Was lief bei Spätaussiedlern intergration besser als die Gastarbeiter?

3 Antworten

Besser lief das nicht, eher schlechter. Vielerorts begegnete man ihnen ablehnend und das haben sie sich einfach gemerkt - deswegen blieben sie meist unter sich. In meiner Heimat war es so, dass die Russlanddeutschen weder in den Vereinen noch in der Stadt an sich gern gesehen waren und deswegen ihre eigenen Sportvereine usw. gründeten.

Nur mal so ein typisches Beispiel: Wenn in meiner Heimat so Mitte-Ende der 90er-Jahre irgendwas passierte, das im Polizeibericht der Zeitung erwähnt wurde, machte gleich der unschöne Spruch "ouh, des war bestimmt'n Russ'" schon die Runde, kaum dass die Tinte auf dem Papier trocken war... und gerade "die Russen" oder "die Russkis", wie sie manche auch gern nannten, fanden in der Gesellschaft nicht statt. Aber das war noch eine der harmloseren Episoden.

In den 90ern (Nachwendezeit usw.) hieß es dann auch oft, die nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg oder arbeiten nix und fallen dem Staat zur Last ... und so weiter. Die Stimmung war teilweise extrem stark angeheizt, es gab viel Hetze komischerweise vor allem von alteingesessenen, finanzstarken Familien, die keinen Grund zur Sorge hätten haben müssen - und die "Deutschen" hatten oft Angst, dass man ihnen was wegnehmen könnte ... so sind sie aber grundsätzlich in vielen Dingen.

Durch diese Ablehnung war der Weg in die Jugendkriminalität viel kürzer als bei einem normalen, gern gesehenen "deutschen" Jugendlichen: Der deutsche Michael, Christoph oder Torsten hat ganz andere Sorgen als der russlanddeutsche Viktor, Vladimir oder Arthur gehabt ... ich kenne das noch sehr gut. Wer sich nicht angenommen fühlt, der rebelliert und manche wurden dann kriminell aus lauter Frust und Perspektivlosigkeit. Ähnliches war ja bei den Neonazis in Ostdeutschland und den Gangs zu spüren - sehr lesenswert ist dazu das auf Ostdeutschland in den 90ern bezogene Jugendbuch "Ich bin der King" von Günter Saalmann, das mich sehr beeindruckt hat. Diese Situation, die dort beschrieben wird rund um Rex, Jabw, Beate usw. kann weitestgehend 1:1 auf Russlanddeutsche Anfang-Mitte der 90er-Jahre bezogen werden.

Mit Jahrgang 1990 war ich einer der ersten Jahrgänge, in deren Kiga- und Schulzeit Russlanddeutsche einfach dazu gehörten und ich habe hier einige Freunde gefunden. Das war nie ein Thema, man verstand sich einfach ------> und man fragte sich in der Schulzeit, warum die Eltern daheim Sätze sagten wie "mit dem blöden Sch...-Russki spielt du aber nicht mehr!" oder so was (solche Sätze fielen durchaus; nicht bei mir, aber ich habe sie damals so oder so ähnlich immer wieder gehört).

Mir sagte mal ein Russlanddeutscher (der Vater eines Mitschülers): In Russland war er immer nur der Deutsche, in Deutschland ist er überall nur der Russe - nochmal würde er wahrscheinlich nicht wieder nach Deutschland kommen...

https://www.youtube.com/watch?v=pf1VLPw3BCk

...er hatte wie sehr viele Russlanddeutsche große Hoffnungen für das neue Leben im "gelobten" Land der Vorfahren, wurde aber überall abgelehnt und diffamiert. Wie gesagt - in den Vereinen wollte man sie nicht, sie waren Bürger zweiter Klasse, wurden in Neubaugebiete auf der Heide gesteckt, die im Grunde Trabantenstädte waren (Namen wie "Stalingrad" oder "Klein-Kasachstan" gedenken mir aus meiner Heimat für eine bestimmte Siedlung, die ab ca. 1989 hektisch aus dem Boden gestampft wurde, noch sehr gut - der Ruf des Gebiets war erlesen schlecht) und fanden nicht wirklich statt. Auf Behörden wurden sie nicht ernst genommen, die Kinder wurden in der Schule diffamiert, erhielten schlechte Noten, und so weiter. Später gab es dann Frust bei Ausbildungen; viele russlanddeutsche Schüler landeten sowieso auf der Hauptschule, wo es dann nach der Neunten auch mehr schlecht als recht weiter ging - Ausbildungen wurden über Beziehungen der deutschen Väter zugeteilt, die "Russen" gingen leer aus und mussten aufs Arbeitsamt, damit sie von der Reste-Rampe irgendeine Lehrstelle bekamen, die niemand anders wollte. So was macht keinen Spaß und wieder fühlten sie sich benachteiligt. Man kann das verstehen.

Da ging echt die Post ab, ich bin ja mit den Russlanddeutschen aufgewachsen und bekam das ganze Elend mehr oder weniger "in Farbe und Stereo" mit. Es spitzte sich auch noch zu: Als ich im September 2001 auf die Realschule kam und da auch die ersten russlanddeutschen Kinder mit guten Noten dabei waren, protestierten die Eltern selbstbewusster "urdeutscher, alteingesessener" Familien meiner Heimatstadt gegen "die Ausländer" - das muss man sich erst mal vorstellen. Sechs Jahre lang bis 2007 gab es Querelen noch und nöcher auf der Realschule aus dem Grund, dass auch Russlanddeutsche jetzt da waren und die bis dahin "geschlossene Gesellschaft" nicht mehr unter sich gewesen ist. Es gab sogar eine Lehrerin, die offen rumstänkere auf Schüler aus der "Dädärä" (DDR) und "Sch...-Russengesichter" - da fühlt sich keiner willkommen und weiß jeder sofort, dass er nicht gern gesehen ist, wird sich entweder zurückziehen mit der Frage nach dem Warum oder aber zurückschlagen. Ich weiß von einem Neuntklässler russlanddeutschen Hintergrunds, der Ende 2003 einen Lehrer, der ihn wiederholt provoziert und beleidigt haben muss (was ich dem Lehrer zutraute) aus lauter Frust mal eben die Treppe vor dem Klassenzimmer runterschubste, so dass der Mann sich die Achilles-Sehne gerissen hat.

Aber auch die Mentalität der (West-)Deutschen ist eine ganz andere. Ich habe Russlanddeutsche als hilfsbereit, gastfreundlich und zuvorkommend erlebt, als echte Kumpels, die dir zur Seite stehen - wo der Deutsche sich gern verleugnen lässt und zurückzieht oder "keine Zeit, keine Zeit" sagt, steht "der Russe" da und packt an, macht einen Spruch und hilft mit.

Problematisch war oft aber auch die schlechte Sprachentwicklung, da in vielen russlanddeutschen Familien zuhause fast ausschließlich russisch gesprochen wurde und auch die Kinder deshalb oft große Probleme hatten, deutsch zu lernen bzw. in der Schule mitzukommen und integriert zu werden. Oft war auch zu beobachten, vor allem in meiner Schulzeit (1997-2007; Grund- und Realschule), dass russlanddeutsche Kinder von den Eltern deutscher Kinder ungern als Spielkameraden gesehen worden sind. Integration beginnt im Kindesalter. Hier haben beide Seiten Fehler gemacht, ich sehe aber mehr Fehler bei den Deutschen.

Eine echte "Integration" von Spätaussiedlern beginnt erst jetzt so langsam und betrifft die aus meiner Generation (bin Jahrgang 1990), die in Deutschland aufwuchsen und zur Schule gingen, Russland oder die GUS nur von Fotos, Büchern und Erzählungen kennen, deutsche Freunde haben und besser deutsch als russisch oder gar nicht russisch sprechen. Es ist noch ein weiterer Weg, aber ich weiß von den ersten deutsch/russlanddeutschen gemischten Ehen - was vor 15-20 Jahren noch undenkbar war.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Das waren Deutsche, obwohl viele Deutschland nie gesehen haben. Oft hatten die lustigerweise noch eine Oma oder einen Opa dabei, der noch fließend deutsch sprach Selbst sprachen sie diese Sprache nicht mehr, auch weil man es ihnen dort verboten hatte.

Anfänglich die Sprachförderung und die arbeitsmarkt- sowie sozialpolitische Unterstützung. Da wurde viel Geld in die Hand genommen seitens des Staates. Da die Kosten auszuufern drohten, wurde das dann aber im Zeitverlauf deutlich zurückgefahren.

Ich erinnere mich noch gut an die 90er, als 89/90 ca. 1, 6 Millionen Spätaussiedler kamen und dann in den Folgejahren jährlich knapp eine Viertelmillion. Hier in Osnabrück und Umland übernahmen die die Wohnquartiere der abziehenden britischen Soldaten. Mitte der Neunziger war knapp jeder 2. Insasse einer Jugendvollzugsanstalt ein Spätaussiedler... Vor allem harter Drogenkonsum war ein großes Problem!