Wie definiert man Glück in der Philosophie?

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Was in der Philosophie unter Glück verstanden worden ist bzw. wird, kann in Philosophielexika nachgelesen werden.

Der Glücksbegriff ist nicht durchgebend und völlig einheitlich. Es gibt aber im Kern nicht viele unterschiedliche Auffassungen, was gemeint ist. Unterschiede treten stärker bei Feinheiten der Deutung und der Beurteilung auf, wie Glück (am besten) erreicht wird.

Beim Glück können verschiedene Glückbegriffe unterschieden werden:

a) Empfindungsglück: ein auf augenblickliche Zustände von Freude/Vergnügen/gesteigerter Zufriedenheit bezogenes subjektives Empfindungsglück, vor allem an den Augen gebunden und flüchtig, aber ein extremes Hochgefühl und gesteigerte Zufriedenheit, Maßstab ist dabei hauptsächlich das subjektive Gefühl

b) Erfüllungsglück: ein Erfüllungsglück eines guten, gelingenden Lebens, geschieht durch möglichst harmonische Entfaltung von Fähigkeiten, dauerhafte Zufriedenheit spielt eine größere Rolle (eine Person erreicht Lebensziele, die sei erreichen will), Anlagen werden betätigt und dabei das wahrhaft Wünschenswerte in einem erfüllten, wohlgeratenem Leben verwirklicht, was mit innerem Einklang verbunden ist

Anders als in der Antike (eher Verbindung von Wohlbefinden und Wohlergehen mit Glück als Erfüllungsglück und mit objektiv erstrebenswerten Zielen) ist später beim Glück das subjektive Empfindungsglück längere Zeit vorrangig geworden. Moderne Denker haben inzwischen den Ansatz des Erfüllungsglücks wieder aufgegriffen (z. B. Wilhelm Schmid mit dem Konzept der Lebenskunst als selbstbestimmte und kluge Wahl für das Individuum realer Möglichkeiten). Eine gelungene/erfolgreiche Verwirklichung von Potentialen führt dann auch zu einem Gefühl des Wohlergehens.

Mark Lekarew, Glück. In: Metzler Philosophie Lexikon. Begriffe und Definitionen. 3., erweiterte und aktualisierte Auflage. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz P. Burkard. Metzler : Stuttgart ; Weimar, 2008, S. 220 – 221

„Seit der Antike hat man immer wieder das G.[lück] als das höchste Gut oder das höchste Ziel des menschlichen Lebens verstanden. Anders als dem weit verbreiteten alltäglichen Verständnis zufolge, ist mit dem philosophischen Begriff allerdings weder der günstige Zufall noch eine momentan angenehme Gemütsverfassung gemeint, die aus der Erfüllung von Wünschen resultiert. Generell beschreibt der Begriff des G.[lück]s in der Philosophie eine Art von Zufriedenheit, die aus der menschlichen Tätigkeit selbst erwächst und über längere Zeit hinweg anhält.“

Nach Platon zeichnet sich, wer gerecht ist, durch eine besonders große seelische Harmonie und Selbstübereinstimmung aus (Politeia 443). Gerechtigkeit ist für ihn gleichsam Gesundheit der Seele. Der Tugendhafte/Vortreffliche habe geistige Genüsse und ein an Erkenntnis/Einsicht orientiertes Leben bringe den höchsten Grad der Lustempfindung mit sich (Politeia 580 d – 583 a). Gerechtigkeit ist ein sowohl um seiner Folgen als auch um seiner selbst willen anzustrebendes Gut (Politeia 358 a). Streben heißt etwas erreichen wollen und bedeutet grundsätzlich, etwas Vorteilhaftes und Wertvolles anzustreben. So gesehen ist das Gute der Inbegriff des Vorteilhaften. Der Besitz des Guten mache die Glücklichen glücklich.

Glück/Glückseligkeit (εὐδαιμονία) sei etwas, worin ein Streben, Begehen, Wünschen als einem schlechthin Erstrebenswerten zu einem Ende kommt, Glück bilde ein abschließendes Ziel (Symposion 204 – 205). Inhaltlich kann das Glück daher nur durch etwas bestimmt werden, das unter allen Umständen gut ist und kein bloßes Mittel darstellt.

Aristoteles (Nikomachische Ethik 1 und 10) versteht Glück(seligkeit) als das höchste und letzte Ziel (Endziel) menschlichen Handelns. Alle streben nach Glück. Aristoteles ist der Auffassung, ein so großes Gut wie das Glück könne nur durch ein Tätigsein erreicht werden, indem Fähigkeiten und angelegte Möglichkeiten entfaltet werden. Die Entfaltung ist etwas, das Freude bereitet und zu einem guten, erfüllten Leben beiträgt.

Als das einem Menschen eigentümliche Werk (das, wozu er speziell bestimmt ist) versteht Aristoteles die mit Vernunft verbundene Tätigkeit der Seele und ein entsprechendes Handeln. Das menschliche Gut ist nach ihm der Vortrefflichkeit/Tugend (ἀρετή) gemäße Tätigkeit der Seele bzw. (wenn es mehrere Vortrefflichkeiten gibt) der besten und vollkommensten Vortrefflichkeit/Tugend entsprechende Tätigkeit.

Die Epikureer haben neben einem gut überlegen Genießen eine Seelenruhe (äußert sich in heiterer Gelassenheit) bei der Glückseligkeit hervorgehoben, die Stoiker eine Seelenruhe (äußert sich in Unerschütterlichkeit), gleichmütige Kontrolle der Gefühle, vernünftiges Wohlwollen für andere und Verpflichtung auf Erhaltung und Vollendung seiner Naturanlage (schon immer zu Vernunft und selbstwerthafter Tugend ausgerichtet.

Plotin (Neuplatoniker) verstand unter Glück einen vollkommenen, vernunftbestimmten Lebenszustand, in dem sich, wer ihn erreicht hat, nichts mehr hinzu wünschen kann (Enneade 1, 4, 4).


Albrecht  27.02.2012, 04:36

René Descartes faßte Glück als eine dem vortrefflichen/tugendhaften und möglichst vernünftigen/rationalen Leben folgende Zufriedenheit (an ein Bewußtsein der geknüpft, im Besitz der Dinge des Wohlbefinden zu sein) auf, eine vollkommene Zufriedenheit des Geistes und inneres Wohlbefinden.

Thomas Hobbes deutete Glück als ungehindertes andauerndes Fortschreiten von einer Begierde zur andren, mit kurzfristiger Zufriedenheit, wenn den Begierden folgend Verlangtes erfolgreich erreicht wird.

John Locke verstand unter Glück ein Höchstmaß an Lust/Freude/Vergnügen (pleasure).

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. II. Transscendentale Methodenlehre. Zweites Hauptstück. Der Kanon der reinen Vernunft. 2. Abschnitt. Von dem Ideal des höchsten Guts AA III 523/B 834:
„Glückseligkeit ist die Befriedigung aller unserer Neigungen (sowohl extensive der Mannigfaltigkeit derselben, als intensive dem Grade und auch protensive der Dauer nach).“

Matthias Gatzemeier, Glück (Glückseligkeit). In: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß. Band 3: G – Inn. 2., neubearbeitete und wesentlich ergänzte Auflage. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2008, S. 152 – 154

Otfried Höffe, Glück. In: Lexikon der Ethik. Herausgegeben von Otfried Höffe. Original-Ausgabe, 7., neubearbeitete und erweiterte Auflage. München : Beck, 2007 (Beck'sche Reihe ; 152), S. 114 – 118

S. 115: „Die Einheit des Begriffes G.[lück] ist nur eine formale. G.[lück] ist weniger ein dominantes als ein inklusives ↑ Ziel, nicht die Spitze einer Hierarchie von Zielen, sondern der Inbegriff der Erfüllung der dem jeweiligen Menschen wesentlichen Bedürfnisse, Wünsche u.[nd] Erwartungen. Das G.[lück] ist kein direkter Gegenstand menschlichen ↑ Strebens, sondern die Begleiterscheinung im Fall des Gelingens: die Qualität eines zufriedenstellenden, weil sinnvollen, eben guten Lebens.“

Joachim Ritter, Glück I. Antike. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 3: G – H. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1974, Spalte 679 - 691

Otto Hermann Pesch, Glück II. Mittelalter. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 3: G – H. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1974, Spalte 691 - 696

Robert Spaemann, Glück III. Neuzeit. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 3: G – H. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1974, Spalte 697 - 707

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shizoMiststueck 
Beitragsersteller
 08.03.2012, 15:58

Wirklich sehr gute Zusammenfassung. sehr detailliert und mir knappen und aussagekräftigen Meinungen berühmter Philisophen! DH

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Glück ist ein schillernder, vieldeutiger Begriff. Marc Aurel, der Philosoph auf dem Kaiserthron, meinte, das Glück liege im vernünftigen Denken, im wahrhaftigen Wort und in der guten Tat. Nietzsche sprach von den "Idioten des Glücks", Schopenhauer spekulierte, wir seien hier auf der Welt im Elend und eine Absicht, dass wir im Elend sein sollen, sei unverkennbar. Das Glück eines Individuums diene eventuell nur dazu, dass die Elenden, die das (seltene) Glück eines anderen besichtigen müssen, durch den Kontrast ihr eigenes Unglück noch stärker empfinden. Dass ein solches (eigentlich nicht vorgesehenes) Glück von Dauer sein könnte, ist nahezu ausgeschlossen. - Für einen jungen Menschen bedeutet Glück die große Liebe und die gelingende Karriere bzw. ein erfüllter Beruf (+ Gesundheit natürlich!). Da aber alles sich auf dieser Welt wandelt, muss man davon ausgehen, dass auch die Liebe vergeht und die Karriere irgendwann zu Ende geht, weil man von einem Anderen, Jüngeren verdrängt wird oder Ähnliches (meistens findet gerade dadurch auch die Liebe ihr Ende). Dann steht man da, im Unglück, oder man tritt zu einem neuen Kampf ums Glück an. Traut man sich das nicht mehr zu, dann empfiehlt sich nur noch die Weisheit des Marc Aurel (s.o.) Nietzsche sprach vom „grünen Weideglück der Lämmer“; damit meinte er das „erfüllte“ Dasein der Philister, von ihm auch „Herdenmenschen“ genannt: also z.B.: schickes, schuldenfreies Häuschen im Grünen, ordentliches Auskommen, gesunde, in der Schule fleißige Kinder, tolle Urlaubsreisen, großer Freundeskreis, womit sich der Ehrgeiz des Spießers erfüllt hat. Für Nietzsche ist das soviel wie Unglück, weil das für ihn ein Sklavendasein ist. Denn umsonst bekommt man dieses „Weideglück“ nicht; man muss ständig um Anerkennung ringen, man unterwirft sich also dem Urteil der anderen. Fällt nur eines der „Glücksmomente“ weg, z.B. man wird arbeitslos, das Häuschen ächzt unter Hypothekenschulden, die man kaum noch abbezahlen kann, bricht alles zusammen. - Zu den Unglücklichen zählt Nietzsche auch die „Tätigen“, wie er sie nannte; z.B. der geldsammelnde Bankier, der einem den Zweck seiner rastlosen Tätigkeit nicht erklären kann. „Die Tätigen rollen, wie der Stein rollt, gemäß der Dummheit der Mechanik“ („Menschliches, Allzumenschliches“, 5. Hauptstück). Und: „Wer von seinem Tage nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave, er sei übrigens, wer er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter, Gelehrter“ (a.a.O.). Glück ist also hiernach das freie Dasein desjenigen, der zwei Drittel am Tage für sich hat. – Nach Auffassung der Philosophie der Aufklärung ist derjenige glücklich, welcher seine Neigungen (Triebe etc.) beherrscht und unter der weisen Vorherrschaft der Vernunft lebt. Dessen Leben kann nur sinnvoll und glücklich verlaufen. Für Schopenhauer bedeutet Glück soviel wie Langeweile. Denn wenn man seine Ziele erreicht hat und also glücklich ist, stellt sich sofort Langeweile ein; es sei denn, man setzt sich von neuem Ziele; aber dann ist man wieder unglücklich, solange man sie nicht erreicht hat.

Es gibt das Glück des Augenblicks: vors Auto laufen und unverletzt bleiben ist Glück.

Es gibt das Lebensglück: zufrieden sein mit dem was man hat, von liebenden Menschen umgeben sein ist Glück. Auch wenn es episodenhaftes Unglück gibt, wie z.B. einen geliebten Menschen zu verlieren. Das Leben kann man trotzdem glücklich verbringen. Das zeigt, daß Glück ein Talent ist.

Und es gibt das Glück des Zufalls: im Lotto gewinnen. Aber Vorsicht! Genau dieses Glück kann dauerhaft sehr unglücklich machen.

Es wäre nicht schlecht, wenn wir 3 verschiedene Worte für diese 3 Glücksarten hätten.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Frage "Was ist Glück?" Gegenstand philosophischer Debatten ist, es also keine einheitliche Definition gibt. Das ist in der Philosophie quasi immer so, weil sie davon lebt, dass man Dinge hinterfragt.

Der Ausdruck ist mehrdeutig. In einem 1. Sinne nennen wir eine Person glücklich, deren Leben wir als gelungen und gut bewerten. Glücklich ist ein Leben, in dem nichts Wesentliches fehlt. In einem zweiten Sinne sagen wir von einer Person, dass sie G. gehabt hat, wenn ihr etwas zustößt, was sie positiv bewertet und nicht selbstverständlich erwarten konnte. Und in einem dritten Sinne nennen wir jemanden glücklich, der sich wohlfühlt. Alle 3 Bedeutungen von G. hängen insofern zusammen, als wir ohne glückliche Zufälle und Umstände, also ohne G. im 2. Sinne (griech.: eutychia), und ohne G. als Lust (griech.: hedone) auch kein G. im 1. Sinne (griech: eudaimonia), also kein gelungenes Leben haben können.

Aristoteles, 1972, Nikomachische Ethik, Hamburg. – Forschner, M., 1993, Über das Glück des Menschen. Aristoteles, Epikur, Stoa, Thomas von Aquin, Kant, Darmstadt. – Griffin, J., 1986