Kritik Existentialismus?

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Der Existentialismus ist keine Theorie zur Logik. Es ist also nur eine Kritik möglich, bestimmte Sätze und Argumentationen hätten logische Mängel.

Vielleicht sind rational begründete Einwände gegen den Existentialismus gemeint.

Verknüpfung des Vorausgehens einer Essenz beim Menschen mit einem Schöpfergott als Voraussetzung

Jean-Paul Sartre hält die Existenz eines Schöpfergottes für eine Voraussetzung der Auffassung des Vorausgehens einer Essenz beim Menschen. Wie ein Papiermesser oder ein Brieföffner vor der Existenz schon als Essenz im Gedanken und entwerfenden Plan eines Handwerkers vorhanden gewesen ist, müsse für ein Vorausgehens einer Essenz beim Menschen ein ihn erschaffendes intelligentes Wesen vorausgesetzt werden. Der atheistische Existentialismus lehnt beides ab, die Voraussetzung (Existenz eines Schöpfergottes) und die Auffassung (Vorausgehen einer Essenz beim Menschen). Eine Kritik kann sich gegen die Annahme Sartres richten, ein Vorausgehen der Existenz vor der Essenz beim Menschen sei ein kontradiktorischer Gegensatz zur Existenz eines Schöpfergottes, mit diesen beiden Möglichkeiten sei also der logsche Raum vollständig abgedeckt. Es könnte die These vertreten werden, ein Vorausgehen der Existenz vor der Essenz beim Menschen sei nur ein konträrer Gegensatz zur Existenz eines Schöpfergottes. In einer Bedeutung von Essenz, die nicht bis zu einer sehr weitgehenden Festschreibung voranschreitet, sondern einen Rahmen mit einer Offenheit für konkrete Ausfüllung angibt, könnte eine Essenz beim Menschen auch mit einer Beschaffenheit, die von der Natur oder Wirklichkeit her ohne Setzung durch eine göttliche Person da ist, begründet werden.

Vorausgehen der Existenz vor der Essenz beim Menschen

Ganz grundsätzlich wird die existentialistische Aussage, die Existenz gehe der Essenz voraus, von idealistischer Ontologie und Erkenntnistheorie bestritten. Ein naheliegender Einwand von dieser Seite ist, an der Existenz könne überhaupt nur etwas über ein Erfassen von etwas Bestimmten, Allgemeinen, Wesenhaften, mit sich selbst Gleichen, so etwas wie einer Idee, erkannt werden. Eine Besonderheit ist kaum als erkennbar und mit einer Seinsgrundlage ausgestattet denkbar, wenn nicht Merkmale an ihr vorhanden sind, die zugleich einen Sachgehalt bilden, der auch anderswo auftreten kann und bei dem es jeweils neben dem Individuellen des besonderen Dinges etwas Gemeinsames gibt. Sartre vertritt Aussagen über den Menschen allgemein, eine Gattung Mensch. Dies setzt ein festes Merkmal voraus, um Individuen in einem Hier und Jetzt allgemein in einer Gattung zusammenzufassen und diese von anderen Gattungen abzugrenzen, eine grundsätzliche Erkennbarkeit von „Mensch“. Wenn an den Menschen ihre Unbestimmtheit (sie sind nicht festgelegt, sondern entwerfen, wie leben wollen) hervorgehoben wird, ermöglicht dies kein erfassendes Erkennen. Unbestimmtheit als Wesensbestimmung zu verwenden wäre innerhalb des Existentialismus nicht folgerichtig und ein heranziehen enes dafür ungeeignetes Merkmals (nur etwas Bestimmtes ist als Wesensmerkmal geeignet, nicht eine bloße Unbestimmtheit).

außerhalb von Kausalität stehende Rolle des Nichts bei der Begründung von Freiheit

Sartre begründet Freiheit und damit die Möglichkeit der Änderung des Entwurfs (Ur-Wahl als ursprünglicher Selbstentwurf) mit den Strukturen menschlichen Daseins.

Freiheit ergibt sich als Bewußtseinsleistung.

Der Mensch ist nicht in seinem Wesen festgelegt, sondern macht sich jeweils durch einen Entwurf, Entscheidungen und Handlungen zu der Person, die er ist.

Das Bewußtsein ist intentional (auf etwas als sein Inhalt gerichtet) und das faktisch zu einer Zeit Gegebene überschreitend.

In seinen Vorstellungen und Gedanken kann ein Mensch über das, was jetzt gerade ist, hinausgehen und etwas anderes setzen. Weil der einzelne Mensch sich in seinem Freiheitsvollzug als kontingent (etwas das möglich ist, aber auch anders sein kann; also keine strikte Notwendigkeit) erfährt, kann die ursprüngliche Wahl stets in Frage gestellt werden und es bleibt eine Änderung des Selbstentwurfs möglich, auch wenn dies tatsächlich eher selten geschieht.

Es gibt die zwei Seinsbereiche/Seinsweisen des An-sich (das Sein ist das, was es ist; Welt mit sich identischer Dinge; Objekt-Sein) und des Für-sich (Sein, wie es erlebt wird, sich für jemanden darstellt; Subjekt-Sein) Der Mensch ist nicht ein bloßes An-sich. Der Mensch ist, weil er Bewußtsein hat bzw. ist, Für-sich, ein durch Bewußtsein bestimmtes Sein. Für-sich bedeutet, nicht schlichtweg mit sich identisch zu sein. Der Mensch kann seinen gegenwärtigen Zustand in Frage stellen und ist immer schon das, was er sein könnte (Möglichkeiten). Beim Für-sich gibt es einen Abstand und eine gewisse Trennung. Im Für-Sich steckt damit ein Nichts (Nicht-Sein). Das Für-sich hat die Fähigkeit zur Nichtung, einer verneinenden Distanzierung von etwas Gegebenen. Das, was zur Zeit faktisch nicht ist, kann vorgestellt und gedacht und für die Zukunft entworfen werden.

Über diese beachtlichen Argumenten für die Existenz von Willensfreiheit und gegen eine strikte Determiniertheit (menschliches Wollen nach zwangsläufiger Notwendigkeit) geht Sartre noch damit hinaus, dem Nichts, der Bewegung des Nichtens, eine Wirkung zuzuschreiben, durch die der Mensch der Kausalität entgeht, in einer Hinsicht außerhalb von kausalen Gesetzen steht. Dies ist nicht überzeugend, da das Nichts als Abstand-Nehmen und Verneiung ein Nichts in Bezug zu etwas und eine Möglichkeit ist, aber kein absolutes Nichts außerhalb des Seins und seinen Bedingungen. Das Für-sich als ein durch Bewußtsein bestimmtes Sein kann ein veränderbares An-sich verändern, aber nicht dem An-sich des Seins überhaupt entgehen, indem es in ein An-sich des Nichst ausweicht.

Mangel an objektiver Begründung von Werten und ethischen Grundsätzen

Bei der Freiheit wird die subjektive Setzung hervorgehoben. Der abstrakte existenzialistische Freiheitsbegriff ist nicht weiter inhaltlich bestimmt und es fehlt eine inhaltliche Begründung, warum das Überschreiten einer Situation in einer subjektiven Setzung gut sein soll. Für die Anwendung gibt es nur das unklare Kriterium der Authentizität. Eine Möglichkeit, das Handeln an unbedingt Geltendes zu binden, fehlt.

Ein möglicher Vorwurf ist Subjektivismus und Mangel an einer rational begründeten umfassenden Ethik. In Entschlossenheit und Engagement als solchen steckt noch keine inhaltliche Ausfüllung (ein philosophisch begründetes Wozu).

Vittorio Hösle, Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie : Transzendentalpragmatik, Letztbegründung, Ethik. 3., um ein Nachwort für diese Ausgabe erweiterte Auflage. München : Beck, 1997 (Beck'sche Reihe ; 1174), S. 59 (analytische Philosophie/Szientismus und Existenzialismus als scheinbar entgegengesetzte Strömungen, die zueinander komplementär sind):

„Denn sosehr etwa Szientismus - eine der typischsten Erscheinungen der analytischen Philosophie – und Existentialismus einander entgegensetzt zu sein scheinen, so sehr kommen sie doch in der Überzeugung überein, daß eine rationale Begründung von Werten nicht möglich sei: Der Szientismus übernimmt in dieser Version den Part der Analyse der wertfreien Wissenschaft, der Existentialismus gibt sich mit den irrationalen und nur subjektiv gültigen Entscheidungen für Werte ab, die die eigene Lebensführung bestimmen sollen.“

S. 123 (keine der wirkungsmächtigen modernen Philosophien versucht die Ethik in wirklich befriedigender Weise zu begründen): „Im Marxismus ist die Ethik Teil der Geschichtsphilosophie; und im Szientismus und kritischen Rationalismus hat sie als objektive Theorie ebensowenig Raum wie im Existenzialismus und in der Hermeneutik.“


L0uise 
Beitragsersteller
 24.02.2022, 22:30

Vielen Dank für diese ausführliche Antwort!