"Deutsche Städte sind heutzutage hässlich und Kulturlos" Hat er recht?

12 Antworten

Jede Zeit hat ihren Stil, auch die unsere.

Der U-Bahnhof Wittenbergplatz, 1913 in seiner heutigen Form in Betrieb gegangen, wurde damals in den Medien als "städtebauliche Entgleisung" betitelt.

Alfred Kerr, eigentlich Theaterkritiker, schrieb einst über die zur Jahrhundertwende entstandene Hochbahn in Berlin: "Welcher verblüffende Anblick: das Eisengestell einer Überbahn, rot lackiert und grau gestrichen, steigt in plumper Scheußlichkeit empor zwischen den Häusern, zwischen den Bäumchen. Barbarischer, ekliger, gottverlassener, blöder, bedauernswerter, mickriger, schändlicher, gerupfter, auf den Schwanz getretener sieht nichts in der Welt aus... Ist Technik und Verhunzung nicht zu trennen? Am Ende sind wir bloß unfähig, diese Art Schönheit gegenwärtig zu erfassen. Einst wird ja auch sie eine Schönheit sein."

Er sollte Recht behalten. Auch unsere heutige Architektur wird einst so gesehen und vor Abriss geschützt werden. Und was man dann bauen wird, wird genauso durchfallen. Das war so, das ist so, und das wird auch so bleiben.

Anderes Beispiel: Das Jagdschloss Glienicke, 1682-1693 gebaut, wurde nach dem Krieg eine Begegnungs- und Bildungsstätte für junge Leute. Es erhielt in den 1960er Jahren ein neues Vordach vor dem Eingang, weil das alte der Jugend zu pompös war und abschreckend wirkte. Das neue Vordach, ein typischer 60er-Jahre-Bau, wird heute von der Jugend als langweilig empfunden.

Und noch eins: Die meisten Häuser, die im Video gezeigt wurden, sind erkennbar nicht mehr in ihrem Ursprungszustand. Nach dem Krieg wurden sie vereinfacht aufgebaut, weil man es so wollte. Sie mögen immer noch schöner sein als die Häuser aus der Moderne, so schön wie früher sind sie aber alle nicht mehr.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – 1972 in Berlin geboren und bis heute hier wohnhaft

Das stimmt nicht, schau Dir nur mal München an:

mehrere Königsschlösser in der Stadt, mit der Ludwigsstrasse sogar ein durchgehend klassizistisches Ensemble von der Feldherrnhalle bis zum Siegestor, dann Schwabing usw.

Auch einen Fluss durch der Stadt der zum Baden einlädt, neuerdings auch wieder renaturiert mit Stränden etc. ("Flaucher"), dito "Englischer Garten" mit der weltbekannten Surf-Welle.

Vor 50 Jahren wurde das ergänzt mit den Olympia-Anlagen u.a. mit dem weltbekannten Zeltdach. Und dazu etwas neuer auch die Fussballarena mit der farbigen Leuchtfassade.

Mehrere Universitäten, alte und neue. Und bevor ich's vergesse: viele sogenannte Biergärten, das Hofbräuhaus, zentral die grosse Theresienwiese mit ihren diversen Festen (Tollwood, Oktoberfest, Frühlingsfest etc.), Tierpark & Hirschgarten, Viktualienmarkt, Opernhaus, mehrere Pinakotheken und das größte Technikmuseum der Welt, aber auch noch die alten Stadttore ...

Ich weiss nicht, wie Du auf "hässlich und Kulturlos" kommst - noch besser gehts doch kaum!

Zur guten Einstufung siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Weltstadt#Monocle_Quality_of_Life_Index

Die meisten Städte bestehen doch aus einem Mischmasch von Baustilen verschiedener Jahrzehnte. Natürlich musste man nach dem 2. WK erst mal Wohnraum schaffen. Da war die Optik zweitrangig. Aber das betrifft nur Teile einer Stadt, und vieles wurde auch wieder ersetzt.

Die Kultur wird von den dort lebenden Menschen erschaffen.

vor WW2 besser als danach?

ich kenne einige Städte, wo Häuser aus der Zeit noch vor WW1 stehen bzw. bis vor einigen Jahren noch standen

ich hätte nie drin wohnen wollen - enge Gassen, kein einziges Blümchen, ganz zu schweigen von einem Baum oder einer kleinen Sitzbank, die Wohnungen nach den Straßenverläufen ausgerichtet, nicht nach dem Wohnbedarf/Wohnqualität

das waren die Wohnungen, die die ersten Industriearbeiterfamilien bewohnten, als sie in Massen in die Stadt zogen - ich würde sie Elendsviertel nennen

für mich spielen äußerliches Aussehen/Fassade keine so große Rolle - die Wohnungen müssen hell und freundlich sein, Terrasse oder Balkon haben, wo man in der Sonne sitzen kann - sie müssen geräumig sein, also genug Platz für alle Bewohner bieten und einen schönen Ausblick

dein obiges Gebäude sieht schön aus, erfüllt aber vermutlich diese Anforderungen nicht - somit würde sich keiner darin echt wohlfühlen

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und wenn ich selbst in einer Bruchbude wohnen muss, dann nützt mir die ganze Wohnqualität für einige wenige überhaupt nichts und das toll aufgemotzte Opernhaus/Kulturzentrum auch nicht !!

Nur in Bayern hat er nicht recht.


PolitischeFrage 
Beitragsersteller
 29.06.2024, 10:11

Es gibt auch an den Grenzen viele Städte, die sich als Nichtdeutsche Stadt ausgeben konnten, um nicht zerbombt zu werden, z.B. Konstanz. Und Bayern hat auch viele Städte richtig gut und traditonell wiederaufgebaut.

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noname68  29.06.2024, 10:14
@PolitischeFrage

richtig, aber es sind nicht "alle". und in der nachkriegszeit gab es andere, damals wichtigere kriterien als städtbauliche schönheit

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ponter  29.06.2024, 11:23

Ich vermute du warst bspw noch nicht in Wismar, Lübeck, Hameln....?

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