Woher kommt die Kraft durch die Krümmung der Raumzeit?

4 Antworten

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Hallo Kruemmelmonater,

mit Krümmung ist innere Krümmung im Sinne von GAUß und RIEMANN gemeint.

GAUß hatte erkannt, dass sich die Krümmung einer Fläche unabhängig von deren Einbettung in den 3D Raum beschreiben lässt. RIEMANN verallgemeinerte dies auf Mannigfaltigkeiten, die man als mehrdimensionale Verallgemeinerungen von Flächen auffassen kann.

Ein Schlüsselbegriff dazu sind Geodätische (Linien); dies sind die geradesten Linien, die innerhalb der Fläche liegen, wie etwa Großkreise in einer Kugeloberfläche. Eine geometrisch flache Fläche oder Mannigfaltigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass

  • die Winkelsumme in einem aus Geodätischen gebildeten Dreieck stets π bzw. 180° beträgt,
  • das Verhältnis zwischen Umfang und Durchmesser (entlang einer Geodätischen) stets π beträgt und
  • Geodätische, die nicht übereinstimmen, aber an einer Stelle in dieselbe Richtung verlaufen, überall in dieselbe Richtung verlaufen, also parallel sind.

In einer negativ gekrümmten Fläche wie auf einer Tuba ist die Winkelsumme kleiner, der Umfang im Verhältnis zum Durchmesser größer, und Geodätische neigen dazu, auseinander zu laufen.

In einer positiv gekrümmten Fläche wie etwa einer Kugeloberfläche ist die Winkelsumme größer, der Umfang im Verhältnis zum Durchmesser kleiner und Geodätische neigen dazu, zusammenzulaufen.

Das Trampolin- Modell und seine Schwächen
Das ganze wird ja meistens mit einem Trampolin erklärt...

Das stellt freilich nur den Raum dar, wobei man eine Dimension weglässt.

...wo in der Mitte jemand steht und deswegen rollt alles in die Mitte.

Und das ist das Schwachsinnigste an dieser Darstellung: Eine Murmel auf dem Trampolin folgt der Gravitation der Erde unter diesem, nicht dessen Krümmung. Würde man es nach oben ausbeulen statt nach unten eingedellen, würden sie vom Zentrum wegrollen, obwohl die Krümmung genau dieselbe ist.

Etwas besser ist es, sich eine Roboter-Ameise vorzustellen, die auf's Geradeausgehen programmiert ist. Egal ob man das Trampolin eingedellt oder ausgebeult ist, die Ameise wird zum Zentrum hin abgelenkt.

Die Raumzeit

Damit ist freilich Deine Frage noch nicht beantwortet; dazu brauchen wir ein Modell, das die Raumzeitkrümmung darstellt.

Hier ist ein Schlüsselbegriff die Weltlinie (WL), die sozusagen den Weg eines Punktes (z.B. eines markanten Punktes an einem Körper) durch die Raumzeit darstellt und entlang derer wir Zeit messen. Hierzu ist schon mal zweierlei zu sagen:

  • Die WLn zweier Körper, die sich relativ zueinander nicht bewegen, verlaufen parallel.
  • Die WL eines inertialen Körpers, also eines, der keine Kraft "spürt", ist eine Geodätische.

Die WL eines Körpers, etwa einer Uhr U, die wir als stationär ansehen, lässt sich als Zeitachse eines von U aus definierten Koordinatensystems Σ ansehen. Wenn U inertial ist, ist Σ ein Inertialsystem.

Die Geschwindigkeit v› = (vx | vy | vz) eines anderen Körpers, z.B. einer Uhr U', relativ zu U lässt sich als Neigung ihrer WL gegen die von U auffassen. Wir können Σ so ausgerichtet denken, dass v› = (v | 0 | 0) ist.

Oder ist die Raumzeit nur ein rein mathematisches Konstrukt um Dinge zu berechnen und sie lässt sich gar nicht in der Realität erkennen?

Definitiv nicht. Die Raumzeit hat mehr physikalische Realität als Raum und Zeit für sich, denn was Zeit und was Raum ist, hängt von der Wahl des Bezugssystems ab. Damit ist dasjenige Koordinatensystem gemeint, in dem wir physikalische Größen ausdrücken.

Statt U können wir nämlich auch U' als stationär und U als mit (−v | 0 | 0) bewegt ansehen – in einem von U' aus definierten Koordinatensystem Σ'. GALILEIs (!) Relativitätsprinzip (RP) sagt aus, dass die grundlegenden Beziehungen zwischen physikalischen Größen (nichts anderes sind Naturgesetze) unabhängig davon sind, in welchem der beiden wir die Größen selbst ausdrücken.

Zwei Ereignisse E₁ und E₂, die z.B. in Σ' gleichortig sind, d.h. dieselben räumlichen Koordinaten haben, haben in Σ den räumlichen Abstand Δx = v∙Δt. Dabei ist Δt = t₂ − t₁ die von U aus (unter der Annahme, dass U stationär ist) ermittelte Zeitspanne ist, die U- Koordinatenzeit. Die U'- Koordinatenzeit Δt' stimmt bei diesen Ereignissen mit der Eigenzeit Δτ überein, der von einer lokalen Uhr direkt gemessenen Zeitspanne.

Der Begriff der Gleichortigkeit muss also verallgemeinert werden: Ereignisse, für die es ein Koordinatensystem gibt, in dem sie gleichortig sind, heißen zeitartig getrennt.

In der NEWTONschen Mechanik (NM) sind Ereignisse entweder zeitartig getrennt oder gleichzeitig.

GALILEI meets MAXWELL

Zu den o.g. Naturgesetzen gehören auch MAXWELLs Grundgleichungen der Elektrodynamik und damit auch die elektromagnetische Wellengleichung, welche das Ausbreitungstempo c elektromagnetischer Wellen als Naturkonstante enthält. Deshalb muss sich alles, das sich relativ zu*) U mit c bewegt, auch relativ zu U' mit c bewegen und umgekehrt.

Daraus folgt allerdings, dass zwei Ereignisse EA und EC, die in Σ gleichzeitig in einem räumlichen Abstand Δx stattfinden, in Σ' einen zeitlichen Abstand haben.

Bild zum Beitrag

Abb. 1: Wir stellen uns vor, dass U und U' die Borduhren von Raumfahrzeugen B und B' sind; B ist das mittlere von drei Raumfahrzeugen A bei x = −d, B selbst bei x = 0 und C bei x = +d. Wir interessieren uns dafür, wann zwei Signale von A und C abgeschickt wurden, die B und B' im Moment ihrer Begegnung erreichen. In Σ hatten beide Signale denselben Weg d und müssen deshalb gleichzeitig abgeschickt worden sein. In Σ', das A, B und C als an B' vorbeiziehenden Konvoy beschreibt, muss das Signal von C aus einen um den Faktor (c + v)/(c − v) =: K² längeren Weg gehabt haben und deshalb entsprechend früher abgeschickt worden sein.

Der Begriff der Gleichzeitigkeit muss also verallgemeinert werden: Ereignisse, für die es ein Koordinatensystem gibt, in dem sie gleichzeitig sind, heißen raumartig getrennt.

Das Modell eines Sprungs

Das folgende Modell ist natürlich unzureichend, aber vielleicht doch instruktiv: Angenommen man unternimmt eine Flugreise zwischen zwei Orten auf demselben Breitenkreis. Auf einer Karte sieht das oft wie ein Umweg aus, da es ein Bogen über höhere Breiten ist.

Allerdings ist es in Wahrheit als Großkreis die kürzeste Verbindung. Ein Weg entlang eines Breitenkreises wäre ein längerer Weg, der zudem ständige Kurskorrekturen in Richtung höherer Breiten erforderlich macht.

Der Äquator lässt sich mit der WL des Erdmittelpunktes und der Breitenkreis mit der des Erdbodens vergleichen. Wenn ich auf dem Boden stehe, übt dieser eine Kraft nach oben aus, die ich spüre und sich so anfühlt wie eine entsprechende Beschleunigung eines Raumfahrzeugs im freien Weltraum. Während eines Luftsprungs spüre ich für sehr kurze Zeit keine Kraft, dieser Abschnitt meiner WL ist geodätisch.

Bild zum Beitrag

Abb. 2: Das Modell für einen Luftsprung

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*) Mit der Relativgeschwindigkeit eines Körpers, z.B. U', relativ zu einem anderen, z.B. U ist immer die Geschwindigkeit des Körpers im Ruhesystem von U gemeint. Nur in der NM stimmt die Differenzgeschwindigkeit zwischen U und U' in einem beliebigen Koordinatensystem mit ihr überein.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
 - (Astrophysik, Relativitätstheorie, Gravitation)  - (Astrophysik, Relativitätstheorie, Gravitation)

Hausfreund2020  06.04.2023, 07:21

Wenn du jetzt noch erklärst Was ist Raum, ohne Magie, dann hast du es verstanden.

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grtgrt  16.11.2022, 16:55

Mit "geradesten" Linien sind kürzeste Wege zwischen jeweils zwei Punkten gemeint.

Das Wort "gerade" ist hier fehl am Platz.

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SlowPhil  16.11.2022, 17:17
@grtgrt

Es sind nicht zwangsläufig kürzeste Wege. Gerade wenn es Weltlinien sind, ist das Gegenteil der Fall.

Der direkte Weg zwischen zwei zeitartig getrennten Ereignissen ist der längste.

Das Wort "gerade" ist hier fehl am Platz.

Dann eben: Die Wege mit der geringsten Krümmung bzw. dem größten Krümmungsradius.

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SlowPhil  18.10.2022, 16:33

Vielen Dank für den Stern!

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Kruemmelmonater 
Beitragsersteller
 18.10.2022, 14:44

wow, vielen Dank für die ausführliche Antwort. Ich habe es jetzt glaub ich etwas besser verstanden. Letztenendes ist sich vorzustellen, dass schwere Dinge auf magische Weise andere Dinge anziehen (Newton) ja genauso abstrus wie dass der Boden der Erde nach außen beschleunigt 😂

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aber eine veränderung im Raum sorgt doch nicht dafür, dass ein Gegenstand anfängt, sich zu bewegen oder?

Stelle Dir vor, der Raum wäre eine Gummi-Schnur. Die Schnur ist zwischen zwei Punkten gespannt. In der Mitte der Schnur ist eine Perle aufgefädelt und fixiert.

Jetzt zieht jemand an einem Ende der Schnur. Die Perle bewegt sich in seine Richtung, ohne daß die Perle eigene Energie aufbringt.


Kruemmelmonater 
Beitragsersteller
 15.10.2022, 09:47

Ok macht Sinn soweit. In deinem Besipiel soll denke ich mal das Ziehen an der Schnur die Krümmung der Raumzeit darstellen. Aber wenn ich mich auf der Erde befinde, ist die Raumzeit ja schon gekrümmt. Also ist die Schnur bereits auseinander gezogen oder?

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Moin. Krümmung der Raumzeit wird ja immer wie ein gekrümmtes Netz um die Erde z.B dargestellt.

ja, aber das ist blödsinn

ich frage mich wie ein Gegenstand, der sich realtiv zur Erde überhaupt nicht bewegt, durch Krümmung eine Kraft zur Erde erfahren kann.

der körper im freien fall erfährt eh keine beschleunigung (d.h. auf ihn wirkt keine kraft). es ist der erdboden der nach oben beschleunigt (weil elektromagnetische kräft dafür sorgen dass nicht alles auf einen punkt zusammenfällt, sondern die erde eine stabile form hat).

https://www.youtube.com/watch?v=DdC0QN6f3G4

aber eine veränderung im Raum sorgt doch nicht dafür, dass ein Gegenstand anfängt, sich zu bewegen

dann ist es gut dass wir nicht über änderungen im raum sprechen, sondern über welche in der raumzeit.

Das ganze wird ja meistens mit einem Trampolin erklärt wo in der Mitte jemand steht und deswegen rollt alles in die Mitte.

ja, aber auch das ist blödsinn.

Die Erklärung ist mir aber fragwürdig weil damit Dinge in die Mitte vom Trampolin rollen ist schon eine Gravitation notwendig. Also erklärt man da Gravitation mit Gravitation!?

https://xkcd.com/895/

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Physiker (Teilchenphysik)

Kruemmelmonater 
Beitragsersteller
 18.10.2022, 14:36

ok vielen dank aber wenn wir eine Kraft vom Boden erfahren, warum heben wir dann nicht ab? Es gibt ja keine Kraft, die uns nach unten drückt und wir beschleunigen uns ja dauerhaft also ist die Kraft von unten stetig da. (Nur damit ich es verstehe: ) Das ist ja wie 2 Magneten mit dem gleichen Pol aneinander zu legen. Wenn ein Magnet von beiden fixiert ist, beschleunigt nun der andere von ihm weg. Jedoch beschleunigt der eine Magnet nicht dauerhaft vom anderen weg, weil er sich auch vom anderen Magneten wegbewegt und dann nicht mehr beschleunigt wird. Bezogen auf Erde und Mensch sind also quasi beide Magneten fixiert weil der Mensch immer auf dem Erdboden steht allerdings beschleunigt der eine Magnet also der Mensch trotzdem, wie kann das sein wenn beide fixiert sind? Oder tut einfach der gesamte Boden bis zum Erdkern nach oben beschleunigen?

LG, falls du antwortest musst du btw nicht zu jeder Frage was sagen, das ist eigentlich nur eine Frage insgesamt mit verschiedenen beispielen :)

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Reggid  18.10.2022, 17:14
@Kruemmelmonater
ok vielen dank aber wenn wir eine Kraft vom Boden erfahren, warum heben wir dann nicht ab?

warum sollten wir?

der boden beschleunigt mit 9.81 m/s², und er schiebt uns an so dass auch wir mit 9.81 m/s² beschleunigen. warum sollten wir dann abheben?

stell dir ein frei im all schwebendes raumschiff vor. wenn es seine triebwerke einschaltet und mit 9.81 m/s² beschleunigt, dann wird die besatzung in den sitz gedrückt (so wie auch ich jetzt in meinen sessel gedrückt werde während ich das schreibe), und beschleunigt ebenfalls mit 9.81 m/s².

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das mit dem Trampolin ist irreführend - das ist nur eine Darstellung des Gravitationspotentials, dessen Gradient die Schwerebeschleunigung ist, trotzdem gibt es in diesem Bild ein oben und unten, was ja bei Raumkrümmung nicht gut sein kann. Die Antwort sind Geodesics, die an die Stelle von Geraden treten. Derek Muller erklärt das hier ganz schön:

https://youtu.be/XRr1kaXKBsU


Kruemmelmonater 
Beitragsersteller
 15.10.2022, 09:45

Ok danke, das war sehr hilfreich. Ich habe nurnoch eine Frage: Es wurde ja so beschrieben, dass laut Newton die Gravitation uns Menschen nach unten drückt und die Protonen im Boden drücken uns nach oben, deswegen bewegen wir uns nicht. Dann wurde erklärt, dass die Gravitation ja keine Kraft ist, weswegen es nurnoch die Kraft der Protonen im Boden gibt, die uns mit 9,8m/s^2 (oder so) nach oben beschleunigt. Da frage ich mich, woher die Kraft aus den Protonen im Boden kommt. Diese gab es ja nur, weil die Gravitation uns nah an die Protonen rangedrückt hat und wir durch die elektromagnetische wechselwirkung wieder nach oben gedrückt wurden. Wenn jetzt aber die Gravitationskraft fehlt, sollten wir doch eigentlich nur kurz von den Protonen abgestoßt werden und etwas in der Luft schweben, anstatt dass wir immer mehr beschleunigt werden. Diese Beschleunigung würde ja vorraussetzen, dass wir von den Protonen beschleunigt werden, aber uns nicht von ihnen wegbewegen und so immernoch dieselbe Kraft erfahren !?

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hologence  15.10.2022, 11:36
@Kruemmelmonater

die Kraft von unten ist elektromagnetische Wechselwirkung - da gibt es sehr wohl Kräfte. Die gleiche Wechselwirkung hilft uns auch, am Boden stehen zu bleiben und nicht zu einer Pfütze zu zerfließen.

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SlowPhil  15.10.2022, 21:17
@Kruemmelmonater

Es sind eher die Elektronen, die die Kraft auf uns ausüben. Allerdings nicht ausschließlich durch die elektrische Abstoßung, wie man meinen könnte. Mindestens ebenso wichtig ist dass bei zu großer Annäherung die Wellenfunktionen der Elektronen aus verschiedenen Atomen so stark überlappen, dass PAULIs Ausschließungsprinzip zum Tragen kommt. Elektronen (ebenso wie Protonen, nur auf viel größerem Raum) können als sogenannte Fermionen nicht am selben Ort im selben Zustand sein.

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Kruemmelmonater 
Beitragsersteller
 18.10.2022, 14:27
@hologence

ja richtig aber wenn es diese Kräfte gibt bzw. solange es diese Kräfte gibt, müssten wir Menschen uns ja vom Boden wegbewegen, da es ja keine Kraft gibt, die uns auf den Boden drückt.

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