Schachtelsätze?

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In einer Abhandlung, einem Essay oder einer Erzählung wirkt es bald öde und nervig, wenn die Sätze nur aus einfachen Satzgefügen oder Satzreihen bestehen. Wenn man hier mal einen Schachtelsatz einfügt, bedeutet das eine Abwechslung. Sie sollte allerdings wohltuend wirken. Das ist der Fall, wenn die einzelnen Teilsätze des Schachtelgebildes harmonisch aufeinander abgestimmt sind und sich gut in den allgemeinen Rhythmus der Sätze einfügen. Goethe beherrschte diesen Schreibstil hervorragend, deshalb kann man vom Goethe-Stil viel lernen, allerdings sollte man ihn nicht kopieren.

Kants Schachtelsätze dagegen sind aufgebauschte Satzungetüme, die zwar erlesene philosophische Gedanken enthalten, jedoch als Lektüre weitgehend ungenießbar sind, eben wegen der fehlenden Harmonie der Satzteile und des mangelnden Sprachrhythmus. Deshalb meiden viele die Kantlektüre, greifen lieber zur Sekundärliteratur, lesen auch lieber Schopenhauer oder Nietzsche.  

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Schachtelsätze sind nicht "unbedingt zu vermeiden", man muss sie nur beherrschen Können. Kant und Cicero sind sicherlich auch nicht repräsentativ dafür, wie damals der schriftsprachliche Durchschnitt war. Heutzutage kann vielleicht ein genau so kleiner Prozentsatz wie damals komplizierte Sätze schreiben, deren Kompliziertheit nicht nur das Verständnis behindert (so wie bei den Witzbolden, die es in diesem Thread versucht haben), nur orientiert sich unser Gefühl für die Gegenwart vielleicht eher am Durchschnitt, während das für die Vergangenheit nur die Extreme sieht.

Ein weiterer möglicher Einflussfaktor für das Deutsche ist das weitgehende Aussterben des Lateinunterrichts. Anfang des 20. Jahrhunderts mussten Schüler noch Aufsätze auf Latein schreiben und die lateinische Schriftsprache, die dort gelehrt wurde war absolut an den Texten mit maximaler Komplexität orientiert. Man merkt auch bei den Herausragenden Schachtelsatzbildern wie Kant oder Hegel, dass sie sprachlich Merkmale des Latein nachahmen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – BA Germanistik, HiWi-Stellen in Linguistik und Mediävistik

Schachtelsätze gelten heute meist als stilistisch schlecht. Selbst in wissenschaftlichen Abhandlungen gilt zunehmend das Prinzip der Klarheit und Verständlichkeit, ganz nach einem bekannten Spruch von Albert Einstein: "If you can't explain it simply, you don't understand it well enough." Im Zeitalter von Simple English und Einfacher Sprache gilt eine verkomplizierter akademisierter Sprachstil geradezu als ausgrenzend und politisch verdächtig.

Hier hat sich im Vergleich zu früher sehr viel geändert. Es bleibt jedem selbst überlassen, zu urteilen, ob man diese spezielle Änderung nun überwiegend gut oder schlecht finden mag.

Alldieweil, all der wunderbaren Vorbilder ungeachtet, deren Strahlkraft jedoch langsam aber sicher zu verblassen scheint und deren Vorbildcharakter heutzutage von den allgegenwärtigen Prolls, deren Bildung zu wünschen übrig lässt, bezweifelt wird, sich die deutsche Sprache fürderhin in Richtung größerer Simplizität zu bewegen begann.

Gruß, earnest

Das kann man machen, wenn man es gut kann. Gute Redner können das oft.

In einem Schulaufsatz ist das oft nicht gern gesehen, weil gerne der Zusammenhang und die Intention verloren gehen.