Soziale Missstände, 16. Jahrhundert, England

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In der Aussage steckt etwas Richtiges. Sie könnte noch besser ausgedrückt, genauer dargestellt und ergänzt werden.

Richtig ist ein starker Gegensatz zwischen Oben und Unten, Reich und Arm, Herrschenden und Beherrschten. Die Mehrheit der Bevölkerung führte ein materiell kümmerliches Dasein. Die englische Gesellschaft der Frühen Neuzeit war durch starke soziale Ungleichheit gekennzeichnet. Dies trifft nicht nur im 16. Jahrhundert zu, sondern auch in den folgenden Jahrhunderten zu (im 19. Jahrhundert dann unter Bedingungen der Industrialisierung).

In der Frühen Neuzeit betrugen die Einkünfte einer adligen Familie etwa das Dreißigfache der Einkünfte eines einfachen Arbeiters.

Besser ausgedrückt als mit „Hälften“ wird die Grundaussage mit „Gruppen“ (der Bevölkerung). Denn die gemeinten Teile der Bevölkerung waren bei weitem nicht gleich große/zahlreich, sondern zu den Armen, denen es materiell schlecht ging, gehörte die große Masse der Bevölkerung.

Bei einer genauen Untersuchung ist eine etwas abgeänderte Beschreibung der beiden Gruppen günstiger. In der einen Gruppe könnten die Reichen und Wohlhabenden zusammengefaßt werden. Es gab Leute, denen es nach damaligen Verhältnissen materiell und in Bezug auf Belastungen und Belohnungen zumindest einigermaßen gut ging, die aber auch keinen großen Reichtum besaßen. Diese könnten als Wohlhabende eingeordnet werden. Unter Arme, die in Hunger und Elend lebten passen sie nicht. Denn diese Armen sind eine zahlreiche Gruppe, die an unteren Rand des Existenzminimums lebte.

Ohne die Grundaussage aufheben zu wollen, sind auch noch andere Modelle der Beschreibung möglich, mit einer Einteilung nach Oberschicht(en), Mittelschicht(en), Unterschichten) oder mit einer noch größeren Vielfalt.

Es gab einen Adel, unterteilt in Hochadel (peerage; auf Grund von Erbfolge oder königlicher Ernennung im Besitz eines Adelstitels, der eine eigene parlamentarische Vertretung im Oberhaus [House of Lords] als herausragende politisches Privileg/Vorrecht einschloß; besonderer Gerichtsstand) und niederen Adel (gentry). Alle adligen Grundbesitzer hatten das Jagdrecht als Vorrecht. Eigentumsrechte an ausgedehntem Grundbesitz waren für die Zugehörigkeit zum Adel sehr bedeutsam. Die untere Gentry war in gewissem Ausmaß offen für Aufsteiger aus dem Großbürgertum, die Land erwarben.

Die soziale und politische Führungsschicht der gentlemen hatte in der Frühen Neuzeit einen Anteil von etwa 2 – 3 % der Gesamtbevölkerung.

Es gab eine bürgerliche Oberschicht, die über ausreichendes Produktionseigentum und Geschäftskapital bzw. hervorragende professionelle Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte. Diese Leute konnten wirtschaftlich als Selbständige leben und Reichtum ansammeln.

Es gab städtische Eliten (citizens und burgesses genannt), in erster Linie aus den Bereichen Handel (trade) und höhere Berufsstände (professions; Ärzte, Geistliche, Juristen).

In der städtische Gesellschaft der Nicht-Adligen, der einfachen Leute/des gemeinen Volkes (common people) verlief eine besonders markante Trennlinie zwischen «freien Männern» (freemen), die wirtschaftlich selbständig lebten/beruflich Selbständige waren und bestimmte politische Rechte besaßen, und der großen Masse der Lohnabhängigen.

Zu den «freien Männern» (freemen), einer sogenannten Mittelklasse (middling sort of people), gehörten kleine Ladenbesitzer/Gewerbetreibende und Handwerker sowie mittlere und untere Ränge der höheren Berufsstände. Diese Gruppe hatte einen Anteil von einem Drittel bis zur Hälfte der männlichen Stadtbevölkerung.

Darunter befand sich eine städtische Unterschicht, mit Gesellen und ungelernten Gelegenheitsarbeitern.

In der ländlichen Bevölkerung gab es unterhalb der gentleman die Freibauren/Freisassen (yeomen), wohlhabende Großbauern, die oberste Schichte der bäuerlichen Bevölkerung. Sie waren nicht an traditionellen Grundsätzen der Subsistenwirtschaft orientiert, sondern vor allem an Profitmaximierung und setzten Gewinne für Ausbau/Abrundung und Modernsierung ihrer Höfe ein. Die yeomen hatten einen Anteil von etwa 3 – 4 % der ländlichen Bevölkerung.

Darunter gab es Gruppen ländlicher Unterschicht, mit teilweise fließenden Übergängen.

1) Kleinbauern (husbandmen; smallholders) um 1600 etwa 50 % der Bevölkerung

2) Häusler (cottagers), Kleinstbauern mit einem eigenem Haus, aber wenig Grundbesitz

3) Landarbeiter, Tagelöhner, Dienstboten (living in servants and outworkers)

Selbständige Kleinbauern konnten im 16. und 17. Jahrhundert mit einer fortschreitenden Kommerzialisierung einer für den Markt produzierenden Landwirtschaft nicht Schritt halten. Sie erfuhren einen Niedergang. Versuche, durch Erschließung zusätzlicher Erwerbsquellen bzw. Konsumverzicht den steigenden Pachtzinsen zu begegnen, waren oft vergeblich. Häufig waren sie genötigt, ihre überschuldeten Höfe aufzugeben.


Albrecht  06.10.2014, 00:39

Informationen enthalten Geschichtsdarstellungen, z. B.:

Heiner Haan/Gottfried Niedhart, Geschichte Englands : in drei Bänden. Band 3: Geschichte Englands vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. 2., durchgesehene Auflage. München : Beck, 2002, S. 23 - 36

Peter Wende, Großbritannien 1500 - 2000. München : Oldenbourg, 2001 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte ; Band 32), S. 13 - 21

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Hi.
Das kann man - metaphorisch gesprochen - auch noch im 19. Jahrhundert so sagen.
So schrieb z.B. Benjamin Disraeli (bei Bedarf bitte googeln) Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Roman "Sybil - or the Two Nations".

Klar ist aber, daß die "Hälfte" der Reichen" stets die deutlich "kleinere Hälfte" war (und ist).

Gruß, earnest

Zwei Hälften deutet ja an, dass beide Gruppen ungefähr gleich groß gewesen seien. Tatsächlich war der Reichtum einiger durch die Armut vieler bedingt. Besser wäre es gewesen, du hättest das Wort "Bevölkerungsgruppen" genommen. Aber mit der Tatsache, dass es krasse Gegensätze zwischen den Armen und den Reichen gab, dass die Reichen sehr viel Macht hatten und die Armen ausplündern konnten, hast du recht.


DahliaxD 
Beitragsersteller
 05.10.2014, 16:11

Vielen Dank, ich schreibe auf Englisch, deshalb ist die Wortwahl sowieso noch einmal ein bisschen anders ;-)

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Schuhu  05.10.2014, 16:13
@DahliaxD

Dann ist alles in Ordnung. Es war auch nur eine kleine Mäkelei, die möglicherweise dem Beurteiler deiner Arbeit gar nicht in den Sinn gekommen wäre.

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