Unterschied zwischen den Naturwissenschaften und der Philosophie?

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Naturwissenschaften befassen sich mit der Beschaffenheit der Natur. Die Philosophie spaltete sich seit der Antike allmählich aus den Naturwissenschaften ab als eigenständige Kulturwissenschaft, die sich mit allgemeinen Fragen, Antworten und gedanklichen Konstrukten zu Sein, Denken und Erkenntnis befasst. In modernen Philosophien führen höchste Abstraktionen (z.B. das Ding an sich, das Sein, das Nichts, das Seiende) und logische Kategorien (z.B. Ursache, Wirkung, Verhältnis, Position, Negation) als scheinhafte autonome Subjekte ihr Eigenleben: Sie zeichnen sich im Vergleich von unterhaltsamen, unverbindlichen Gedankenspielereien des Alltags aus durch Ernsthaftigkeit (Humorlosigkeit) und, über die Sinnfrage, durch Übergänge zur Religion.

Nun zu Deiner Hypothese: "Naturwissenschaft befaßt sich dem Nahen, Philosophie mit dem Weiten": Naturwissenschaften setzen sich keine Grenzen bezüglich räumlicher oder zeitlicher Ausdehnungen: Da sind das Verhalten von Quarks in Mikrosekunden ("Nähe") genauso aufgehoben wie das unbegrenzte vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinuum des Weltalls ("Weite"). Dem Naturwissenschaftler geht es, bei aller Irrtumsfähigkeit, um systematischen, überprüfbaren, objektiven Erkenntnisgewinn. Dem wird in seinen wissenschaftlichen Ausführungen z.B. keine Kontradiktion, kein Gemeinplatz, kein Zirkelschluss und keine fehlerhafte Abstraktion verziehen. Solche systematischen Denkfehler sind dem Reich der Philosophen vorbehalten, die solche Ungereimtheiten als subjektive Meinung (siehe Meinungsfreiheit) an anderen unverbindlichen Meinungen relativieren. Die "Weite" der Philosophie liegt in dem Maß der Abstraktionen, deren Wesensbestimmungen sich jeder Überprüfung an der Realität entziehen: Ist das "Nichts" oder das "Ding an sich" rot, grün, dick oder dünn? Der Wahrheitsbegriff des Philosophen orientiert sich nicht am faktisch überprüfbaren Realen, sondern am Maß allgemeiner intellektuell-mentaler Erbauung (so ähnlich wie die "Wahrheit" eines Sprichwortes oder eines Psalmverses) im Kontext des jeweils herrschenden Zeitgeistes (ggfs. auch der Herrschaft). Das führt zum eigentümlichen Opportunismus der Philosophen: So durfte sich z.B. ein Propagandist der nationalsozialistische geistigen Gleichschaltung wie Martin Heidegger nach 1945 ziemlich sorglos zum hochgeachteten "christlichen Existenzialisten" mausern.

Ein wesentlicher Unterschied ist meines Erachtens, dass die Philosophie rein auf Gedankengänge und Überlegungen aufbaut, also auch auf Hypothesen und Spekulationen. Die Wissenschaft lehnt Spekulationen ab und geht methodisch vor. Sie zählt nur, was sich verifizieren lässt, durch Experimente oder Beweise. Die Trennung erscheint aber oft verwaschen, weil viele Wissenschaftler gleichermaßen auch Philosphen sind. Einstein war als Physiker ein Naturwissenschaftler, hat sich aber auch philosophisch betätigt, z.B. durch seine Relativitätstheorie. Zu seiner Zeit war diese eine reine Überlegung ohne der Möglichkeit einer Überprüfung. Heute wissen wir, dass seine Vermutung richtig war, weil wir jetzt in der Lage sind, solche Messungen durchzuführen.

Ich denke auch, dass sich die Naturwissenschaften nur mit Fakten begnügen, während die Philosophie teils waghalsige Theorien aufstellt. Man denke nur an Platon und seine Theorie, dass der Mensch seine Seele quasi nur als "Leihgabe" bekommt und sie nach seinem Tod wieder "zurückgeben" muss: Hier könnte man argumentieren, dass noch nicht mal die Existenz der Seele nachgewiesen ist. Daher würde ein Naturwissenschaftler diese Theorie so nicht hinnehmen.


Astroprofiler  15.06.2011, 15:26

Und was hälst du von der waghalsigen Theorie, das sich die Seele nur eines Leihkörpers bedient, bis dieser stirbt?.

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Naturwissenschaften sind "ein Kind der Philosophie". Ursprünglich waren sie als "Physik" ein Teil der Philosophie. Auch andere Teilgebiete der Philosophie wie z.B. die mathematische Logik und die Sprachlogik haben sich zu eigenständigen Wissenschaftszweigen entwickelt. Das bedeutet aber nicht, dass Philosophie nicht weiter an den Wegen und Forschungsergebnissen ihrer Kinder interessiert ist. Mit der Wissenschaftstheorie bietet die Philosophie immer noch ein wichtiges Instrument zur Orientierung der Naturwissenschaften. Dazu kommt, dass die Naturwissenschaften ihrerseits in soviele Teil- und Forschungsgebiete zersplittern, dass es zu einer neuen Aufgabe der Philosophie wird, wieder eine Gesamtsicht zu diskutieren. Ein weiterer Aspekt aller Wissenschaften, der immer noch von der Philosophie behandelt wird, ist die Ethik.

Naturwissenschaften befassen sich damit, wie die Welt beschaffen ist. Philosophie dagegen damit, was wir aus dieser Welt machen.

Das ist zumindest meine persönliche Definition davon.

Man muss allerdings bedenken, dass die ersten Philosophen im antiken Griechenland diejenigen waren, die z.B. die Physik etc. "eingeführt" haben - Fächer, die heutzutage als Naturwissenschaften bezeichnet werden.

Lg


dompfeifer  12.06.2011, 18:01

"Was wir aus der Welt machen" ist Gegenstand der gesamten Geistes- und Kulturwissenschaften. Die Philosophie versteht sich, ganz legitim, als deren Krönung.

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