Der Vertrag Versailles.

4 Antworten

Formell war der Versailler Vertrag ein Vertrag, denn am Ende "durften" die Deutschen das Papier unterschreiben, andernfalls wäre der Waffenstillstand vom 11.11.1918 nicht verlängert worden. Tatsächlich war der Versailler Vertrag ein Diktat der Sieger. Eine gerechte Strafe war er nicht, denn auch die anderen Beteiligten von 1914 trugen eine Mitschuld am Kriegsausbruch. Was man dem Deutschen Reich auf alle Fälle vorwerfen kann, sind die Blankovollmacht an Österreich-Ungarn, die vorschnelle Kriegserklärung und der Überfall auf das neutrale und befreundete Belgien. Hier ist außerdem noch eine frühere Antwort von mir: "Der Versailler Vertrag war - in verschärfter Form - die Retourkutsche für die deutschen Friedensbedingungen nach der französischen Niederlage von 1870/71. Der Friedensvertrag von Frankfurt vom 10.05.1871 war ebenfalls ein mit Waffengewalt erzwungener Vertrag. Er zwang Frankreich zur Abtretung von Elsaß-Lothringen und zur Zahlung von 5 Milliarden Goldfranken Entschädigung. Eine zusätzliche Demütigung Frankreichs bestand darin, dass die Kaiserproklamation von Wilhelm I. im ehemaligen Prunksaal Ludwigs XIV in Versailles stattfand. Bei den "Friedensverhandlungen" von 1919 war die deutsche Verhandlungsposition gleich Null, weil das Deutsche Reich bereits durch die Waffenstillstandsbedingungen vom 11.11.1918 die Mittel zur Fortführung des Krieges aus der Hand gegeben hatte. Es steht außer Zweifel, dass die deutsche Bevölkerung den Versailler Vertrag ablehnte. Für die Franzosen war der Vertrag dagegen das Mittel, Deutschland für längere Zeit zu schwächen und von Angriffen abzuhalten. Das entsprach im Übrigen der französischen Politik seit dem 16. Jahrhundert (z.B. Vertrag von Chambord vom 15.01.1552 mit den protestantischen Fürsten). Ein uneiniges, zersplittertes Deutschland war für Frankreich von Vorteil. Ein starkes Deutschland, wie das Kaiserreich von 1871, stellte dagegen eine Bedrohung dar. Noch Mitterand soll gesagt haben, dass er Deutschland so liebe, dass er lieber zwei davon haben wolle (so oder ähnlich). Die Dolchstoßlegende ist Lug und Trug. Ludendorff erklärte Ende September 1918 die Fortführung des Krieges für aussichtslos. Daraufhin wurde eine zivile Regierung unter Max von Baden gebildet, die Anfang Oktober 1918 ein Waffenstillstandsgesuch an Präsident Wilson richtete. Im November 1918 entsandte Hindenburg von seinem Hauptquartier in Spa aus die Waffenstillstandskommission unter Erzberger nach Compiègne. Von Spa wurde auch das Telegramm abgeschickt, das Erzberger anwies, unbedingt zu unterschreiben, so dass in der Nacht zum 11.11.1918 das Erforderliche Veranlasst wurde."

Ein Diktat- weiter kannst Du selbst denken.


Aphaiton  26.09.2011, 21:29

Noch eine Anmerkung. Zum "Vertrag" gehören immer zwei. Das Deutsche Reich durfte lediglich unterschreiben.

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Tja, in jedem dieser Begriffe steckt (wie immer) viel Ideologie, oder doch zumindest: Wertung.

Ein Diktat?

Osmond behauptet, es sei ein Diktat gewesen, weil Deutschland nicht am Verhandlungstisch gesessen habe. Es ist als Faktum richtig, dass es das nicht getan hat. Aber ist deswegen die suggestive Wertung richtig, dass es kein für Deutschland verbindlicher Vertrag, sondern "nur" ein Diktat gewesen sei?

Nein, das kann man so nicht sagen. Es ist zwar eine von Rechtsradikalen seit der Dolchstosslegende 1919 Gebetsmühlenartig vorgetragene Leier, aber sie hat nicht nur einen Sprung, sie ist auch falsch gestimmt.

Wie kam es zu den Sitzungen von Versailles?

Deutschland hatte bedingungslos kapituliert. Lass Dir Diesen Begriff einfach auf der Zunge zergehen, sprich ihn ein paar Mal nach und ergründe, was der Begriff bedeutet.

Siehst Du den Widerspruch? Du sagst: ich habe keine Bedingungen! Und später maulst Du: Meine Bedingungen wurden nicht angehört, nicht erfüllt!

Wer bedingungslos kapituliert, kann eben keine Bedingungen mehr stellen. In der Antike wären die Deutschen zu Millionen hingeschlachtet worden und der Rest dann überwiegend versklavt worden.

Daran gemessen war das "Diktat" noch human.

Hätte Deutschland gemeint, einen Friedensvertrag auf Augenhöhe abschliessen zu wollen, dann hätte es das früher tun müssen. Als es eben noch nicht bedingungslos kapituliert hatte. Nur: das wollte keine relevante politische Kraft. Schon gar nicht die Militärs und rechten Kreise, die sich über das "Diktat" empör(t)en.

Und die nächste Ironie: sie selbst hatten für den Gegner niemals etwas anderes im Sinne als ihm völlig inakzeptable Bedingungen einseitig aufzudrücken. Nach vollständiger Niederwerfung.

Die französischen Hardliner, die sich in Compiègne durchsetzten, sind das genaue Spiegelbild der massgeblichen Kräfte in Deutschland, die sich darüber so selbstgerecht empör(t)en.

Ein Vertrag?

Nun ja. Meines Wissens bedarf ein Vertrag zu seiner Gültigkeit der freien Willensentscheidung beider Parteien. Insofern die eine genötigt wird, ist diese Freiheit wohl fraglich. Vielleicht könnte man dem wiederum entgegen halten, dass Deutschland die Vertragsunterzeichnung natürlich auch hätte ablehnen können. Es hätte dann die Konsequenzen tragen müssen, aber es hätte diese Möglichkeit gehabt.

Ich weiss es nicht. Und m.E. wissen das auch Historiker i.d.R. nicht und dilettieren auf einem Fachgebiet, von dem sie nichts verstehen. Denn der Vertrag ist zu 100% ein Begriff aus dem Recht. Also ein Feld für Gutachten von Rechtsgelehrten.

Die würden sich dann aber auch nur noch darüber streiten, ob es ein rechtswirksamer Vertrag war, dass es ein Vertrag war, steht ausser Zweifel, denn so benannten ihn ja die Vertragsparteien selbst.

Eine gerechte Strafe?

Wieder so ein Begriff, der mich sehr stört, weil er so voller Wertung ist. Wie der eine voller Hass, so dieser voller selbstgerechter pathetischer Überheblichkeit. Diesmal der anderen Seite.

Strafe? Wofür? Dafür, dass die Seite, die verloren hat, den Krieg geführt hat? Dass sie sich nicht von vornherein ergeben hat? Warum hätte sie das tun sollen? Alle haben sich willig und begeistert angegriffen. Jeder wollte dem anderen seinen Willen aufzwingen.

Eine gerechte Strafe? Das klingt für mich so, als würde ein siegender Fussballverein dem unterlegenen eine "gerechte" Strafe dafür auferlegen, dass der nicht ohne Spiel den Pokal gleich vorab übergeben hat.

Die Moral hinter dieser Bestrafung entspricht auch nicht den Ehrbegriffen der gesellschaftlichen Elite, die damals unterging. Eine Forderung zum Duell, ein ritterlicher Zweikampf, ein Sieger, ein Verlierer. Dem Verlierer wird für den mutigen Kampf vom Sieger Ehre erwiesen. Um so mehr, je mehr er sich gewehrt hätte, statt Feigheit zu zeigen. Wo wäre jemals der Unterlegene mit Fusstritten dafür bestraft worden, dass er die Forderung zum Duell angenommen hatte?

Vielleicht ist es kein Zufall, dass das bürgerlich-demokratische Frankreich diese Bestrafungsphantasien am überzeugtesten und radikalsten durchzusetzen versuchte, nicht das noch sehr stark aristokratisch regierte Grossbritannen. Weiss ich nicht, fällt mir gerade spontan so ein;-)

Von den drei erwähnten Begriffen ist der Vertrag auf jeden Fall der Wertungs-neutralste . Denn er sagt ja nicht, ob es ein guter oder schlechter Vertrag gewesen war.

Er wäre daher noch am ehesten zu wählen.


Bruno47  27.09.2011, 08:25

Richtigstellung: Das Deutsche Reich hat am 11.11.1918 nicht bedingslos kapituliert. Vielmehr hat die Verhandlungsdelegation unter Erzberger einen Waffenstillstandsvertrag unterschrieben, der eine Vielzahl von Einzelregelungen und Bedingungen enthielt.

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derdorfbengel  28.09.2011, 02:37
@Bruno47

Richtigstellung angenommen. Kommst Du daraus zu einer anderen Bewertung?

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Hi, siehe Link. Gruß Osmond http://www.gutefrage.net/frage/warum-handelt-es-sich-bei-der-dolchstosslegende-um-eine-legende---hilfe#answer29419646 Zitat: Hi, wg. Versailler Diktat, oft auch beschönigend und verschleiernd "Vertrag" genannt:Zitat: Der Vertrag ist ein Rechtsgeschäft. Es besteht aus inhaltlich übereinstimmenden, mit Bezug aufeinander abgegebenen Willenserklärungen (Angebot und Annahme) von mindestens zwei Personen.

Durch den Grundsatz der Vertragsfreiheit (Privatautonomie) wird sichergestellt, dass jeder Mensch das Recht hat, im Rahmen der Gesetze seine Verhältnisse durch Verträge eigenverantwortlich zu gestalten **** Deutschland saß nicht am Verhandlungstisch, wurde durch Gewaltandrohung gezwungen, dieses Diktat, dazu einen Blankoscheck zu unterschreiben. lgO