Sollten Ärzte am Krankenbett die Wahrheit sagen?

2 Antworten

Ganz oben auf der Pro-Liste sehe ich die Informationspflicht des Arztes. Nur, wer die Wahrheit kennt, kann mündig entscheiden.

Kontra: Wenn der Patient vorher gesagt hat, dass er bestimmte Dinge nicht wissen möchte. Es gibt z.B. Patienten, die psychosomatisch gegeben eher Nebenwirkungen bekommen, wenn sie sie kennen oder wenn sie wissen, dass sie nun dieses bestimmte Medikament bekommen haben. Wenn der Patient bittet, ihm das einfach nicht mitzuteilen, sollte das respektiert werden.

Ehrlich gesagt sehe ich weniger Contraargumente, als mehr Argumente für einen verantwortlichen Umgang mit der Wahrheit. Ärzte sollten nicht mit der Holzhammermethode kommen: "Sie haben Krebs, Sie haben maximal noch ein Jahr zu leben!", sondern sich ran tasten. Erst mal sagen, dass der Patient Krebs hat. Dann fragen, ob er jetzt mehr dazu wissen möchte. Verneint er, das auch akzeptieren. Fragen, ob er etwas über die Statistik bzgl. Lebenserwartung etc. wissen möchte. Verneint er, das auch akzeptieren. Stimmt er zu, nicht einfach sagen "sie haben maximal noch ein Jahr zu leben", sondern "die meisten Patienten in den Statistiken lebten mit ihrer Diagnose noch ein Jahr, es gibt aber auch Ausnahmen". Der Patient kennt dann die Wahrheit, ist aber nicht ganz ohne Hoffnung. Und natürlich sollte der Arzt das am besten machen, wenn er noch etwas Zeit hat und nicht nur mitteilen "Sie werden bald sterben, ich muss jetzt weiter, tschüss!"

Wichtig wäre also die inviduelle Frage, Offenheit für die Haltung des Patienten und auch Respekt davor, also nicht einfach weiterreden, wenn der Patient das nicht möchte.

Angehörige sollten meiner Laienmeinung nach immer die Wahrheit erfahren (nahe Angehörige, die täglich oder sehr oft zu Besuch kommen), weil sie - mit Beratung - am besten wissen, wie sie mit dem Patienten umgehen müssen, was sie ihm wie sagen, wie sie ihn unterstützen und trösten. Wissen sie nicht, was los ist, sagen und tun sie vielleicht unwissentlich genau das Flasche, geben Hoffnung, wo bald offenkundig wird, dass keine Hoffnung mehr besteht. "Mama, nach Weihnachten können wir doch wieder Schlittschuhfahren gehen!" wird sicher nicht gut ankommen, wenn einem eine Woche später mitgeteilt wird, dass ein Bein amputiert werden muss. Besser, die Angehörigen wissen das vorher und geben entsprechend andere Hoffnung ("Mama, wir können uns doch mal wieder diesen Film ansehen/ schön Kaffee trinken").

Um es mal ganz klar zu sagen: Negative Gefühle wie Trauer, Enttäuschung, Schuldgefühle, Angst sind auch ein Recht von Erwachsenen. Der Arzt ist kein Vater von Kleinkindern, der entscheidet, wovor sie geschützt werden müssen. Es geht mMn nicht um Vermeidung von Gefühlen durch Lügen (oder Vorenthalten der ganzen Wahrheit), sondern um zeit- und ortsnahe Hilfen, diese zu verarbeiten, also direkt Vermittlung von Krankenhauspsychologen etc., die einem helfen, mit der neuen Situation zurechtzukommen.

Der Arzt hat kein Recht, den Patienten oder Angehörige einfach anzulügen!

Mit mehr Zeit kann man sich auch besser auf bestimmte Ereignisse wie OP, kurze Lebenszeit, Amputation, gesundheitliche Einschränkungen vorbereiten und ist dann zum Zeitpunkt des Ereignisses halt vorbereitet, hat schon eine Idee, wie man damit umgeht, was man anders planen sollte, wo man sich Hilfe holen kann etc. Jede Lüge verkürzt diese Zeit der Vorbereitung und wirft einen unvorbereitet in die Situation.

Was würdest du lieber hören: Sie haben noch zwei Jahre zu leben (ein paar Wochen Schock, ein paar Monate Adaption, dann Pläne und Fokussierung auf das Wichtigste für vielleicht noch gut 18 Monate) - oder "Sie haben noch ein paar Monate zu leben, das wussten wir schon vor 2 Jahren, aber wir wollten Sie schonen!" - dann das gleiche wie oben, aber viel weniger Zeit, bewusst mit der Info umzugehen?

Meiner Ur-Oma wurde gesagt: "Mit diesen Werten dürften Sie gar nicht mehr am Leben sein!" - am nächsten Tag starb sie. In dem Fall war die Info unverantwortlich, weil sie der Oma überhaupt keinen Mehrwert, nur Stress brachte. Das sollte vermieden werden!


Ontario  26.06.2021, 07:57

Mir ging es ähnlich bei einem Krankenhausaufenthalt vor 20 Jahren. Da wurde ich von der Quarantäneabteilung ( angeblich habe ich Hepatitis) nach 14 Tagen in die innere , medizinische Abteilung verlegt.

Der Arzt sah sich dort meine Krankenakte an und sagte unverblümt, ihnen gebe ich hoch höchsten 6 Monate Lebenszeit. Diese Aussage war für mich wie ein Schock.

Da ich nicht ans Bett gebunden war, begab ich mich zu einem Besuch in die Quarantäneabteilung und sprach dort mit dem zuständigen Arzt und wollte wissen, was es an der Aussage des Arztes aus der inneren Medizin auf sich hat.

Mir erklärte der Arzt, dass es zwar Werte in meinem Blutbild gäbe, die nicht zufriedenstellend sind, aber aufgrund meines stabilen Immunsystems wieder in Ordnung gebracht werden können.

Musste noch 2 Wochen im Krankenaus verbleiben und meine Blutwerte waren wieder völlig in Ordnung. Manche Ärzte verfügen über das notwendige Feingefühl, andere hingegen sagen es dem Patienten knallhart ins Gesicht, wie es um seinen Gesundheitszustand bestellt ist.

Inzwischen sind 20 Jahre seit diesem Krankenhausaufenthalt vergangen und ich befinde mich gesundheitlich in einem Bestzustand.

Für labile Menschen könne solche Aussagen schlimme Folgen haben.

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pro: um sich eine zweite Meinung einholen zu können

kontra bei Suizidgefahr