Warum distanziert sich der ukrainischer Botschafter Melnyk nicht einfach von Bandera?
In einen Interview mit der SZ am Donnerstag den 14.04.2022 hat Melnyk erneut sich positiv auf Bandera bezogen. In dem Interview forderte er, dass deutsche Historiker sich mit Bandera „viel differenzierter“ beschäftigen müssten. Es ist doch schon irritierend genug, dass er 2015 gleich nach seiner Berufung zum Botschafter in München am Grab von Bandera Blumen nieder.
Warum distanziert er sich nicht einfach von Bandera, bzw. verschweigt ihn einfach, statt immer wieder auf ihn zu sprechen zu kommen? So bietet er der Gegenseite doch nur immer wieder Angriffspunkte und macht es den Unterstützern der Ukraine nur unnötig schwer
Bandera war ein Antisemit, der mit den Nazis paktierte.
Aus dem Program der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), das im April 1941 in Krakau formuliert wurde, hat sich Bandera und die OUN eindeutig als Antisemiten bekannt: „Die Organisation der ukrainischen Nationalsozialisten bekämpft die Juden als Stütze des moskau-bolschewistischen Regimes“
Die OUN um Bandera war zusammen mir den aus ukrainischen Freiwilligen zusammengestellten Wehrmachtsbattalion „Nachtigall“ bei dem 1. großen Judenmord ab dem 30.Juni 1941 in Lwiw beteiligt . Ebenso bei der Erschießung von mehr als 30.000 Kiewer Juden im September 1941 in Baby Jar.
Als 2016 der damalige israelische Staatspräsident Reuven Rivalin diese Beteiligung der OUN in Kiew anprangerte erntete er in der Ukraine einen Sturm der Entrüstung, nur weil seit 2015 in der Ukraine die „öffentliche Schmähung der Unabhängigkeitskämpfer“ ein Straftatbestand ist.
2 Antworten
Zwischen schwarz und weiß liegen unendlich viele Übergangstöne in grau.
Das gilt auch in Bezug auf diese Personalie. Insofern kann ich Melnyk durchaus folgen, wenn er einen differenzierten Umgang mit ihr fordert - sollte sich dabei allerdings den eigenen Ratschlag eben auch selber zu Herzen nehmen.
Was du z.B. einfach unterschlägest ist u.a. der Umstand, dass die Nazis Bandera eine zeitlang ins KZ gesteckt haben...Fraglos macht das aus ihm auch noch keine Lichtgestalt des antifaschistischen Widerstandskampfes, aber deutet schon darauf hin, dass das alles nun mal nicht in traditionelle Schemas hineinpasst und man da schon etwas genauer, problemorientierter und eben auch differenzierter hinschauen muss.
Ich denke mal, die Haftbedingungen werden sich nicht von anderen prominenten KZ-Häftlingen unterschieden haben...Und da gab es einige in Sachsenhausen...
Ansonsten gehört zur Gesamtwürdigung, dass er ebenso ein Opfer des Stalinismus und ein widerstandskämpfer gegen den Stalinismus war und der Stalinismus ein genau so verkommenes System wie der Faschismus, das noch vor den Nazis für die Ermordung von Millionen Ukrainern verantwortlich zeichnete.
Nimm für dich selber zur Kenntnis, wie du auf den Umgang Melnyks mit Bandera reagierst und wie du den Umstand unberührt hingenommen hast, dass auf dieser Stadion-Jubelrussenshow vor einigen Wochen nicht nur Putin eine Gulagandrohungsrede gehalten hat, sondern Sänger auch gleich noch Stalin hofiert haben. Jedenfalls war dir das keine einschlägige Frage wie diese hier wert...
Nimm für dich selber zur Kenntnis, wie du auf den Umgang Melnyks mit Bandera reagierst und wie du den Umstand unberührt hingenommen hast...
Naja, warum Putin sich nicht von Stalin distanziert ist ja bekannt. Er ist ein alter Tschekist und Bewunderer Stalins. Das hat mich nicht verwundert, sondern passte ins Bild. Aber Melnyk ist ein Demokrat, und kein Alt-Nazi und kein Anhänger des Faschismus– deshalb meine Frage.
Positive Bezugnahmen auf frühere Antidemokraten bedeuten nicht atomatisch, dass man mit deren Ideologie übereinstimmt. Zumal in den osteuropäischen Ländern, in deren Geschichte viel mehr "durcheinander gegangen" ist als in Deutschland.
An Bandera wird geschätzt, dass er gegen die Russen gekämpft hat - was angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine sei 2014 nicht gar so verwunderlich ist. Der Rest wird ausgebendet. Das ist ähnlich wie in Russland, wo Stalin verehrt wird, obwohl kein Mensch den damaligen autoritären Staats"sozialismus" wiederhaben will. Stalin wird nur als Repräsentant russischer Größe gefeiert. Deswegen sind die allermeisten Russen noch lange keine Stalinisten, genausowenig wie die allermeisten Ukrainer keine Nazis sind.
Natürlich muss man fordern, dass sich die Ukraine mit der Nazi-Kooperation eines Teils ihrer früheren Führung auseinandersetzt. Aber das kann man nicht in einer Situation verlangen, in der die Ukraine erst jahrelang von außen bedroht und dann überfallen wird - ausgerechnet von denen, gegen die Bandera damals gekämpft hat.
Selbst die ukrainische Linke hält den Hype, den hierzulande manche über die Bandera-Verehrung in der Ukraine machen, für völlig unangebracht. Den geist- und gedankenlosen Ostermarschteilnehmern bei uns dient die Bandera-Geschichte als willkommene Ausrede, nicht dem ukrainischen Volk zu helfen.
wow können Sie Hitler auch so verharmlosen? Er hat immerhin die Autobahn gebaut und jeder hatte plötzlich Jobs usw ;)
Ich bin mir einigermaßen sicher: Wenn Sie ,einen Beitrag noch mal mit Verstand lesen, erübrigt sich Ihre Frage ...
Natürlich muss man fordern, dass sich die Ukraine mit der Nazi-Kooperation eines Teils ihrer früheren Führung auseinandersetzt. Aber das kann man nicht in einer Situation verlangen, in der die Ukraine erst jahrelang von außen bedroht und dann brutal überfallen wird - ausgerechnet von denen, gegen die Bandera damals gekämpft hat.
Auch in der größten Not ist es falsch sich auf Nazis zu berufen. Es gibt keinen falschen Zeitpunkt für eine Kritik daran. Es gibt andere, unverfänglichere Ukrainische Nationalisten auf die sich Melnyk berufen kann, andere Persönlichkeiten, die diese leidige Diskussion nicht jedesmal neu entfachen und der Ukraine mehr schaden als nützen.
Selbst die ukrainische Linke hält den Hype, den hierzulande manche über die Bandera-Verehrung in der Ukraine machen, für völlig unangebracht.
Es gibt Bandera-Briefmarken, Bandera-Straßen, Bandera-Plätze, Bandera-Statuen, Bandera-Lieder und Bandera-Gedichte ich weiß nicht welche ukrainische Linke damit kein Problem hat, sind die meisten linken Gruppen und Parteien in der Ukraine nicht ohnehin verboten worden?
Nein, sind sie nicht. Es gab vor einigen Tagen eine Videokoinferenz der Bremer Linken mit einem linken Aktivisten aus der Ukraine. Der Name ist mir entfallen, aber er ist dortiger Mitarbeiter der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung der LINKEN. Er hat auf meine diesbezügliche Frage geantwortet, die verbotenen Parteien seien keine linken Parteien gewesen, sondern russlandfreundlche Parteien, die keinerlei linkes Programm hätten.
Einen Mitarbeiter des Kiewer Büros der Rosa Luxemburg Stiftung halte ich erstmal grundsätzlich für eine seriöse Quelle und für befähigt über die Lage der Linken in der Ukraine zu sprechen. Und ich finde, dass du sachlich argumentierst. Umso mehr irritiert mich die Aussage des Mitarbeiters der Rosa Luxemburg Stiftung es würde in der Ukraine keine Linken Parteien verboten werden:
Zum einen ist das „Dekommunisierungsgesetz“ von 2015 explizit gegen die Linke gerichtet, da es Symbole der Linken ilegalisiert.
Im Zuge dessen wurden übrigens auch zahlreiche Straßen und Plätze, die nach Rosa Luxemburg benannt wurden umbenannt, was der Rosa Luxemburg Stiftung sicherlich aufgefallen ist. Durch das Demkommunisierungsgesetz erfolgte auch das Verbot der Kommunistischen Partei an Wahlen teil zunehmen, die Begründung dieses Verbots fusste nicht etwa einer mutmaßlichen Nähe zu Russland, sondern auf der ideologischen Ausrichtung der KP. Im Zuge des Defakto-Verbots der ukrainischen KP erfolgte auch die Verfolgung weiterer Organisationen und Gruppen, wie etwa der damals größten linken Jugendorganisation Borotba. Zahlreiche Linke-Aktivist*innen sind seit 2014 in der Ukraine ermordet, überfallen und inhaftiert worden.
Ein aktuelles Beispiel findest du hier:
Nun ist es aber richtig, dass die jüngsten Parteienverbote durch Selenski mit der Begründung erfolgten, diese Parteien seien „Pro-Russisch“. Mal abgesehen davon, dass eine Nähe zu Russland erstmal kein Verbot rechtfertigt und die betroffenen Parteien noch nicht einmal die Möglichkeit erhielten, sich gegen die Vorwürfe juristisch zu wehren, fielen sehr wohl Parteien unter das Verbot, die in ihrer Selbstbezeichnung, in ihrer Tradition und auch ihrem Program nach als „Links“ bezeichnet werden können. Die Union der Linken, die Sozialistische Partei der Ukraine, und die Sozialisten waren Teil der ukrainischen Linken. Mir ist derzeit keine Partei, links der Mitte bekannt, die im ukrainischen Parlament, sollte es denn einmal wieder tagen, einen Sitz hätte. Mir ist keine derzeit noch legal arbeitende sich als links definierende Organisation bekannt, die mehr als 100 Mitglieder hätte. Was sich der Ukraine der Gegenwart allerdings zu gute halten lässt, ist, dass pro-ukrainische Anarchist*innen sich relativ frei und unbehelligt am Kampf gegen Russland beteiligen dürfen. Die Bezugnahme auf den Anarchismus ist nicht illegal, (solange das Gewaltmonopol des Ukrainischen Staates nicht herausgefordert wird), bei pro-russischen Anarchist*innen sieht die Sache wiederum an anders aus. Da spielt tatsächlich nicht die Ideologie an sich, sondern das Verhältnis zu Russland eine Rolle.
Die Linke in der Ukraine ist derart marginalisiert und wird sowohl von staatlicher Seite als auch von Rechtsextremen derart bekämpft, dass ich mich wie gesagt sehr über den Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung wundere. Ich wäre gerne bei dem Gespräch dabei gewesen und hätte da nochmal nachgefragt.
ich habe noch mal nachgeschaut, es war Ivo Georgiev, Büroleiter der RLS in Kiew.
Danke dir. Ich habe ihn gerade gegoogelt. Seltsam. In früheren Artikeln bei der RLS hat er noch recht ausführlich über die Verfolgung Linker und von Gewerkschaftsmenschen in der Ukraine geschrieben: https://www.rosalux.de/news/id/4119/linke-aktivisten-in-der-ukraine-leben-gefaehrlich-gewalt-gegen-andersdenkende-nimmt-zu
Muss dem Thema mal genauer nachgehen, und rausfinden wieso er jetzt zu einem anderen Schluss kommt...
Ciao.
Hier:
gibt es (in Englisch) einen sehr informativen Artikel eines urkainischen Historikes über die Rolle des Azov-Bataillons.
Ich habe es nicht erwähnt, weil es irreführend gewesen wäre. Bandera saß in Sachsenhausen als sog. Ehrenhäftling ein: "So bewohnte er eine größere möblierte Zelle mit getrenntem Schlaf- und Wohnbereich, Bildern an den Wänden und Teppich auf dem Boden.[2]" (Wikipedia) . Die meisten stellen sich unter einer KZ-Gefangenschaft aber etwas anderes vor.
Aber ja, Bandera ist eine widersprüchliche Figur, nur sein Bekenntnis zum Faschismus und zum Antisemitismus lässt sich halt nicht abstreiten, darum ging es mir in meiner Frage. Es kommt mir unklug vor ihn immer wieder zu erwähnen. Trotzdem danke für deine Antwort.