Warum haben viele Angst vor der "Stechuhr"?

9 Antworten

Es hängt davon ab, was erfasst wird.

  • der EuGH begründet, dass die Arbeitszeit erfasst werden muss

Es sagt nichts zur Entgeltung von Überstunden.
Die waren auch nicht Verfahrensgegenstand.

  • werden Pinkelpausen per Stechuhr erfasst, oder Raucherpausen, ergeben sich analoge Problemfelder

Entscheidend ist nicht allein der Rechtsfrieden, sondern die Anwendung in der Praxis, je nach beruflichem Umfeld.

Siehe Paketzusteller.
Was geschieht, wenn Pakete in der Kernarbeitszeit nicht zugestellt werden?
Siehe LKW Fahrer, zu deren Arbeitszeit gehört ein Stau, nur wird der in der Leistungserwartung der Speditionen nicht berücksichtigt.


Diimiitrii  20.05.2019, 22:20

Das ist doch genau das Problem. Arbeitnehmer arbeiten fast immer mehr, als in der Leistungserwartung des Arbeitgebers berücksichtigt wird, weil diese immer vom Optimalfall ausgeht.
Nur weil der schnellste Mitarbeiter die Filiale in 30min schließen kann, heißt das nicht, dass das jeder kann. Nur weil der schnellste 30min braucht, heißt das nicht, dass das erstrebenswert ist. Weil der schnellste in der Regeln nicht der gründlichste ist und die Kaffeemaschine ungeschrubbt bleibt, der Tresen nicht ordentlich desinfiziert oder die Retoure nicht anständig dokumentiert.
Leistungserwartungen sind unrealistische Wunschrealitäten von Arbeitgebern die nie zuvor unter realbedingungen ihre eigenen Fillialen betrieben haben.

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soisses  20.05.2019, 22:30
@Diimiitrii

Yep, jede Medallie hat zwei Seiten.
Der EuGH musste Recht sprechen.

Das führt in Praxis regelmäßig zur Dokumention, etwa anderes als Konvention.

Arbeitgeber sind keine Altruisten, noch Heilige.

Wir dürfen gespannt sein, was Arbeitgeber künftig alles erfassen und aus der Arbeitszeit herausrechnen (siehe Amazon).

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Weil in einer Zeit, in der immer mehr erkannt wird, dass Menschen auch "arbeiten", wenn sie abends zu Hause über ein betriebliches Problem nachdenken; in einer Zeit, in der immer mehr Menschen im Homeworking arbeiten, die Stechuhr eher als ein Kontrollinstrument aus dem Frühkapitalismus wirkt.

Ich habe mehrere Praktika gemacht, sogar in den 60ern, nach dem Studium habe ich 35 Jahre lang in den unterschiedlichsten internationalen Werbeagenturen gearbeitet.

Ich habe noch nie in meinem Leben eine Stechuhr kennengelernt. In einer Firma mit Stechuhren wäre ich nie eingetreten.

Es gibt doch viel mehr Sinn, wenn man arbeitet, bis die Aufgabe erledigt ist, egal ob das schon nachmittags um 3 Uhr der Fall ist oder abends um 21 Uhr.

Die Stechuhr an und für sich ist nicht das Problem.

Nur, je nachdem wie die eingesetzt ist, werden die Arbeitszeiten dadurch extrem unflexibel, was in bestimmten Bereichen zu Schwierigkeiten führen kann.

Beispiel öffentlicher Dienst.

Der hat zu bestimmten Terminen Öffnungszeiten und dann fällt stoßweise richtig Arbeit an, zu anderen bestimmten Terminen hat er Eingabeschluss, danach können bestimmte Arbeiten nicht mehr erledigt werden.

Entsprechend wäre es sinnvoll die Arbeitszeit dergestalt fleibel zu handhaben, dass an den Tagen mit Publikumsverkehr länger gearbeitet werden kann, um die anfallende Arbeit vom Tisch zu bekommen und ausgelcihend dafür an den Tagen, an denen Eingabe- und Rechnungsschluss ansteht, früher aufzuhören, weil danach ohnehin nur noch die Häfte der Arbeiten effektiv erledigt werden kann. Alles andere ist im Grunde Verschwendung wertvoller Arbeitszeit.

Sind die Zeiten Flexibel geregelt und läuft das bei einem menschlichen Koordinator zusammen, kann man da entsprechende Regelungen treffen, mit einer Stechuhr nicht.

Insofern ist eine Stechuhr in dem Bereich zum Beispiel eher ein Problem, als eine sinnvolle Einrichtung.

Ähnliches gilt für Arbeitnehmer, mit z.B. behinderten Kindern oder schweren Pflegefällen in der Familie, bei denen es sein kann, dass sie ihre Arbeitsstelle ad hoc verlassen müssen, weil irgendein Notfall vorliegt.

Wenn man da eben mit dem Chef sprechen, das regeln und nacharbeiten kann , gut. Wenn das nicht geht, weil da nur eine Stechuhr ist und kein Vorgesetzter mit entsprechenden Kompetenzen erreichbar (wenn entsprechend großer Betrieb), kann sowas ebenfalls zu unschönen Komplikationen auf beiden Seiten führen.


Hessen001 
Beitragsersteller
 20.05.2019, 22:11

Also in meinem Praktikumsbetrieb war das so, dass wenn du einen Tag länger arbeiten musstest, hattest du auf deinem Zeitkonto einige "plus Stunden", die du später abbauen konntest. Wichtig war, dass der Saldo auf dem Zeitkonto nicht unter Null gerät. Wenn du also heute fünf Stunden länger gearbeitet hättest, hättest du irgendwann anders diese fünf Stunden abbauen können.

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Diimiitrii  20.05.2019, 22:23

Als ob es jemals wieder eine Analoge Stechuhr irgendwo geben würde. Wenn man von Stechuhr spricht, dann ist Arbeitszeiterfassung gemeint. Das geht auch mit einer digitalen Chipkarte. Die kann es auch handhaben sich 30mal am Tag an und abzumelden. Arbeitszeiterfassung hat absolut nichts mit flexibilität zu tun und schränkt diese schon garnicht ein.

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Hallo,

weil Stechuhren noch nie zum "Vorteil" der AN gedacht waren, sondern immer zum Vorteil des AG :-)

Eingeführt wurden sie ja mit der Industriealisierung der Arbeit, als der "Chef" nicht mehr im gleichen Raum wie alle seine AN sein konnte.Wie es davor war, kann man sehr gut in der Verfilmung der Weihnachstgeschichte von Charles Dickens (Mister Ebenezer Scrooge) erleben.


Hessen001 
Beitragsersteller
 20.05.2019, 22:14

Warum aber jubeln jetzt die Arbeitnehmer, während die Arbeitgeber schimpfen?

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OlafausNRW  21.05.2019, 16:03
@Hessen001

welche AN ?? "Jubeln" tun nämlich nur die , die ohnehin davon nicht betroffen sind.

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Es geht nicht um eine Stechuhr, sondern um die Dokumentation der Arbeitszeit - was ich grundsätzlich richtig finde.

Ich habe einmal mit einer richtigen "Stechuhr" gearbeitet bzw. die wurde neu eingeführt und das ging für den Arbeitgeber nach hinten los, weil plötzlich klar war, dass wir/ich viel mehr arbeite als eigentlich gedacht/erwünscht. Das wird in vielen Fällen so sein, wenn endlich korrekt(!) abgerechnet wird.

Wieso sollte ich dem Arbeitgeber Arbeitszeit schenken? Mir schenkt man auch nicht einfach so mal 500 Euro mehr im Monat...

Aber: Es gibt Berufe bzw. Tätigkeiten, bei denen die Unterscheidung nicht ganz so klar ist. Ich habe Zeiten, da muss ich anwesend sein und aber auch Freiräume, da kann ich bestimmte Arbeiten nach Hause verlagern.

Wir schreiben schon auch unsere Arbeitszeiten auf, aber so ganz klar zu trennen ist es (bei meinem Beruf/meiner Tätigkeit) eben nicht immer. Mit Stechuhr geht das schon gar nicht.

In anderen Unternehmen gibt es eine Vertrauensarbeitszeit. Oder es gibt eben Arbeit/Projekte, die erledigt werden müssen - egal, wie lange es dauert.

Da kommt es zu Graubereichen, wo ein Aufschreiben schwierig werden kann.