Welche Tiere haben eine Großhirnrinde?
Bei einer Diskussion mit einem Bekannten fiel das Argument, dass Menschen sich gegenüber Tieren durch den "Cerebral Cortex" abheben würden. (Die Diskussion war auf Englisch. Später schlug ich dann nach, dass die deutsche Übersetzung für "Cerebral Cortex" Großhirnrinde ist).
Mein Diskussionspartner war der Überzeugung, dass nur Menschen eine Großhirnrinde besäßen, was ich auch ohne genauere Kenntnis der Übersetzung des Gehirnareals schon aus evolutionsbiologischen Gesichtspunkten stark bezweifelte.
Beim späteren Ergoogeln fand ich sowohl Netzmeinungen die eben die meines Bekannten vertraten, dass die Großhirnrinde eben DER signifikante Unterschied zwischen Tieren und Menschen sei. Der Teil der den Menschen die Fähigkeit gibt über sich selbst, den Tod und den Sinn des Lebens nachzudenken. Tiere könnten, mangels Großhirnrinde keine philosophischen Fragen stellen.
Andererseits musste ich feststellen, dass der englische und deutsche Wikipedia-Eintrag über die Großhirnrinde nicht nur stark voneinander abweicht (z.B. findet man das Wort 'Tier' im deutschen Eintrag häufig, im Englischen taucht 'animal' nicht ein einziges Mal auf) er beantwortet auch meine Frage nicht endgültig, welche Liste von Lebewesen denn nun überhaupt über eine Großhirnrinde verfügen. Und wenn - ich habe starke Hinweise, dass scheinbar zumindest Vögel und Säugetiere eine Großhirnrinde haben - kann man diese überhaupt miteinander bzw. mit der Menschlichen Vergleichen?
Fakt ist: Der Mensch ist das derzeit einzig bekannte Lebewesen, dass Wolkenkratzer und kerosinbetriebene Flugzeuge bauen kann. Aber ist deswegen seine Großhirnrinde per Definition eine andere als die von Delphinen, Rhesusaffen, oder Elefanten?
Selbst abstraktes Denken höherer Ordnung bekommen wir hin (z.B. Ich stelle mir vor, meine Freundin dächte darüber nach, wie ich im Traum über den Sinn des Seins mit mir Selbst philosophiere) was einfach nur genial ist. Abstraktes Denken einfacher Ordnung konnte inzwischen aber auch schon einigen Tierarten nachgewiesen werden.
Wie ist also die Aussage "Tiere haben keine Großhirnrinde" in Betrachtung und Vergleich mit menschlicher Intelligenz einzuordnen? Ist sie generell und gänzlich Falsch? Im biologischen und im philosophischen Sinn?
Und welche Lebewesen hätten im rein biologischen Sinn einen Cortex, eine Großhirnrinde?
Ich freue mich sowohl über biologische als auch über philosophische Antworten. Vielen Dank!
3 Antworten
Nabend,
erstmal vorweg: Alle Säugetiere besitzen eine Großhirnrinde.
Diese Großhirnrinde ist der äußere, einige Millimeter dicke Bereich, des Großhirns. Das Großhirn, oder auch Telencephalon, ist der große Klumpen, der Kleinhirn, Stammhirn, Hippocampus & friends umgibt. Hier wird bei Säugetieren Lautbildung, Motorik, Sehen, Hören und vieles mehr verarbeitet, wobei man nicht vergessen darf, dass diese Prozesse fast immer in Interaktion mit anderen Hirnarealen stattfinden.
Was jetzt noch viel wichtiger ist: Vom reinen Vorhandensein bestimmter cerebraler Strukturen kann man nicht auf Funktionen des gesamten Gehirns schließen. Das bedeutet, dass es mehr als nur einen Weg gibt, bestimmte Fähigkeiten zu entwickeln. Ein recht "nahes" Beispiel wäre der Vergleich zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen. Das Gehirn einer Frau ist im Schnitt ein paar hundert Gramm leichter als das eines Mannes. Trotzdem sind Männer nicht klüger.
Vögel besitzen keine Großhirnrinde, können aber zum Teil ähnlich komplexe, kognitive Leistungen erfüllen wie der Mensch und stellen sich in einigen Bereichen sogar cleverer an als so mancher Säuger. Sie sortieren und bunkern Nahrung nach Kaloriengehalt, täuschen Artgenossen mit hinterlistigen und durchdachten Szenarien und zeigen bemerkenswerte soziale Organisation. Alles ohne das, was den Menschen angeblich so einzigartig macht.
Wo wir schon bei den Sauropsida sind, Krokodile können ebenfalls Laute erzeugen, weisen Motorik auf und können sehen. Dabei haben sie ein noch deutlich primitiveres Gehirn als Vögel. Während wir für diese Prozesse unsere Großhirnrinde benötigen, kommen sie wunderbar ohne aus. Und das schon einige Millionen Jahre länger als wir.
Aber zurück zum Thema! Es ging darum, dass ein Vorhandensein einer Struktur nicht maßgeblich notwendig für die Ausführung eines Prozesses ist. Es geht vielmehr um den histologischen und neuronalen Aufbau einer Struktur. Man kann also selbst mit vergleichsweise primitiven Hirnstrukturen schon komplexe Aufgaben lösen, solange die einzelnen Nervenzellen in passender Weise miteinander verknüpft sind. Im Klartext bedeutet das: Es kommt nicht auf die Größe des Hammers an, sondern wie man damit nagelt ;-)
Die wichtige Frage, bei der Notwendigkeit komplexer aufgebauter Gehirne ist nun, was soll genagelt werden, welche Probleme müssen vom Individuum durch kognitive / neuronale Prozesse gelöst werden. Je größer dieses Spektrum wird, desto komplexer muss auch die cerebrale Struktur werden. Ein Krokodil braucht im Grunde nichts anderes als
Warten --> erkennen --> Maul auf --> Bewegung nach vorne --> Maul zu --> verdauen
Ein Säugetier dagegen hat für seine Art zu Leben schon deutlich mehr Aufgaben zu meistern. Es muss sich Gebiete einprägen in denen Nahrung zu finden ist, Wege abspeichern, Bewertungen vornehmen, verschiedene Fraßfeinde erkennen und jedesmal entsprechend reagieren, die Schwangerschaft und Geburt kontrollieren, regulieren und vieles mehr.
Um dann nochmal auf den Unterschied Tier - Mensch zu sprechen zu kommen:
Wir alle wissen ja, Menschen sind auch nur Tiere. Während sich jedes Tier auf ein oder mehrere Fähigkeiten spezialisiert hat, ist das Steckenpferd des Menschen das abstrakte, kreative Denken und die starke Ausbildung sozialen Verhaltens. Unsere Art mit der Umwelt und Artgenossen klar zu kommen ist das Denken und es hat sich gezeigt, dass wir damit gar nicht mal so schlecht fahren.
Wir denken mit unserem Gehirn aber das bedeutet nichts zwangsläufig, dass unser Gehirn komplett anders aufgebaut sein muss als das von Tieren, die ihren eigenen bzw. anderen Weg eingeschlagen haben.
Gradualismus ist hier das Stichwort. Das, was wir können, können einige nichtmenschliche Tiere auch allerdings bei weitem nicht so gut wie wir. Im Detail lassen sich im Gehirn von Mensch und Nicht-Mensch also kleine, feine Unterschiede feststellen, der Grundbau bleibt, im Rahmen der Säugetiere, allerdings der gleiche.
Zuletzt würde ich dir gerne einen Literaturtipp geben =)
Gerhard Roth hat in seinem Buch "Wie einzigartig ist der Mensch" unter anderem auch die Unterschiede der Gehirne von Menschen und Nicht-Menschen sehr detailliert behandelt und geht dabei (gleich im ersten Kapitel) auf die Großhirnrinde, bzw. den Neocortex ein.
Da findest du mehr Antworten als dir beim Lesen Fragen einfallen ;-)
Wünsche noch einen schönen Abend!
Jaja, die Arroganz des Menschen. https://www.youtube.com/watch?v=KxOgKz6NzR4
Das Gehirn von Vögeln kommt ohne ausgeprägte Großhirnrinde aus und ist dem von Säugetieren vergleichbarer Größe weit überlegen. Sie müssen halt Gewicht sparen und haben ihr Gehirn besser strukturiert. Das Gehirn des Menschen ist ein Luxusorgan, das in Anbetracht seiner Größe wenig leistet. Die meisten Menschen nutzen seine Möglichkeiten fast gar nicht.
Danke für die ausführliche Antwort. Ein wirklich toller Buchtipp. DH