Wie seht Ihr Friedrich Ebert?

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Viele kritische Worte zu Ebert. Da braucht es jemanden, der es ein wenig anders sieht.  😇

Gewiss kann man Ebert - sagen wir besser: der damaligen Führungsspitze der SPD - viele Vorwürfe machen. Aber ob sie zutreffen, kommt auf den Standpunkt an, von dem aus man das Wirken Eberts und seiner Genossen betrachtet.

Ich greife mal folgende Punkte heraus:

  • Ebert-Groener-Pakt:   Tatsächlich haben sich die SPD-Oberen mit den Repräsentanten des monarchischen Militarismus arrangiert. Aber man muss, wenn man ein Urteil fällt, die damalige Situation berücksichtigen: der Krieg war verloren, aber Deutschland unbesetzt und weiterhin ein souveräner Staat. Die Erfahrungen mit Russland, das auch zu den Kriegsverlierern gehörte und dann durch das Erstarken des Kommunismus in einem Bürgerkrieg mit barbarischen Gräueltaten versank, führten gerade bei Ebert zu der Erkenntnis, dass dieses Schicksal Deutschland erspart bleiben müsse. Um das zu verhindern, haben Ebert und Genossen der militärischen Hilfe bedurft. Und es gab nun einmal nur das kaiserliche Militär, das sofort in der Lage war, mit bewaffneter Macht die Regierung zu stützen und für Ruhe und Ordnung im Reich zu sorgen. Das hat Opfer gekostet, keine Frage, aber wäre es in Deutschland zu einem Bürgerkrieg wie in Russland gekommen, wären unvergleichlich mehr Opfer zu beklagen gewesen. Ebert und Genossen haben damals das kleinere Übel gewählt. Mag es vielleicht ein "Verrat" an "den Linken" und einem Teil der Arbeiter gewesen sein, jedenfalls war es kein "Verrat" an Deutschland! Allgemeinwohl geht vor Parteinutzen! 
  • Ausrufung der Republik:   Ebert war Kind seiner Zeit. Daher hatte er begriffen, dass die Deutschen auch nach dem verlorenen Krieg an der Monarchie - nicht an der Person des Kaisers - hingen. Um einen kontinuierlichen Wandel zur Demokratie - in Fortführung der Verfassungsänderungen von Oktober 1918 - ohne großen Bruch zu vollziehen, war es Ebert wichtig, weiterhin auf die (parlamentarische) Monarchie zu setzen, in der der Monarch politisch nurmehr eine untergeordnete Rolle spielen und die Demokratie sich durchsetzen und entfalten konnte. Das war aus damaliger Sicht durchaus klug und nachvollziehbar gedacht. Insofern erschwerte bzw. durchkreuzte aber Scheidemann - Liebknecht ohnehin - durch die Ausrufung der Republik diese Möglichkeit einer bruchlosen Entwicklung. Dass Eberts Wunsch nach Erhalt der Monarchie auch mangels geeigneter oder williger Thronkandidaten der herrscherlichen Familien und der innen- wie außenpolitischen Entwicklungen unerfüllbar war, konnte er damals noch nicht absehen. Wenn wir in der Rückschau Eberts Planungen betrachten und beurteilen, dann müssen wir bereit sein zuzugeben, dass die 1920er Jahre eines Deutschland mit parlamentarischer Monarchie durchaus anders verlaufen wären. Vermutlich wären auch die Nazis Deutschland erspart geblieben.
  • Bündnis mit den "alten Eliten":   Ohne Frage, das haben Ebert und Genossen getan: sie haben sich beim Aufbau der Republik weiterhin auf diese Eliten gestützt, auch das leitende Personal der Verwaltungen nur behutsam ausgewechselt. Heute ist es leicht, einen radikalen Neuanfang zu postulieren. Aber damals? Ich zähle jetzt nicht im Detail die zahlreichen Schwierigkeiten auf, vor die sich die von der SPD geführte neue Regierung nach der Abdankung Max von Badens gestellt sah, sondern verweise nur auf einige wesentliche Gesichtspunkte: die politischen Alltagsgeschäfte mussten erledigt werden, ein Heer war abzurüsten und wieder ins Zivilleben zu integrieren, die Versorgung der Bevölkerung war ein drängendes Problem, die Vorbereitungen eines Friedensschlusses standen ebenso an wie die Etablierung einer demokratischen Staatsordnung, die nach Präsident Wilson die Bedingung für günstige Friedensbedingungen zu sein schien. Die Bewältigung dieser zahlreichen Aufgaben war ohne Unterstützung durch große Teile der bereits in der kaiserzeitlichen Politik und Verwaltung Tätigen und Erfahrenen schier unmöglich. Nach dem Zweiten Weltkrieg war ein Konrad Adenauer vor ähnliche Aufgaben gestellt - und hat ähnliche Konsequenzen gezogen.


Wer also heute Ebert und Genossen verdammt, sollte sich immer bewusst sein:

  1. dass eine Beurteilung der politischen Leistungen Eberts immer den Hintergrund der damaligen politischen Situation berücksichtigen muss;
  2. dass Ebert und Genossen die weitere historische Entwicklung, die wir kennen, nicht kannten nicht kennen konnten.

Menschen wie Ebert und Genossen, die in einer verzwickten Situation rasche Entscheidungen treffen müssen, sind vor Irrtümern und Fehlentscheidungen nicht gefeit. Will man diese menschliche Schwäche für ein Verdammungsurteil heranziehen? In der Gesamtschau kann man festhalten: Ebert hat als Reichspräsident seine Aufgaben korrekt erledigt, er war durchaus beliebt in Deutschland. Was er und seine ihn unterstützenden Genossen in einer innen- wie außenpolitisch äußerst schwierigen Situation geschaffen hatten, konnte sich sehen lassen: Deutschland ist nicht in einem Bürgerkrieg mit Millionen Toten wie in Russland versunken; es wurde eine Republik geschaffen, die den Menschen erhebliche Freiheitsrechte (erstmals) garantierte und ein demokratisches System installierte, das funktionstüchtig war; durch den Abschluss des Versailler Vertrages hat die damalige Regierung die Souveränität und damit die politische Fähigkeit Deutschlands erhalten, seine inneren und äußeren Angelegenheiten eigenständig anzugehen und zu erledigen - und die harten Bedingungen zu revidieren. Damit waren Grundlagen geschaffen, die - das sollte man nicht vergessen! - vom deutschen Volk selbst nicht sinnvoll genutzt worden sind! Dafür und für die elende antidemokratische Propaganda extremistischer Gruppierungen kann man Ebert und Genossen nicht verantwortlich machen!


MfG

Arnold






Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich arbeite als Historiker.

In SPD-und Gewerkschaftskreisen völlig überbewertet.

Ansonsten kennt den heute wohl kein normaler Bürger mehr.

Der Herr paktierte mit den alten Mächten (Ebert-Groene-Pakt), und an seinen Händen klebt das Blut von deutschen Arbeitern. Er ließ Noske, seinen "Bluthund" gewähren und auf Arbeiter schießen.

Wenn das heute manchmal halb scherzhaft verwendete Wort "Arbeiterverräter" für Leute wie Gazprom-Gerd und Hartz verwendet wird: Auf Ebert trifft es meiner Ansicht nach zu 100% zu.

Er wurde von manchen als Hüter der Weimarer Republik verklärt - ich halte ihn für deren ersten Totengräber.

Gruß, earnest



earnest  20.05.2017, 15:31

-edit: Groener; Komma nach "Bluthund"

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Der Ebert-Groener-Pakt - Eberts mörderisches Bündnis mit den reaktionären, militanten Kräften, das zu Bürgerkrieg und Massenmord an der eigenen Basis und damit zur unversöhnlichen Spaltung der deutschen Linken führte, ist das Schandmal der deutschen Sozialdemokratie. Diese Spaltung und Schwächung der deutschen Linken hat maßgeblich zum Aufstieg des Nationalsozialismus und damit zur europäischen Katastrophe beigetragen.

Daß angesichts der vielen Toten nach Herrn Ebert Straßen und Plätze benannt sind - und sogar eine Parteistiftung, halte ich für ausgesprochen schändlich.

Literatur:
- Sebastian Haffner: "Der Verrat. Deutschland 1918/ 1919", Verlag 1900
- Klaus Gietinger: "Der Konterrevolutionär", Edition Nautilus

Hallo Herr Bentheim,

in ihrer Betrachtunq zur Rolle von Friedrich Ebert und Genossen haben Sie Rosa Luxenburg und Karl Liebknecht vergessen.Diese wurden von den , von Ebert zu Hilfe gerufenen, reaktionären kaiserlichen Truppen, mit Billigung der SPD, verhaftet und ermordet. Unter diesem Kontext ist Friedrich Ebert schon kritisch zu sehen.

mfg Uwe Ahrens

Zwiespältig. Zuerst rüffelte er Scheidemann, als dieser die Republik ausrief. Dann zeigte er eine übervorsichtige, schlaffe Haltung in der Revolution und ließ sich auf das Bündnis mit den alten Eliten ein, was die Republik schwer belastete. Die SPD verspielte unter seiner Führung das Prestige, das sie zuerst hatte.

Dann ganz passabler Präsident, der wenigstens voll und ganz hinter der Verfassung stand.