Was bedeutet Durchlässigkeit hinsichtlich eines Bildungssystems?

4 Antworten

Capi89 spricht mir aus der Seele!
Durchlässig in diesem Sinn ist z.B. die integrative Gesamtschule (IGS), ein Konzept, das vor allem von besserverdienenden Eltern offen abgelehnt und torpediert wird. Ich unterstelle diesen Eltern einen Abgrenzungsgedanken aufgrund eines Einkommengefälles, aus dem heraus sie das (illegitime) Recht auf einen Bildungsvorteil ableiten.

Mit anderen Worten: Manche Menschen definieren ihren persönlichen Reichtum vor allem über die Armut anderer, und dazu gehört für sie auch eine zementierte soziale Ungleichheit. Reichtum allein macht aber nicht schlau, sondern sorgt nur für verschiedene Bildungszugänge und Fördermöglichkeiten.

Durchlässigkeit bedeutet letztendlich, dass jedem Kind alle Möglichkeiten offenstehen, sowohl nach "oben", als auch nach "unten". Daraus folgt, dass das Kind eines Müllkutschers bei entsprechender Begabung Abitur machen und studieren kann, während dieser Bildungsweg für das Kind eines Kieferorthopäden eben kein Naturgesetz aufgrund der Herkunft darstellt.


Allerdings wirkt sich der Bildungshintergrund des Elternhauses gerade im Grundschulbereich besonders stark aus. Die so genannte gesellschaftliche Elite ist sich natürlich dieser Tatsache bewusst und setzt deshalb auf ein nicht durchlässiges Schulsystem, in dem bereits nach der Grundschule dauerhaft getrennt wird. Auf diese Weise wird Kindern aus finanziell schlecht gestellten Elternhäusern der Zugang zu Bildung verwehrt.
Schon die Einführung der Orientierungsphase in Hessen war ein harter Kampf.
Die momentane Entwicklung der IGS zielt auf eine reine Zusammenlegung von Haupt- und Realschule ab, was dem Grundgedanken der Gesamtschule völlig widerspricht. Aber solange es reine Gymnasien gibt, werden viele Eltern die Gesamtschule verweigern und lieber in Kauf nehmen, dass ihr Kind an dem völlig überzogenen Leistungsdruck eines G8-Gymnasiums zerbricht.

Dazu kommt das unsägliche System der "Leistungsbenotung":
Selbstverständlich soll der Bildungserwerb in seiner Qualität beurteilt werden, doch das existierende Notensystem besonders im Grundschulbereich beurteilt nicht die kindliche Entwicklung in seinem sozialen Kontext, sondern nimmt lediglich eine Bewertung von individueller Wissensreproduktion vor.
Dadurch hemmt es Transferleistungen und soziales Lernen und stellt stattdessen ein reines Instrument der Vor-Sortierung für den weiteren Bildungsweg des Kindes dar.
Den allermeisten Eltern ist das völlig klar, weswegen der Notendruck im Grundschulbereich extrem zugenommen hat: Schon eine 3 wird in vielen Elternhäusern als schlechte Note angesehen und nicht akzeptiert, denn es geht schon ab der ersten Klasse um die Gymnasialzulassung.
Kinder, deren Eltern von vornherein eine IGS als weiterführende Schule anstreben, besitzen dagegen m.E.n. ein wesentlich entspannteres Verhältnis zu Schulnoten, ohne im Schnitt "schlechter" in der Schule zu sein.

Ein durchlässiges Schulsystem wäre also m.M.n. vor allem der kindlichen Entwicklung zuträglich, weil dann die Chance bestünde, den ungesunden Konkurrenzgedanken durch einen kooperativen Wettbewerb zu ersetzen (Stichwort Sozialkompetenz).

Dass es die Möglichkeit für einen Aufstieg gibt: Dass also auch der Hauptschulabsolvent oder der "Spätzünder" die Chance auf ein Abitur bekommt, wenn er die Leistung bringen kann. Und dass der Abschluss nicht vom Bildungsstand der Eltern abhängt, so dass auch das Arbeiterkind studieren kann.

Hmm vielleicht dass man z.B auch nach dem Realschulabschluss weiterhin die Möglichkeit hat sich zum Abitur hochzuarbeiten? Also
quasi Aufstiegsmöglichkeiten. Bin mir nicht sicher😁

Unser schönes deutsches Bildungssystem diskriminiert von Anfang an und manifestiert diese Diskriminierung nach der Grundschulzeit, wenn festgelegt wird, welchen Abschluss der Schüler zu erreichen hat. Ab dann ist man, im reinen dreigliedrigen Schulsystem, in einer der drei Einbahnstraßen in Richtung Hauptschulabschluss, Realschulabschluss oder Hochschulreife unterwegs. Ein Wechsel zwischen den Schulformen ist im klassischen System nur sehr selten möglich, das System ist also nicht besonders durchlässig. Mit der Durchlässigkeit eines Bildungssystems kann also etwas über die Bildungsgerechtigkeit ausgesagt werden.