LiebeR Hebae,
der Versailler Vertrag war, wie man in Deutschland in der Zwischenkriegszeit in meinem Verständnis zu Recht sagte, ein sogenannter "Diktatfrieden", das heißt also ein absolut einseitiger Vertrag, der nicht in erster Linie Frieden schaffen, sondern den Verlierer bestrafen sollte. Deutschland wurde die alleinige Schuld am Krieg gegeben, obwohl alle Staaten schon lange am Aufrüsten waren und Österreich den Krieg mit Serbien begonnen hat, obwohl Serbien auf ein eigentlich völlig unannehmbares Ultimatum eingegangen war, um den Frieden zu erhalten. Wenn also jemand "allein schuldig" war, dann die österreichisch-ungarische Generalität, die den Krieg wollte, um die Unabhängigkeitsbestrebungen der Slawen auf dem Balkan unterdrücken und verhindern zu können, dass Waffen von Serbien nach Bosnien geschmuggelt wurden - was, wie sich später herausstellte, sogar stimmte...
Aber okay, Deutschland hatte den Krieg verloren und bedingungslos kapituliert, die militärischen Kräfte waren am Ende, die Front zusammen gebrochen, die Ressourcen aufgebraucht. Das alles nutzten die Alliierten aus, um - entgegen dem von den Vereinigten Staaten und ihrem Präsidenten Wilson geforderten "Selbstbestimmungsrecht der Völker" einseitige Bedingungen zulasten der Deutschen durchzudrücken. So mussten Gebiete mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung an Litauen, Polen, Dänemark, die Tschechoslowakei, Belgien und Frankreich abgetreten werden. Österreich, das selbst Teil Deutschlands werden wollte, wurde die Vereinigung verboten, weil man fürchtete, dass Deutschland dann zu stark werden würde.
Man entwaffnete Deutschland beinahe vollständig. Die Kriegsflotte musste abgegeben werden, schwere Waffen (Artillerie, Panzer) ebenso. Das Heer durfte nicht mehr als 100.000 Mann unter Waffen haben. Das Rheinland wurde von den Alliierten besetzt und das Haupt-Industriegebiet des Reiches, der Ruhrpott, unter internationale Verwaltung gestellt, um die absurd hohen Reparationen einsammeln zu können, die Deutschland zu zahlen hatte, um die Alliierten für ihre Verluste im Krieg zu entschädigen. Teilweise musste man auf andere Rohstoffe wie Holz ausweichen. Aus diesen Grund gibt es in Deutschland so viele reine Nadelwälder, weil Kiefern einfach viel schneller wachsen konnten, als Laubbäume.
Im Übrigen stimmt es nicht, dass die Alliierten nie bei einem Vertragsbruch in Deutschland einmarschiert sind. 1923-25, als die deutsche Produktion durch die Inflation zusammenbrach, marschierten Frankreich und Belgien im Ruhrgebiet ein und zwangen die Fabriken, mehr zu produzieren. Erst nach einen Generalstreik der Arbeiter zogen sie wieder ab.
Für das politische System Deutschlands enthielt der Versailler Vertrag keine genauen Bestimmungen, anders als 1949 bei der Abfassung des Grundgesetzes. Man übernahm im Wesentlichen das System mit einem starken Staatsopberhaupt, wie es der Kaiser gewesen war, schwächte aber den Föderalismus und stärkte das Parlament - was damals aber vor allem eine Forderung der Sozialdemokraten und Liberalen war, um sich gegen das starke Staatsoberhaupt durchsetzen zu können. Die Regierung wurde z.B. zum ersten Mal dem Parlament gegenüber verantwortlich.
Als einziges Pro-Argument kann man eventuell gelten lassen, dass Deutschland kurz zuvor bereits einen ähnlich einseitigen Knebelvertrag mit Russland geschlossen hatte. Lenin wollte einfach nur Ruhe haben und war daher zu allem bereit. Er überließ Deutschland den ganzen Westen Russlands, also Polen, Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Weißrussland, die Ukraine, Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Ich persönlich halte aber nichts davon, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und das dann für gerecht zu halten...
Liebe Grüße
Sören