Welchen evolutionären Vorteil haben Homosexuelle und Bisexuelle?

12 Antworten

Das ist nicht leicht zu beantworten, und wohl auch noch nicht vollkommen geklärt.

Zunächst einmal hat es ja einen Nachteil, weil sie keine Kinder bekommen. Es könnte einen Vorteil haben, wenn Menschen in der Familie sind, und die Familie unterstützen, aber selber keine Kinder haben. Dazu müßten sie aber nicht unbedingt homosexuell sein.

Homosexualität ist ja angeboren, vererbt. Jedenfalls ist das die überwiegende Meinung, und es gibt auch keine andere Erklärung. Es wird aber nicht durch ein einzelnes Gen vererbt, sondern ist die Kombination von vielen Genen. Diese Gene konnen in einer anderen Kombination vorteilhaft sein, und nur in bestimmter Kombination zu Homosexualität führen.

Angeblich gibt es ja auch bei Tieren Homosexualität, aber tatsächlich ist es dort extrem selten. Bei Menschen ist es nicht so selten.

Ich bin der Meinung, das es mit der noch jungen Entwicklung der Menschheit zu tun hat. Es ist ja scheinbar nachgewiesen, das die heutigen Menschen Neandertaler-Gene haben. Auch in 100.000 - 1 Million jahren davor hat es große Veränderungen bei den menschlichen Genen gegeben.


woaag  25.02.2024, 10:03

Es gibt auch mehrere tiere mit homosexuellen/bisexuellen päärchen und eine spezies Echse ist nur lesbisch (keine männlichen Exemplare). Es ist wahrscheinlich sehr früh entstanden. Außerdem kommt es auf das tier an, wie viele homo/bisexuelle Exemplare existieren

koofenix  25.02.2024, 00:16

Wenn sie keine Kinder bekommen wie vererben sie es dann ?

Krader303702  25.02.2024, 00:22
@koofenix

sie können Kinder bekommen sonst gäbe es ja keine homosexuellen die mit einer Frau ein Kind haben

stealthuser  25.02.2024, 00:25
@koofenix

Tun sie nicht - das mit der genetischen Veranlagung bzw. Vererbung ist nur vorgeschoben um keine Diskussionen über die Umkehrbarkeit führen zu müssen.

Christian314  25.02.2024, 21:06
@koofenix

Eine Art ist, dass manche von ihnen heterosexuelle Geschwister haben, die die Veranlagung weitergeben.

Ich sehe mehi Gründe:

  • Die Natur ist vielfältig und üppig. Was uns auf den ersten Blick als verschwenderisch erscheint macht auf den zweiten durchaus Sinn.
  • Homosexualität ist nicht erblich.
  • Sexualität hat nicht nur den technischen Zweck der Fortpflanzung, sondern erfüllt beim Menschen und anderen in Gemeinschaft lebenden Wesen auch soziale Zwecke, z.B. Stressabbau. Sonst hätten wir eine feste Paarungszeit und würden uns den Rest des Jahres nicht für Sex interessieren.
  • Um überleben zu können sind Menschen auf Kooperation und Arbeitsteilung angewiesen. Das ist schon seit mehreren Hunderttausend Jahren der Fall. Die Aufzucht unserer Kinder ist jedoch extrem aufwändig. Deshalb macht es evolutionär durchaus Sinn innerhalb der Gemeinschaft Menschen zu haben die sich nicht fortpflanzen, sondern Kapazitäten für viele andere sinnvolle Dinge haben.
Woher ich das weiß:Recherche

BerndBauer3  26.02.2024, 11:47

Deine Antwort finde ich gut. Eigendlich alles, was du schreibst.

Außer, das Homosexualität nicht erblich sein soll. Für mich ist das 100% sicher, das es erblich ist. Woran soll es denn sonst liegen. Schon bei der Geburt steht fest, ob jemand homosexuell ist, oder nicht. Schon vor der Geburt, bei der Zeugung. Weil es an den Genen liegt. Ich kann mir jedenfalls nichts anderes vorstellen.

DiefliegendeKuh  26.02.2024, 14:17
@BerndBauer3

Ich denke dass alle Menschen von Geburt an die Anlage zu Homosexualität und Bisexualität haben, aber durch die Lebensumstände und Erfahrungen dann geprägt werden. Viele fühlen sich deswegen manchmal ein bisschen zum eigenen Geschlecht hingezogen, leben diese Neigung aber nicht oder selten aus.

Krader303702  25.02.2024, 00:23
Die Natur ist vielfältig und üppig. Was uns auf den ersten Blick als verschwenderisch erscheint macht auf den zweiten durchaus Sinn.

Und welchen?

DiefliegendeKuh  25.02.2024, 08:18
@Krader303702

Z.B. dass eine soziale Gemeinschaft als ganzes bessere Überlebenschancen hat, wenn es Individuen gibt die sich nicht fortpflanzen, sondern eben ihre Energie der Gemeinschaft widmen.

Wie kommt es, dass sowas überhaupt existiert?

Wir müssen erst mal festhalten, dass die Ursachen für Homosexualität zwar teilweise genetisch bestimmt sind. Zum größten Teil wird die sexuelle Orientierung aber von Umweltfaktoren bestimmt, die während der Embryonal- und Fetalentwicklung auf das Ungeborene einwirken und von der Evolution somit schon mal gar nicht beeinflusst werden.

Zweitens müssen wir festhalten, dass Bi- und Homosexualität nicht im Widerspruch zur Evolutionstheorie stehen. Es gibt etliche evolutionsbiologische Begründungen dafür, wie Genvarianten für gleichgeschlechtliches Verhalten in einer Population erhalten und wieso diese sogar von Vorteil sein können.

Es vermehrten sich homosexuelle Menschen (zu damaligen Zeiten) ja nicht. Und die Gene werden nicht weitergegeben.

Nun, das stimmt schon mal so nicht. Homosexuelle sind ja trotzdem fertil und können somit trotzdem Nachkommen zeugen. Eine homosexuelle Person fällt ja nicht tot um, wenn sie quasi zweckmäßig rein für Fortpflanzungszwecke einmal heterosexuellen Verkehr hat. Es gibt die "Bechermethode", bei der gar kein Geschlechtsverkehr notwendig ist und die im Prinzip schon seit Jahrhunderten angewendet werden kann. In neuerer Zeit wurden natürlich die Möglichkeiten für homosexuelle Paare um künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft usw. erweitert.

Zweitens sind direkte Nachkommen nur ein Weg, wie man die eigenen Gene an die nächste Generation weitergeben kann, das ist die sog. direkte Fitness. Es gibt aber noch einen anderen, den man indirekte Fitness nennt (direkte und indirekte Fitness zusammen ergeben dann die Gesamtfitness, also das Vermögen eines Ibdividuums seine eigenen Gene weiterzugeben). Denn man teilt seine Gene nicht nur mit Nachkommen, sondern auch mit allen anderen Verwandten. Wenn man diese unterstützt, sorgt man somit ebenfalls für die Verbreitung eigener Gene. Vollgeschwister teilen im Schnitt genauso viele Gene wie ein Elter mit einem Nachkommen, nämlich 50 %. Aus Sicht des Gens ist es völlig egal, ob es dadurch verbreitet wird, ob man einen eigenen Nachkommen zeugt oder ein Geschwister beim Großwerden unterstützt. Selbst wenn also Homosexuelle gar keine eigenen Nachkommen zeugen würden, ihre Gesamtfitness bliebe trotzdem positiv und ihre Gene blieben über den Umweg anderer Verwandter erhalten.

Eine andere Erklärung für die Erhaltung von Homosexualität sind pleiotrope Effekte. Die meisten Gene wirken sich nicht nur auf ein Merkmal aus, sondern auf mehrere verschiedene, das nennt man Pleiotropie. Selbst wenn ein Gen sich auf ein Merkmal negativ auswirkt, kann es daher erhalten bleiben, wenn seine Wirkung auf ein anderes Metkmal positiv genug ist, dass es insgesamt eher von Vorteil als nachteilig ist. Man hat z. B. auf dem X-Chromosom bestimmte Marker gefunden, die mit männlicher Homosexualität in Verbindung stehen. Weil Männer nur eines davon haben, Frauen aber zwei, verbringt ein Gen auf dem X-Chromosom im Schnitt doppelt so viel "Lebenszeit" in weiblichen Individuen wie in männlichen. Wenn das Gen sich z. B.auf die weibliche Fruchtbarkeit positiv auswirkt, kann es erhalten bleiben, obwohl seine männlichen Träger sich nicht fortpflanzen.

Drittens können Genvarianten für homosexuelles Verhalten durch bisexuelle Individuen erhalten werden. Schaut man sich mal in der Tierwelt um, dann sind die allermeisten Tiere verhaltensmäßig nicht ausschließlich hetero-, sondern bisexuell. Und warum sollten sie das auch nicht sein? Bisexuelle können sich ja ganz "normal" fortpflanzen. Es ist sogar belegt, dass der Fortpflanzungserfolg bisexueller Individuen größer ist als der von Artgenossen, die rein heterosexuell sind. Erst kürzlich wurde das z. B. für männliche Rhesusaffen gezeigt. Wer bisexuell ist, schafft es leichter, sich mit anderen Männchen zu verbünden, klettert somit dank seiner Unterstützer im Rang nach oben und kann seinen Fortpflanzungserfolg damit steigern.

Und viertens erfüllt Sexualität nicht nur die Fortpflanzungsfunktion. Gerade bei sozial lebenden Arten erfüllt sie wichtige andere Zwecke. Bei Bonobos beispielsweise ist Sex ein Mittel geworden, das soziale Konflikte entspannt und es dient der Beilegung solcher Konflikte. Versöhnungssex ist also nicht nur dem Menschen bekannt. Es ist sehr wichtig, dass solche Mittel und Wege der Konfliktbewältigung in einem Sozialverband existieren. Denn das Überleben des Einzelnen hängt vom Überleben der ganzen Gruppe ab. Soziale Spannungen können dabei natürlich auch zwischen gleichgeschlechtlichen Individuen auftreten. Die Fähigkeit, dann auch durch Sex wieder Frieden miteinander schließen zu können, ist in einer solchen sozialen Gruppe daher ein großer Vorteil. Und deshalb sind Bonobos beispielsweise praktisch ausschließlich bi. Insbesondere weibliche Bonobos praktizieren gleichgeschlechtliche Handlungen genauso häufig wie heterosexuelle.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin bisexuell. 💕💜💙

BerndBauer3  26.02.2024, 12:12

Ja, das hast du gut erklärt. Einmal, indirekte Fitness. Pleiotropie, (das Wort kannte ich bisher nicht), aber die Bedeutung ist für mich logisch. Und meiner Meinung ist das auch der wichtigste Grund für Homosexualität. Das mit der Bisexualität ist auch richtig. Gibt es auch bei Tieren.

Aber bei dem, was du am Anfang geschrieben hast, bin ich anderer Meinung. Meiner Meinung nach gibt es da keine, oder fast keine Umweltfaktoren in der vorgeburtlichen Entwicklung.

Darwinist  26.02.2024, 15:21
@BerndBauer3
Aber bei dem, was du am Anfang geschrieben hast, bin ich anderer Meinung. Meiner Meinung nach gibt es da keine, oder fast keine Umweltfaktoren in der vorgeburtlichen Entwicklung.

Doch, die Forschung ist sich darin heute ziemlich einig. Dass nachgeburtliche Faktoren eine Rolle spielen, kann man nahezu ausschließen, es gibt dafür so gut wie keine Belege.

  • "Recent research in genetics or endocrinology has shown that genes and hormones, acting pre- or immediately postnatally, contribute to a large extent, if they do not completely determine, the sexual orientation of a subject." - Balthazard 2021.
  • "[...] scientific literature clearly shows that a combination of genetic and environmental factors contribute to sexual orientation, with approximately one third of variance currently attributed to the former. Much of the known environmental influence appears to be intra-uterine and there is no currently convincing evidence that social environment plays a significant part." - Cook 2020.
  • "However, there is considerably more evidence supporting nonsocial causes of sexual orientation than social causes. [...] In contrast, evidence for the most commonly hypothesized social causes of homosexuality—sexual recruitment by homosexual adults, patterns of disordered parenting, or the influence of homosexual parents—is generally weak in magnitude and distorted by numerous confounding factors." - Bailey et al. 2016.

Näheres zu den vorgeburtlichen Umweltfaktoren habe ich hier zusammengefasst: https://www.gutefrage.net/frage/schwule-erklaeren#answer-535377193

BerndBauer3  26.02.2024, 16:23
@Darwinist

Ja, ok. Das ist ziemlich viel zu lesen. Lese ich später vielleicht noch komplett. Englisch kann ich nicht so viel. das ich es verstehe.

Aufgefallen ist mir, das Jungs/Männer mit einem älteren Bruder eine 33% höhere Wahrscheinlichkeit haben, homosexuell zu sein. Das ist ja doch schon ein großer Unterschied. Scheinbar liegt es nicht ausschließlich an den Genen. Da habe ich etwas dazugelernt, und akzeptiere das auch so.

Darwinist  27.02.2024, 13:28
@BerndBauer3
Scheinbar liegt es nicht ausschließlich an den Genen.

Das tut es ja auch nicht. "Angeboren" ist eben nicht synonym zu "genetisch bedingt". Auch Umweltfaktoren, die während der Schwangerschaft auf das Neugeborene einwirken, haben einen Einfluss, wahrscheinlich sogar einen größeren als die Gene (näheres findest du in der verlinkten Antwort).

Nur ist es eben so, dass die Umwelt, die später auf einen einwirkt, also alles, was nach der Geburt passiert, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die sexuelle Orientierung nicht beeinflusst. Kinder aus Regenbogenfamilien sind z. B. nicht häufiger homosexuell als Kinder mit heterosexuellen Eltern. Und man "wird" nicht schwul oder bi, wenn man in der Pubertät gleichgeschlechtliche Erfahrungen macht, man ist es dann einfach immer schon gewesen, hat es halt vorher nicht gemerkt. :-)

Darwinist  27.02.2024, 13:31
@Darwinist

Hier für dich noch die Übersetzung der Texte:

  • "Die aktuelle Forschung in Genetik und Endokrinologie hat gezeigt, dass Gene und Hormone, die vor- oder unmittelbar postnatal agieren, zu einem großen Umfang zur sexuellen Orientierung eines Einzelnen beitragen, wenn nicht gar komplett bestimmen."
  • "[...] Die wissenschaftliche Literatur zeigt deutlich, dass eine Kombination aus genetischen und umweltbedingten Faktoren zur sexuellen Orientierung beiträgt, wobei derzeit etwa ein Drittel der Varianz ersteren zugeschrieben wird. Ein Großteil der bekannten Umwelteinflüsse scheint intrauterin zu sein und derzeit gibt es keine überzeugenden Beweise dafür, dass das soziale Umfeld eine wesentliche Rolle spielt."
  • "Es gibt jedoch deutlich mehr Belege, die nichtsoziale Ursachen der sexuellen Orientierung unterstützen, als für soziale Ursachen. [...] Im Gegensatz dazu sind die Belege für die am häufigsten vermuteten sozialen Ursachen von Homosexualität – sexuelle Rekrutierung durch homosexuelle Erwachsene, Muster gestörter Elternschaft oder der Einfluss homosexueller Eltern – im Allgemeinen schwach und durch zahlreiche Störfaktoren verzerrt."

Diese Frage hatte ich mir auch schon gestellt und herausgefunden, dass deine (wie damals auch meine) Ausgangslage auf einer falschen Annahme basiert.

Homosexualität ist nicht per se vererbbar.

Die Nazis hatten in Deutschland damals z. B. ja auch Homosexuelle in KZs gesteckt, mit dem Ziel der "Eugenik", also dem gezielten ausmerzen von Homosexualität aus dem Volks-Genpool...

Tatsächlich würde Homosexualität in jeder neuen Generation aufs Neue entstehen können. Da homosexuelle Beziehungen auch in der Regel nicht das Ergebnis haben, Nachwuchs zu zeugen, würden sich die Gene ja auch gar nicht weitervererben.

Es gibt dazu eine gut ausformulierte Theorie aus 2012 von Evolutionsbiologen William R. Rice und Genetiker Urban Friberg, über epigenetische Einflüsse bei der Sexualentwicklung:

https://www.journals.uchicago.edu/doi/10.1086/668167

https://en.wikipedia.org/wiki/Epigenetic_theories_of_homosexuality

Demnach kann es sein, dass bspw. ein Junge in der embryonalen Entwicklungsphase epigenetisch die sexuellen Präferenzen seiner Mutter vererbt bekommt, oder andersrum ein Mädchen die Präferenzen des Vaters.

Daher ist das nicht zwangsläufig ein evolutionärer Vorteil, sondern eher sowas wie "Murphys Law" - alles was passieren kann, passiert auch.

Welchen "Vorteil" das für eine soziale Gesellschaft haben kann, steht auf einem anderen Blatt. Von Verfolgung und Unterdrückung durch Ablehnung oder Akzeptanz und Inklusion gibt es eigentlich kein objektives "Richtig" und "Falsch", sondern nur die Summe der Entscheidungen wie eine Gesellschaft mehrheitlich leben möchte.

Altruistisch kann man natürlich argumentieren, dass jemand der nicht selbst homosexuell ist, keine Vor- oder Nachteile hat, Homosexualität als Bestandteil der Natur zu akzeptieren. Er wird ja selbst nicht dadurch tangiert.

Ablehnung entsteht meistens durch religiöse Motive, welche wiederum auf patriarchalen oder chauvinistischen Weltanschauungen basieren, da es nicht der "gewünschten" Norm entspricht, wie sich ein prototypischer Mann oder eine Frau gesellschaftlich zu verhalten haben. Die Ablehnung von Homosexualität in den abrahamitischen Religionen fußt bspw. nicht zwangsläufig auf der "Unart", sondern (speziell im Christentum) darauf, dass ein Mann nicht in Abhängigkeit zu einem anderen Mann leben, oder sich im Unterwerfen soll (so wie es in Ehebeziehungen zwischen Mann und Frau damals üblich war).


Darwinist  07.01.2024, 15:25

Das Problem mit der Hypothese (!) Fribergs und Rice' ist, dass es dafür keine Belege gibt, wie die Autoren selbst zugeben.

Die epigenetischen Muster von Spermium und Eizelle werden bei Säugetieren gewöhnlich gelöscht und entstehen später individuell neu. Bislang gibt es noch keinen eindeutigen Beleg dafür, dass die Löschung der elterlichen epigenetischen Marker irgendwie umgangen werden kann. Angebliche Belege dafür, die bei Labormäusen und Ratten gewonnen wurden, stellten sich im Nachhinein als Folge einer Prägung während der Schwangerschaft oder als Folge viraler Infektionen heraus. Beim Menschen gibt es allenfalls vage Hinweise auf eine epigenetische Vererbung, die allein auf demographischen Daten beruhen. Ein echter molekularer Nachweis existiert nicht, weshalb die Hypothese zwar einleuchtend klingt, aber mehr eben auch nicht. :)

II99II  07.01.2024, 16:03
@Darwinist

Danke für den Hinweis.

Das stimmt natürlich und ich wollte sogar noch einen Satz hinzufügen, der darauf eingeht das die Hypothese nicht beweisbar ist, da man es experimentell kaum nachweisen kann.

Als Gegenbeispiel zum Erfolg theoretischer Wissenschaft aber kurz ein Fall aus der Astrophysik: Schwarze Löcher wurden jahrzehntelang auch rein mathematisch, theoretisch formuliert und beschrieben. Erst 2019 ist der erste experimentelle Beweis durch eine reale Beobachtung gelungen... und es hatte niemanden mehr überrascht, da die theoretischen Vorhersagen bereits so zutreffend waren.

Das bedeutet nicht zwangsläufig das die Hypothese zur epigenetischen Vererbung zutreffen muss, aber es bedeutet eben auch nicht das jede Hypothese eine aus der Luft gegriffene Behauptung ist.

Man hätte außerdem, neben dieser biologischen Erklärung, auch noch auf weitere Faktoren eingehen können, wie bspw. soziokulturelle (albanische "Eingeschworene Jungfrauen"), familiäre Prägung, Vater-/Mutterkomplex, etc. oder auch darauf, dass unser "klassisches" Bild der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung/Sexualität nur ein Konzept unter vielen verschiedenen ist, welche die Natur anbietet (von denen für den Menschen, wie für die meisten höherentwickelten Säugetiere, aber natürlich nur die zweigeschlechtliche relevant sein kann).

Alles in Allem ein interessantes aber umfangreiches Thema.

Trotzdem nochmal ein guter und richtiger Einwand, dass es sich dabei nur um eine Hypothese handelt.

Darwinist  08.01.2024, 13:14
@II99II

Na ja, dass schwarze Löcher existieren müssen, war schon länger belegt. Das erste "Foto" eines schwarzen Lochs wurde zwar erst 2019 geschossen, aber die Wirkungen schwarzer Löcher auf ihre Umgebung sind messbar. ;-) Somit war schon länger belegt, dass es sie geben muss.

Das bedeutet nicht zwangsläufig das die Hypothese zur epigenetischen Vererbung zutreffen muss, aber es bedeutet eben auch nicht das jede Hypothese eine aus der Luft gegriffene Behauptung ist.

Das behauptet ja auch niemand. Die Beweispflicht liegt aber auf Seiten derjenigen, die etwas behaupten - Russels Teekanne *hust*.

Die Hypothese ist außerdem nun auch schon wieder an die 12 Jahre alt. Und seitdem ist kein nennenswerter Beitrag hinzu gekommen, der sie stützen könnte.

Ich will damit nicht sagen, dass die Hypothese gar nicht zutrifft. Ich halte es aber für eher unwahrscheinlich bzw. glaube ich nicht, dass die Epigenetik der größte Einflussfaktor ist.

BerndBauer3  26.02.2024, 11:58

Ich bin kein Genforscher. Da gibt es sicher viele, die das besser wissen. Das, mit der Epigenetik habe ich bisher nicht wirklich verstanden. Es ist aber auch nicht alles verstanden, bewiesen. Es ist eine Theorie. Da sind nicht alle der gleichen Meinung.

Warum sind denn trotz epigenetischen Einfluß 95% der Menschen heterosexuell. Warum gibt es das nicht bei Tieren? Angeblich gibt es Homosexualität ja auch bei Tieren. Aber da ist es extrem selten. Bei fast allen Tierarten sind 99,9% heterosexuell.

II99II  26.02.2024, 21:33
@BerndBauer3
Warum sind denn trotz epigenetischen Einfluß 95% der Menschen heterosexuell. Warum gibt es das nicht bei Tieren? Angeblich gibt es Homosexualität ja auch bei Tieren. Aber da ist es extrem selten. Bei fast allen Tierarten sind 99,9% heterosexuell.

Auch wenn Homosexualität der Hypothese nach einen "natürlichen" Ursprung hat, ist es ja unbestreitbar trotzdem so, dass es nicht zur biologischen Norm gehört. Daher wird immer nur eine marginale Minderheit davon betroffen sein; Schätzungen nach etwas zwischen 2-10% der gesamten Bevölkerung. Dazu gibt es aber keine verlässlichen Zahlen, erst recht nicht in der Tierwelt.

Beim Menschen kommen aber gut vorstellbar weitaus mehr Faktoren hinzu, entsprechend der höheren, neurologischen Komplexität, wie bspw. soziale, kulturelle Faktoren oder andere dynamische Einflüsse. Das gesellschaftliche Zusammenleben ist ja auch weitaus komplexer, als bei den meisten Tierarten.

Annährend ähnliche Komplexität könnte man am ehesten bei Delfinen bzw. Orcas sehen. Sie haben im Verhältnis Gehin zu Körper das 2. größte Gehirn nach dem Menschen und Orcas sollen sogar bis zu 4-mal mehr Spiegelneuronen als der Mensch besitzen - auch sie haben ein hoch-komplexes Sozialverhalten und auch hier wird regelmäßig "homosexuelles Verhalten" beobachtet (im weitesten Sinne).

Wie von Darwinist schon angemerkt, kann die Epigenetik ein Faktor sein, aber muss nicht der hauptsächliche Einflussfaktor sein, auch wenn es eine naheliegende Erklärung für "angeborene Homosexualität" wäre, scheint es ja aber auch sowas wie soziale Entscheidungen zu geben.

Aktuellere Forschungen zeigen, dass die genetische Veranlagung für sich genommen gar nicht so entscheidend ist. Es gibt kein "Homo-Gen", das weitervererbt wird. Deutlich wird dies bei eineiigen Zwillingen, mit unterschiedlicher Sexualpräferenz.

Entscheidend ist vielmehr, wie die Gene ausgelesen werden und hier zeigt sich, dass Umwelteinflüsse ebenfalls eine große Rolle spielen können. Diesen Einflüssen könnten womöglich sogar schon die Eltern oder Großeltern ausgesetzt sein. Es könnte sich daher um einen evolutionären Regelmechanismus handeln, um die Zahl der Nachkommen zu verringern, was für die Spezies einen Vorteil darstellt, weil es dann einen reduzierten innerartlichen Kampf um Ressourcen gäbe. Aber auch dies ist nur eine Hypothese, da Sexualverhalten nicht ausschließlich auf Fortpflanzung ausgelegt ist. Selbst wenn Homosexualität also gar keinen evolutionären Vorteil hat, kann sie als Normvariante ("Laune der Natur") auftreten, ohne dass der Population dadurch ein Nutzen entsteht oder geschadet wird.

Epigenetische Faktoren scheinen aber ausschlaggebend zu sein. Vieles auf diesem Gebiet ist allerdings noch unklar und hypothetisch. Das Problem ist außerdem, dass Forschungen in dieser Richtung ethisch problematisch sein können, weil die Erkenntnisse in homofeindlichen Regimes womöglich zur Entwicklung von "Homo-Tests" und "Heilverfahren" missbraucht werden könnten.

Deshalb und auch aufgrund konkurrierender Hypothesen kann man deine Frage derzeit nicht abschließend beantworten.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

BerndBauer3  26.02.2024, 12:23

Es gibt nicht das EINE Homogen, sondern es ist wohl die Kombination aus vielen Genen.

Ich denke, das eineiige Zwillinge fast immer die gleiche sexuelle Vorliebe haben. Ich kenne aber keine Zahlen, und lasse mich da gerne belehren.

Für mich ist auffällig, das Homosexualität bei Menschen relativ oft vorkommt (ich schätze etwa 3%), bei den meisten Tierarten aber extrem selten ist. Daran kann man allerdings nicht die Ursache von Homosexualität erkennen.

verreisterNutzer  27.02.2024, 08:30
@BerndBauer3
Es gibt nicht das EINE Homogen, sondern es ist wohl die Kombination aus vielen Genen.

Und ist außerdem von den verschiedenen Möglichkeiten, wie diese Gene aktiviert werden, abhängig. Das Genom ist nur ein Akteur im "Spiel des Lebens". Das Epigenom spielt darin ebenfalls eine Hauptrolle.

Ich denke, das eineiige Zwillinge fast immer die gleiche sexuelle Vorliebe haben. Ich kenne aber keine Zahlen, und lasse mich da gerne belehren.

Es gibt mehrere Zwillingsstudien, die jedoch zu ziemlich unterschiedlichen Zahlen gelangen. Beispielhaft sei hier die Arbeit von KENDLER et al. genannt: Sexual orientation in a U.S. national sample of twin and nontwin sibling pairs

Nur bei etwa 3 % der untersuchten eineiigen Zwillinge (n = 19) war mindestens ein Individuum laut eigenen Angaben homosexuell. Allerdings waren von diesen 19 Zwillingspaaren nur bei 6 Paaren beide Geschwister homosexuell. Somit lag bei 13 Paaren (68,4 %) eine differente Sexualpräferenz vor.

Da die meisten dieser Studien allerdings nur auf Befragungen beruhen und zudem aufgrund des ohnehin geringen Anteils an Homosexualität in der Bevölkerung eine sehr geringe Datengrundlage liefern, bergen die Ergebnisse gewisse Unsicherheiten. Beispielhaft für eine valide Studie in Bezug auf die Sexualpräferenz sei daher noch die Arbeit von WATTS et al. genannt: Sexual arousal patterns of identical twins with discordant sexual orientations.

Hier wurden die sexuellen Erregungsmuster eineiiger Zwillinge mit laut eigenen Angaben unterschiedlicher Sexualpräferenz untersucht. Es zeigte sich, dass tatsächlich unterschiedliche genitale Erregungen auf das jeweilige Bildmaterial stattfanden. Diese Studie untermauerte nebenbei auch die Annahme, dass Männer eine deutliche Sexualpräferenz ausbilden, während (laut Selbstauskunft) heterosexuelle Frauen offenbar stärkere bisexuelle Tendenzen haben.

Für mich ist auffällig, das Homosexualität bei Menschen relativ oft vorkommt (ich schätze etwa 3%), bei den meisten Tierarten aber extrem selten ist. Daran kann man allerdings nicht die Ursache von Homosexualität erkennen.

Deine Schätzung von 3 % halte ich für durchaus realistisch. Als "relativ oft" würde ich das jetzt aber nicht bezeichnen. Was andere Tiere betrifft, muss man sich immer bewusst sein, dass Vergleiche lediglich Modellcharakter haben. Und man muss definieren, von welcher Art von Homosexualität man eigentlich spricht. Meint man damit das dauerhafte Zusammenleben von gleichgeschlechtlichen Paaren oder bloß das gleichgeschlechtliche Sexualverhalten. Danach muss man dann differenzieren, ob eine Spezies überhaupt Sexualverhalten außerhalb der Fortpflanzung zeigt und ob überhaupt dauerhafte Monogamie herrscht. Wägt man diese Dinge ab, muss man sagen, dass einerseits Monogamie die Ausnahme im Tierreich ist und außerdem bei denjenigen Spezies, die Sexualverhalten neben dem reinen Akt der Fortpflanzung zeigen, gleichgeschlechtlicher Sex gar nicht mal so selten vorkommt. Schaut man sich dann unsere nächsten Verwandten an und vergleicht deren Sexualverhalten und die Anatomie der Geschlechtsorgane mit der unseren, gibt es sehr deutliche Indizien, dass die Spezies Homo sapiens rein biologisch betrachtet eine polygame und bisexuelle Spezies ist, sich aber selber zur Monogamie domestiziert und in der Folge (zumindest bei Männern) eine im Normalfall deutlich ausgeprägte Sexualpräferenz entwickelt hat.

Zu dieser komplexen Thematik empfehle ich Laien gerne das populärwissenschaftliche Buch "Sex at Dawn: The Prehistoric Origins of Modern Sexuality" von Christopher Ryan (deutscher Titel: "Sex – die wahre Geschichte").