Unterschied West- und Ostdeutschland?

7 Antworten

Ich höre nicht alle sagen, dass man niemals in den Osten gehen sollte, das lese ich hier zum ersten Mal. Ich war selbst dieses Jahr dort und es war sehr schön.

Warum der Osten aktuell "gehasst" wird? Das könnte vielleicht mit den Wahlen zu tun haben. Im "Osten" (Thüringen , Sachsen und Sachsen-Anhalt zum Beispiel ) sind in vielen Köpfen "traditionell" die "Hochburgen des Rechtsradikalismus" angesiedelt (von denen man sich offiziell gerne distanziert.

Es ist beides (Ost wie West) Deutschland, klar, und dass es mal anders war, ist wirklich schon eine ganze Weile her.

Trotzdem ist im Osten noch nicht alles "gleich" wie im Westen und umgekehrt. Die Unterschiede waren 1990 natürlich größer als sie heute sind, aber die unterschiedliche Vergangenheit hat sich auch verschieden auf die dort lebenden Menschen ausgewirkt. Sie haben fast ein halbes Jahrhundert verschieden und getrennt voneinander gelebt. Dadurch lockern sich die "brüderlichen Bande" natürlich ganz enorm.

Überspitzt gesagt hast du dir damals als "Wessi" überlegt, ob du heute mehr Lust auf Banane oder Mango hast und sie dann gekauft, während du dich als "Ossi" gefragt hast, ob du heute nach stundenlangem Anstehen beim Laden wohl, wenn du dann mal dran bist, noch einen Apfel ergatterst oder wie so oft gesagt kriegst: "Heute hammer nix mehr, versuchs morgen nochmal." Und in vielen anderen Lebensbereichen Ähnliches. Kurz: Das Leben im zweigeteilten Deutschland war sehr verschieden.

"Scheiß Ossi" oder "dummer Ossi" hörte ich vor allem in den ersten Jahren nach 1990, als viele "Ossis" sich "den Westen" angeschaut haben, weil man es jetzt ja legal konnte, und sich so manch ein "Wessi" plötzlich"unterwandert" fühlte.. Viele "Wessis" haben sich dann auch "den Osten" angeschaut und der eine oder andere hat dann dabei erkannt: hier könnte man schnell reich werden / Kohle machen, wenn man die (in freier Marktwirtschaft) "unerfahrenen" Ossis über den Tisch zieht. Das ist zwar auch etwas überspitzt dargestellt, aber daher rührt wohl die Mär vom "dummen Ossi". Und "scheiß Ossi" könnte damit zusammenhängen, dass man als "Wessi" einige Jahre lang höhere Abgaben hatte (weniger Netto bei gleichem Brutto), um die "Ossis" zu unterstützen ("Solidaritätszuschlag"), damit deren Löhne langsam aber sicher an "Westniveau" angeglichen werden könnten.

Ich erinnere mich noch dunkel an große Diskussionen, ob das, was Helmut Kohl da damals so alles machte, auch wirklich so "koscher" war, dass westdeutsche Investoren ostdeutsche ahnungslose Bürger ausnutzten und westdeutsche Bürger "sauer" darauf waren, jetzt ihren "wohl verdienten und im Westen hart erarbeiteten" Wohlstand plötzlich mit jemandem "teilen" zu müssen, der "nichts dazu beigetragen hatte", nur weil das "ehemalige Brüder" waren, die sich halt lieber vom Kommunismus diktieren lassen "wollten" und sich nicht dagegen wehrten. Das Sammelsurium aus diesen Eindrücken hat wohl genügend bewirkt, um die Ex-DDR-Bürger als "dumme Ossis" zu beschimpfen.

Von "Ossis" weiß ich, dass die vom "Westen" teils sehr enttäuscht waren, als sie dorthin gingen. Das in der DDR oft unterschwellig vorhandene ausgeschmückte Denken, dass "im Westen" alles besser sei, kippte recht schnell. Und von freundlicher Aufnahme der ehemaligen Brüder konnte meistens keine Rede sein. Böse "Ossi"-Witze etc. waren eine Zeitlang gang und gäbe.

Also dass "die Deutschen" (in Ost wie West) sich als "ein Volk" sehen, ist meines Erachtens bis heute noch nicht in allen Bereichen der Fall. Vielleicht braucht es dazu noch ein paar Generationen.

Und was natürlich auch so ist, ist, dass es in Deutschland (seit der Wiedervereinigung noch mehr) verschiedene Mentalitäten gibt. Die Schwaben sind anders als die Bayern, die Thüringer anders als die Sachsen und auch die Brandenburger anders als die Hamburger.

Ich finde diese Vielfalt Deutschlands liebenswert.

Und keinen Grund, sich gegenseitig zu hassen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Das hat viel mit dem nicht aufgearbeitetem Erbe des Naziregime zu tun. Nach dem Krieg wurde in den 50er und 60er sowohl in West als auch in Ostdeutschland das Thema Nazimitgliedschaft totgeschwiegen. Aber die ehemaligen Nazis und die Mitläufer wurden beim Wiederaufbau der beiden deutschen Staaten gebraucht. Und es gab diese in beiden Teilen Deutschlands.

Es wurde aber unterschiedlich damit umgegangen.

Im Westen haben sich die ehemaligen als geläuterte Demokraten ausgegeben, im Osten wurde behauptet, de Nazis wären ja alle im Westen geblieben und im Osten gäbe es nur noch die Kommunisten, die ja auch von den Nazis verfolgt wurden. Das ist aber eine Propagandalöge der SED, hinter der man sich aber sehr gut verstecken konnte.

In den 70er Jahren hat wollte die Jugend wissen was ihre Eltern und Großeltern vor und während des Krieges standen. Bekannt sind hier vor allem die 68er Studentenaufstände, die den alten Muff der 50er und 60er hinwegfegen wollten.

Die Grünen entstanden im Grunde auch aus dieser Bewegung.

Dann kam 89/90 das Ende der DDR und viele der ehemaligen SED-Mitglieder gingen hier einen ähnlichen Weg wie die Nazis: sie passten sich an und geben sich nun als geläuterte Demokraten. Eine Aufarbeitung der Nazivergangenheit gab es so wenig wie die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit. Dies wird wohl erst mit der nächsten heranwachsenden Generation erfolgen.

Es fehlt im Osten eben diese 68er-Generation, die sich mit der Vergangenheit der Elterngeneration auseinandergesetzt haben.

Weil der Osten im Vergleich zum Westen in vielen Belangen (großes Beispiel Wirtschaft) dem Westen hinterher hinkt (DDR lief nicht so erfolgreich).

Da durch ist im Osten viel Unmut.


DickerOrk  10.06.2024, 23:55

Das ist ein bisschen falsch.

Das Anfangsproblem war schon die Ausgangssituation. Die Sowjets haben die russische Besatzungszone komplett demontiert und komplett meint hier auch komplett. Selbst ein Wirtschaftsgenie kann mit nichts nichts erschaffen. Angesichts dessen war die DDR sogar recht beeindruckend.

Der Osten hatte bis zur Wende durchaus auch Industrie und Handwerk, die mit dem Westen mithalten konnten, Glas z.B. (natürlich gabs auch viele Probleme), das Bildungssystem war auch ziemlich überlegen. Der wirtschaftliche Untergang des Ostens war die Wiedervereinigung, nach der staatlich finanziert die ostdeutschen Betriebe aufgekauft und anschließend geschlossen wurden. Dazu wurden haufenweise Abschlüsse nicht anerkannt, höhere Abschlüsse als niedriger eingestuft, etc.

In den vergangenen über 30 Jahren wurde der Osten wirtschaftlich und politisch komplett ignoriert.

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Jaridien  11.06.2024, 00:56
@DickerOrk
In den vergangenen über 30 Jahren wurde der Osten wirtschaftlich und politisch komplett ignoriert.

Das muss ich doch einiges verpasst haben. Es wurde sehr viel in den Osten transferiert. Die Straßen im Osten sind im Vergleich zu westlichen Straßen sehr viel besser instand gesetzt worden. Kein Vergleich mit den Straßen wie sie kurz nach der Wende waren.

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neugierig131  11.06.2024, 01:25
@Jaridien

Ein einheimischer Augenzeuge hat mir erzählt: "Erst kamen die Alliierten, rauschten hier durch, nahmen das eine oder andere mit und zogen sich dann wieder zurück, um uns den Russen zu überlassen (irgendwie musste Deutschland ja unter den Siegern aufgeteilt werden). Die Russen ließen uns dann nicht mal mehr das schwarze unterm Fingernagel." Not hat dort tatsächlich erfinderisch gemacht, was hoch anzuerkennen ist.

@Jaridien Vielleicht waren die Straßen das "Ausgleichsgeschenk" / "Dankeschön" / "Wiedergutmachung" für das "gute Geschäft", das der Westen mit dem Osten machen konnte (aber so natürlich offiziell nie publik gemacht wurde).

Der Westen hat oftmals (teils bis heute) ein etwas überhebliches Auftreten gegenüber dem Osten.

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neugierig131  11.06.2024, 01:26
@DickerOrk

Ein einheimischer Augenzeuge hat mir erzählt: "Erst kamen die Alliierten, rauschten hier durch, nahmen das eine oder andere mit und zogen sich dann wieder zurück, um uns den Russen zu überlassen (irgendwie musste Deutschland ja unter den Siegern aufgeteilt werden). Die Russen ließen uns dann nicht mal mehr das schwarze unterm Fingernagel." Not hat dort tatsächlich erfinderisch gemacht, was hoch anzuerkennen ist.

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neugierig131  11.06.2024, 01:36
@neugierig131

Sorry, der erste Absatz war an DickerOrk gerichtet, konnte das nicht mehr korrigieren.

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Jaridien  11.06.2024, 02:19
@neugierig131

Es war weder ein Geschenk noch ein schlechtes Gewissen, Dass es für viele Ostdeutsche nicht optimal lief ist klar, aber es war nicht die Absicht.

Viele Ostdeutsche haben bei der Wende eben auch nur die Glanzseiten des Kapitalismus gesehen, aber nicht verstanden, warum es so aussah.
Ich selbst hätte mir auch gewünscht, das etwas mehr aus dem Sozialismus in die neue Bunderepublik übernommen worden wäre. aber das hätte mehr zeit gebraucht, und diese Zeit wollten vor allem die Ostdeutschen nicht mehr abwarten, sie wollten die D-Mark so schnell wie möglich.

Die Vereinigung hätte weitaus langsamer verlaufen sollen. Aber das lässt sich nicht steuern.

Dass es nach dem Krieg unterschiedliche Startbedingungen gab, ist eben auch so den politischen Entscheidungen geschuldet.

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neugierig131  11.06.2024, 08:23
@Jaridien

Klar, als Kriegsverlierer hat man nichts zu melden und die Gewinner entscheiden, wer was bekommt und wie regieren darf.

Für die politischen Entscheider mit den kapitalistischen Investoren im Nacken wäre es 1989 bestimmt nicht einfach gewesen zu sagen: lasst uns mal langsam machen, Eile mit Weile, lasst uns die Deutschen wieder aneinander gewöhnen usw. Springt man in eine Lücke nicht sofort, kommt ein anderer Investor und schließt sie, dann gibt es dort keine Geschäfte mehr zu machen, da ist man sich doch selbst der Nächste. Das ist eben auch Kapitalismus, der macht auch vor "Brüdern" nicht halt.

Und ich gebe dir mit dem Steuern recht: politisch wäre es wohl nicht möglich gewesen, den Ostdeutschen zu sagen: Leute, habt Geduld, wir lassen es ganz ganz langsam angehen mit der Wiedervereinigung, denkt mal in zehn Jahren dran, für Westmark einkaufen zu können.

Viele Ostdeutsche haben das damals (überspitzt formuliert) so empfunden: Jetzt sind die Russen weg, jetzt werden wir von den Wessis fremdbestimmt. Was wir wollen, will keiner wissen.

Was den Sozialismus betrifft: die Theorie hat schon ihren Reiz, in der Praxis würde es einem Ur-Westdeutschen gegen das kapitalistische Prinzip, dass Leistung belohnt wird, gehen und ein Ur-Ostdeutscher würde wahrscheinlich sagen: Haben unsere Erfahrungen damit gemacht, danke, nicht nochmal. Ob die Menschen mehrheitlich mehr Sozialismus wünschen, wage ich zu bezweifeln, die meisten wollen ihren eigenen Wohlstand mehren, "reicher" werden usw., das große Gemeinwohl, das im Sozialismus steckt, bedeutet eben auch persönlich zurückstecken wollen zugunsten etwas größerem Gemeinsamen. Und spätestens da hört es bei den meisten auf.

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Mir gefällt Ostdeutschland tatsächlich mehr als Westdeutschland, obwohl ich in NRW lebe.

Beides Extremmeinungen.

Der 'Osten' ist rassistischer, unfreundlicher, pragmatischer. Skeptischer, ängstlicher.

Der Westen kann souverän, überheblich, oberflächlich auftreten/(sein) und wirken, ist aber im Vergleich zu echten Westlern wie Kanadiern und US-Anerikanern, Briten, wiederum auch ganz anders. Steif trifft es.

Abgesehen davon sagt uns das Meridiansystem der Weltkarte,..

daß die Welt nicht nur aus Germany besteht.