Philosophie - Gerechtigkeit

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Zum Nachvollziehen ist Platon, Politeia 427 d – 444 e ein zentraler Textabschnitt. Darin geht es um die Tugenden/Vortrefflichkeiten im Staat (427 d – 434), die Tugenden/Vortrefflichkeiten in der Seele eines einzelnen Menschen (434 d – 435 c und 441 c – 44 e) und um die innere Form der Seele (435 c – 441 c).

Definition: Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) bedeutet nach Platon, das Seine zu tun (Politeia 433b τοῦτο τοίνυν, ἦν δ᾽ ἐγώ, ὦ φίλε, κινδυνεύει τρόπον τινὰ γιγνόμενον ἡ δικαιοσύνη εἶναι, τὸ τὰ αὑτοῦ πράττειν). Gerechtigkeit besteht in einem Haben und Tun des Eigenen und Seinen (Politeia 433 e – 434 a ἡ τοῦ οἰκείου τε καὶ ἑαυτοῦ ἕξις τε καὶ πρᾶξις δικαιοσύνη; Zusammenhang: Entscheidungen in Rechtssachen haben als Ziel, daß jeder weder Fremdes hat noch des Eigenen beraubt wird).

Erläuterung

Das Gerechte ist etwas Gutes. Platon sucht nach der Idee, dem Gerechten selbst. Dieses versteht er als etwas Umfassendes, bei dem ein Grundsatz auftritt, der bei jeder anderen einzelnen Tugend/Vortrefflichkeit auf bestimmte besondere Weise vorliegt und sie ermöglicht.

Das Gerechte ist nach Platons Gerechtigkeitsbegriff die richtige Ordnung im Verhältnis der Teile eines aus verschiedenen Bestandteilen zusammensetzten Ganzen. In der Seele bedeutet Gerechtigkeit, daß verschiedene Teile der Seele das richtige Verhältnis zueinander haben und verwirklichen.

Platon zieht den Gedanken heran (vgl. z. B. Politeia 433 a), daß es etwas gibt, wozu etwas von Natur aus/seinem Wesen nach geschaffen ist (ein ihm eigentümliches Werkes/eine spezifische Funktion). Es gibt etwas, wodurch sich etwas besonders auszeichnet, was nur es leistet oder es am besten kann. Bei einer Einordnung in das Ganze ist die bestmögliche Entfaltung und eine Verhinderung von Störungen ein Ziel. Wenn ohne jede Beschränkung alles Mögliche (vielerlei) betrieben wird, treten Überschreitungen im Verhältnis zueinander statt. Etwas maßt sich nach platonischem Ansatz etwas an, wofür es nicht gut geeignet ist und was ihm nicht zusteht, drängt das beiseite oder unterdrückt, was in Wahrheit geeignet und dafür zuständig ist.

Platons Seelenlehre/Psychologie unterscheidet drei verschiedene Seelenteile/Arten der seelischen Ausrichtung/seelische Strebeformen (die alle Denken, Fühlen und Wollen umfassen) und mit denen bestimmte Tugenden/Vortrefflichkeiten jeweils auf besondere Weise verbunden (auch wenn sie alle Vernunft voraussetzen):

  • das Vernünftige (τὸ λογιστικόν) - Weisheit (σοφία)

  • das Muthafte/sich Ereifernde (τὸ θυμοειδές; gemeint ist nicht wütend sein, sondern eher etwas wie engagiert und tatkräftig sein) - Tapferkeit (ἀνδρεία)

  • das Begehrliche (τὸ ἐπιθυμητικόν) - Besonnenheit (σωφροσύνη)

Die Gerechtigkeit ist mit einer Übereinstimmung/Harmonie aller verbunden.

Das Vernünftige ist mit Erkenntnis verbunden, das sich Ereifernde mit Meinung und das Begehrliche mit Sinneswahrnehmung. Die Vernunft soll die Leitung übernehmen, eine kluge Fürsorge/Voraussicht (προμήθεια). Platon beschreibt das Verhältnis bei gutem Zusammenspiel (dem gerechten Zustand) als Freundschaft (φιλία), Übereinstimmung/Einklang (συμφωνία) und Harmonie (ἁρμονία).

Ihr richtiges Zusammenwirken besteht darin, daß das Vernünftige leitet/herrscht, das sich Ereifernde es unterstützt und das Begehrliche sich leiten/beherrschen läßt (ohne aber berechtigte Funktionen zu verlieren).

Ungerechtigkeit stellt eine Krankheit der Seele dar, es herrscht Aufruhr und Verwirrung innerhalb der Teile der Seele (Platon, Politeia 444 a – 444 c). Gerechtigkeit ist Wohlgeordnetheit der Teile der Seele, die der Seele Gesundheit und Schönheit verleiht (Platon, Politeia 444 d).

Platon geht bei der Untersuchung der Gerechtigkeit über die äußeren Handlungen hinaus und richtet seine Aufmerksamkeit auf die innere Einstellung/den inneren Zustand aus der die Handlungen hervorgehen, eine der Seele einer Person innewohnende Tugend/Vortrefflichkeit (ἀρετὴ. Wahre Gerechtigkeit betrifft das Innere und zeigt sich in äußeren Handlungen (Politeia 443 b - 444 a).

Bei Gerechtigkeit ist ein Gedanke naheliegend, sie betreffe die Verteilung von Gütern an verschiedene Personen/Gruppen von Personen. Platons Gerechtigkeitsbegriff weicht von geläufigen Auffassungen teilweise ab. Trotzdem kann er ein Stück weit auf die Verteilung von Gütern bezogen werden: Wenn in einem Menschen die Bestandteile der Seele im Verhältnis zueinander eine richtige Ordnung verwirklichen, ergibt sich dabei eine gerechte Verhaltensweise. Bei einer harmonischen, von Vernunft geleiteten Seele treten ungezügeltes Mehrhabenwollen, Habgier und Herrschsucht nicht auf.

zum Thema gibt es eine kurze Gesamtdarstellung:

Simon Weber, Gerechtigkeit. In: Platon-Handbuch : Leben, Werk, Wirkung. Herausgegeben von Christoph Horn, Jörn Müller und Joachim Söder. Unter Mitarbeit von Anna Schriefl und Simon Weber. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2009, S. 275 – 284

Tja, wenn Du einigermaßen klar sagst, was Du weißt und was Dich am wikipedia-Artikel (vgl. auch den englischen und den Eintrag bei http://plato.stanford.edu/entries/plato-ethics-politics/ und /entries/justice-virtue/) nicht zufriedenstellt, dann kannst Du vielleicht geholfen werden. Im übrigen hast Du eine schiefe Formulierung, woran vieles hängt: Auf der einen Seite fragst Du, was Gerechtigkeit ist (solche Gleichungen a=b gibt es selten und sind oft nicht hilfreich; vgl. "Religion ist die Einheit der Differenz von Immanenz und Transzendenz"), auf der anderen Seite sagst Du "wir sind gerecht, wenn ..." (offenbar mit Bezug auf Politeia IV). Beziehst Du Dich also (wahrscheinlich) auf einen bestimmten Text oder suchst Du eine Gleichung, die es nicht gibt, oder suchst Du einen Lexikoneintrag oder brauchst Du den Kernlehrplan, in dem steht, was die Schüler wissen sollen (den findest Du im Netz, ebenso die Abituraufgaben in Philo mit Musterlösungen).