Warum hat sich das Theater so sehr verändert?

6 Antworten

Damals war es ja im Theater viel aufregender,

Das mag für Dich stimmen - ich fände ein solches Theater langweilig und würde wahrscheinlich kein zweites Mal hingehen.

Für mich ist Theater aufregend, wenn die Zuschauer von den Schauspielern in eine andere Wirklichkeit entführt werden; wenn die Zuschauer mit den Bühnenfiguren mitfühlen; wenn sie an spannenden Stellen den Atem anhalten, wenn sie an lustigen Stellen lachen und an anrührenden Stellen eine Träne wegdrücken.
Das funktioniert aber nicht, wenn alle schreien und johlen und Sachen auf die Bühne werfen.

Woran es liegt? Evolution - Dinge entwickeln sich weiter. Was funktioniert, verbreitet sich, was weniger gut funktioniert, stirbt aus.
Die Neuberin hat in Deutschland damals diese Art des Theaters eingeführt und sie hat sich durchgesetzt. Das ist eben Evolution bzw. Kapitalismus: Die zahlkräftigen deutschen Zuschauer bezahlten lieber für Schauspielkunst als für Klamauk und so wurde der Klamauk langsam aus dem Theater verdrängt.

Früher war das Theater ein Ort, an dem tagespolitische und aktuelle Diskussionen ausgetragen wurden; es war DAS direkte Medium der gesellschaftlichen Kommunikation. Es wurden (etwa in Komödien) auch Witze über die Herrschenden oder andere berühmte Persönlichkeiten gemacht. Das Publikum konnte mitjohle und das Theater als Ventil für die durch gesellschaftliche Zwänge behinderte Meinungsäußerung nutzen. Das hat sich mit den immer schneller werdenden Medien (Zeitungen, Radio, Fernseher, Internet) allerdings geändert. Das Theater verkam schnell zu einem vergeistigten Tempel der (angeblichen) Hochkultur.


LillyFlorenzia 
Beitragsersteller
 10.06.2013, 16:48

Das mit den Medien hab ich noch gar nicht in Betracht gezogen, dankeschön!

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Bswss  10.06.2013, 18:56

Sorry, das ist wirklich Unsinn:

Noch NIE war das Sprechtheater (damit meine ich alelrdings nciht Millowitsch, Boulevardtheater) so politisch wie in dieser Zeit. Es ist oft SO politisch, dass gerade DESHALB viele kein Theater mehr besuchen.

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Catomaior  10.06.2013, 23:24
@Bswss

@Bswss

Nein, das ist sicher kein Unsinn. Erstens habe ich nicht behauptet, dass das Theater heutzutage nicht politisiert. Ich bin mir der politischen Aktualität der modernen Stücke und Inszenierungen bewusst.

Zweitens: das moderne Theater erreicht bei Weitem kein so großes (und breitgefächertes) Publikum, wie in früheren Jahrhunderten (damit meine ich speziell Antike, Mittelalter und die frühe Neuzeit). Da es nur wenige bis keine anderen Foren der öffentlichen und politischen Diskussion gab, erreichte das Theater (bzw. ähnliche Formen wie Mimemspiel und Puppentheater) früher jeden, vom einfachsten Bauern bis zum Adligen. Buchstäblich jeder ging ins Theater, sei es, um sich berieseln zu lassen oder die Kunstfertigkeit der Aufführung zu genießen.

Drittens: man schaue sich z.B. antike Theaterstücke von griechischen Dramaturgen wie Aristophanes oder Menander an. Die Texte strotzen nur so von tagespolitischen Anspielungen (das gilt sowohl für Komödien, als auch für Tragödien). Die politischen Inhalte waren so brandaktuell, dass sie bereits wenige Jahre danach von den Verfassern der antiken Dramenkommentare nicht mehr ganz verstanden werden konnten. Besonders in der Antike war das Theater ein umkämpftes politisches Schlachtfeld. Man machte sich über die kommunalen Eliten lustig und persiflierte aktuelle Entwicklungen. Gleiches gilt auch für spätere Jahrhunderte, etwa das 18. Jh. In der Passage über die Walpurgisnacht in Goethes Faust tauchen zahlreiche Personen auf, die auf bekannte Zeitgenossen Goethes anspielen; wer im Einzelnen gemeint ist, wird teilweise immer noch wissenschaftlich diskutiert. Oder man nehme das Aufführungsverbot von Schillers Räubern.

Fazit: Das Theater hat schon immer politisiert und das tut es durchaus noch heute. Aber die öffentliche Wahrnehmung ist bei Weitem nicht die selbe wie in früheren Zeiten. Die Aufgabe der öffentlichen tagespolitischen Diskussion übernehmen heute eher Gesprächsrunden und Talkshows in ZDF und ARD.

Ich gebe Dir übrigens darin recht, dass bestimmt mehr Leute ins Theater gehen würden, wenn es weniger politisch wäre.

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Catomaior  10.06.2013, 23:29
@Catomaior

ps. Du hast ja in einem anderen Kommentar auf Shakespeare verwiesen; das kommt mir ja entgegen. Ich denke, dass wir im Grunde gar nicht so verschiedener Meinung sind.

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"Damals" heißt für dich WAS? Es wäre schon interessant zu wissen, zu WELCHER Zeit du eine Antwort haben möchtest: Shakespeare, Strindberg und Heiner Müller stammen aus ganz anderen künstlerischen Epochen. Moliere und Heinz Erhardt passen zeitlich auch nicht zusammen. Bert Brecht hätte man im griechischen Altertum gar nicht verstanden!


Tut mir leid: Diese Einschätzung kann ich ** so** nicht teilen.

Richtig ist: Im seriösen Sprechtheater der Städte schreien die Zuschauer eher nicht auf und werfen auch nicht mit Gegenständen - aber der Grund dafür ist, dass man hier sehr genau auf das Wort hören muss und weil es im städtischen Theater normalerweise KEINE "Brüller" gibt, sondern Stücke mit Tiefgang.

Zu Shakespeares Zeiten z.B. gingen ALLE ins Theater, auch die ganz einfachen Menschen - ist ja auch klar: es gab kein Kino, kein Fernsehen, und im Theater gab es billige Stehplätze..

Zeiten ändern sich...


LillyFlorenzia 
Beitragsersteller
 10.06.2013, 16:41

Dankeschön, sehr hilfreich.

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Catomaior  10.06.2013, 16:47

So eine Antwort kannst Du Dir echt sparen. Bist Du auf viele schnelle Punkte aus?

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