zugleich Pflichten sind

1) eigene Vollkommenheit

a) physisch sich das Vermögen zu Ausführung von allerlei möglichen Zwecke, sofern dieses in dem Menschen selbst anzutreffen ist, zu verschaffen oder es zu fördern

b) Kultur der Moralität in uns: Wertschätzung seiner Handlungen auch nach der Gesinnung

2) fremde Glückseligkeit

a) physische Wohlfahrt: Wohltätigkeit

b) moralisches Wohlsein anderer: nichts tun, was andere zu etwas verleitet, worüber diese nachher das Gewissen peinigt

Pflichten gegen sich selbst

vollkommene Pflichten gegen sich selbst

vollkommene Pflichten gegen sich selbst als ein animalisches Wesen

a) Selbsterhaltung (pflichtwidrig: Selbstentleibung/Selbsttötung/Suizid, Selbstverstümmelung, Selbstbetäubung durch Unmäßigkeit im Gebrauch der Genieß- oder auch Nahrungsmittel)

b) Erhaltung der Art als geschlechtliche Liebe bestimmenden Naturzweck berücksichtigen (pflichtwidrig: wohllüstige Selbstschändung durch naturwidrigen und unzweckmäßigen Gebrauch (also Mißbrauch) seiner Geschlechtseigenschaften, indem sich jemand in Verletzung der Tugend der Keuschheit gänzlich der bloß tierischen Lust hingibt, was die Persönlichkeit aufgibt/wegwirft)

Pflichten gegen sich selbst, bloß als einem moralischen Wesen

a) Wahrhaftigkeit/Ehrlichkeit/Redlichkeit/Aufrichtigkeit (pflichtwidrig: Lüge)

b) wahre eigene Bedürfnisse als Maß für das Genießen der Mittel zum Wohlleben nehmen (pflichtwidrig: Geiz (Verengung seines eigenen Genusses der Mittel zum Wohlleben unter das Maß des wahren eigenen Bedürfnisses))

c) Selbstschätzung seiner Würde als Vernunftwesen mit dem Bewußtsein der Erhabenheit seiner moralischen Anlage (pflichtwidrig: falsche Demut (Kriecherei))

Pflichten gegen sich selbst, als dem angeborenen Richter über sich selbst

Gewissenhaftigkeit

unvollkommene Pflichten gegen sich selbst

a) Vermehrung der Naturvollkommenheit durch Kultivierung seiner Naturanlagen/Vermögen/Fähigkeiten (Geisteskräfte, Seelenkräfte, Leibeskräfte)

b) moralische Vervollkommnung/Erhöhung seiner moralischen Vollkommenheit

Pflichten gegenüber anderen

1) Pflichten der praktischen Menschenliebe (Wohlwollen, aus dem Wohltun folgt)

a) Wohltätigkeit

b) Dankbarkeit

c) Menschlichkeit, teilnehmende Empfindung: Mittel zu Beförderung des tätigen und vernünftigen Wohlwollens gebrauchen (eine bedingte/indirekte Pflicht)

2) Pflichten gegenüber anderen Menschen aus der ihnen gebührenden Achtung (pflichtwidrig: Hochmut, üble Nachrede (Neigung, etwas der Achtung für andere Nachteiliges ins Gerücht zu bringen), Verhöhnung)

Zusatz: sowohl Pflichten gegen sich selbst als auch Pflichten gegenüber anderen

Umgangstugenden (umgänglich sein).

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questionmarque 
Beitragsersteller
 13.09.2015, 14:16

Danke, dass das nur Beispiele sind, wusste ich bisher nicht!

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Also die vier Pflichten sind: 

  1. keinen (Bilanz)Selbstmord zu begehen
  2. Zu Lügen 
  3. Seine Talente verümmern zu lassen und stattdessen nur reinem Genuss nachzugehen
  4. Hilfeleistungen zu unterlassen 

1+2 sind Verstöße gegen engere Pflichten (sie können nicht gedacht und nicht gewollt werden)

3+4 sind Verstöße gegen unvollkommene Pflichten (sie können zwar gedacht, aber nicht gewollt werden) 

Voila =)