Kohlensäure Gleichgewichtsreaktion (Stöchiometrie oder Realität)?

7 Antworten

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Müsste die Reaktionsgleichung daher nicht korrekter notiert werden als:
2 H2O + CO2 ⇌ H2CO3 + H2O

Nein. Eine Reaktionsgleichung trifft erstmal nur eine Aussage darüber, welche Stoffe reagieren bzw. sich einer Umwandlung unterziehen. Das ist für das zweite H2O aber nicht der Fall. Ergo wird es nicht in die Gleichung geschrieben. Die Reaktionsgleichung sagt nämlich nichts darüber aus, wie und ob die Produkte stabil sind bzw. wo das Gleichgewicht dieser Reaktion liegt.

Du könntest hinter CO2 und der Kohlensäure höchstens noch ein (aq) schreiben, was verdeutlicht, dass die beiden eben in Wasser gelöst sind.

Oder du erweiterst die Gleichung noch um eine zweite:

H2CO3 + H2O ⇌ H3O+ + HCO3-

Denn das Hydrogencarbonat HCO3- ist das, was zum größten Teil (neben gelöstem CO2) in Wasser vorliegt. Zumindest bei neutralem pH.


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Beitragsersteller
 02.12.2024, 13:01

Zunächst vielen Dank. Aber wenn wir das Hydrogencarbonat (richtigerweise) mit einführen, sollten wir doch auch einen Blick auf das Carbonat-Ion werfen, oder?
Und dann ergibt sich doch auch wieder eine ähnliche Frage, weil wir ein weiteres mal mit der Zahl der Wassermoleküle nicht klarkommen:

H2CO3 + H2O ⇌ H3O(+) + CO3(2-) [+H(+)]?

Da würde uns doch, wie bei Bose-Einstein, ein Proton aus dem Becherglas hüpfen? ;-)))

Weshalb ich auch da für

H2CO3 + 2 H2O ⇌ 2 H3O(+) + CO3(2-)

plädieren würde.
Also, in der Gesamtbetrachtung:

2 H2O + CO2 ⇌ 2 H3O(+) + CO3(2-) ⇌ H2CO3 + H2O

Hier wird sichtbar, daß das zweite Wassermolekül praktisch als Protonen-Taxi (H3O(+)) notwendig ist. Wenn es allerdings nur Protonen anlagert und an H2CO3 abgibt, um z.B. die Hydroxyl-Gruppe an der "Sollbruchstelle" abzutrennen, würde ich dieses Molekül wie einen Katalysator betrachten. Denn das zusätzliche Wassermolekül würde hinterher ja wieder in der ursprünglichen Form vorliegen (keine Stoffumwandlung).
Ich befürchte allerdings, daß, wenn man die Kerne der einzelnen Moleküle nummerieren/markieren würde, man feststellen könnte, daß das H2O-Molekül auf der linken Seite von H2O + CO2 ⇌ H2CO3 einen H-Kern enthält, der gar nicht vom H2CO3 auf der rechten Seite stammt.
Was mit dem Titel meiner Frage korreliert: Stöchiometrisch korrekt aber nicht real!
Und wenn ich die Reaktionsgleichung, dem Sinn nach, aus ihrer Historie ableite (Es waren ja Rezepte, die den Alchemisten sagten, wieviel Blei und Drachenzahnpulver sie nun genau zusammenkneten mußten, um ein Stück Gold zu erhalten. ;-)), kommen mir Zweifel, weil H2O + CO2 ⇌ H2CO3 eben in den real existierenden Laboren unserer Welt genau nicht funktionieren würde!
Aber ich habe dieses Problem als Frage und nicht als Diskussion angelegt, weil ich diese Umstände nicht diskutieren will, sondern das Ergebnis der Diskussion erfahren wollte, die Fachleute bereits mit ihren Profs geführt haben. ;-)
Ich nehme an, daß Sie zu diesen Fachleuten gehören und mir gerade dieses Ergebnis mitgeteilt haben?
Oder würden Sie mir raten, nochmal ein hochkarätiges Chemie-Forum aufzutun, um den Leuten dort mein Problem als Amuse-Gueule in den Chemie-Nerd-Adventskalender zu stecken? :-)))

JenerDerBleibt  02.12.2024, 13:58
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Du vergleichst hier ehrlich gesagt ein bisschen Äpfel mit Birnen.

Natürlich gibt die Reaktionsgleichung nicht die Realität wieder. Das tut sie aber NIE. Unabhängig von der Kohlensäure. Das ist eine Vereinfachung, hauptsächlich um stöchiometrische Verhältnisse klar zu machen, weil man damit gut rechnen kann. Man will ja diese Vereinfachung. Und diese Vereinfachung folgt eben gewissen Regeln (Ausgleichen, nur schreiben was reagiert, auch wenns nur formal ist, etc.). Dabei muss sich im Hinterkopf halten, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht und Reaktionen auf der Ebene der Atome ganz anders funktionieren.

In der Realität sind da weitaus mehr Wassermoleküle dran beteiligt, keine Frage. Protonentransfers finden da unentwegt statt und das so schnell, dass die sich der Vorstellung entziehen. Zudem ist das Gleichgewicht pH abhängig, sprich es beeinflusst die Konzentrationen von H2CO3, HCO3- und CO3^2-.

Was bei sowas auch gern gemacht wird ist, auf der Reaktions- bzw. Gleichgewichtspfeil ein H+ zu schreiben. Dann ist nämlich klar, dass zwischen beiden Teilen der Gleichung ein H+ dazu kommt oder eben weg geht.

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Beitragsersteller
 02.12.2024, 14:32
@JenerDerBleibt

Ein H+ über dem Reaktionspfeil würde mich mit der Reaktionsgleichung versöhnen, die linksseitig nur ein Wassermolekül führt.
Da könnte ich mir dann auch eine Umsetzung im Vakuum vorstellen, die real nach Protonenbeschuß stattfindet. Und dann wäre hier Stöchiometrie = Realität! :-)
Danke für diese Lösung!
Und noch eine Anmerkung zum ph-Wert bei dieser Reaktion: Wenn meine Betrachtungen richtig sind, wird bei basischem ph-Wert das Kohlensäure-Molekül sogar (real) völlig anders zerlegt:
Sauer -> Die Carboxy(l)-Gruppe wird abgespalten.
Basisch -> Die Carbonyl-Gruppe (am entgegengesetzten Ende des Moleküls!) wird zerlegt, die Elektronen "durchrotiert" und die Molekülstruktur einmal völlig umgebaut.
Und diese Einwirkungen sind eben nur ionisierten Wassermolekülen zu verdanken, die in der klassischen Reaktionsgleichung nicht mal auftauchen!

JenerDerBleibt  02.12.2024, 14:44
@1malgucken

Wie meinst du das mit Umsetzung im Vakuum? Die Kohlensäure zerfällt außerhalb von Wasser einfach. Da brauchts keinen externen Initiator für.

Und was du mit den Betrachtungen zum pH-Wert meinst ist mir auch ein Rätsel. Was ich damit meinte ist, dass das Gleichgewicht CO2/H2CO3 <-> HCO3^- <-> CO3^2- vom pH Wert abhängig ist. Soll heißen bei pH > 12 liegt zu 99% das Carbonat vor. Bei pH 8 hauptsächlich das Hydrogencarbonat und bei pH 4 quasi nur noch gelöstes CO2. Elektronisch und an der Molekülstruktur ändert sich im basischen zwischen Carbonat und Hydrogencarbonat nichts, außer dass eben ein H+ mehr oder weniger dran ist. Im sauren zerfällt das Hydrogencarbonat dann halt zu CO2 und Wasser.

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Beitragsersteller
 02.12.2024, 15:08
@JenerDerBleibt

"Die Kohlensäure zerfällt außerhalb von Wasser einfach."

Wirklich?
Der energetische Zustand ist nach Zerfall zu CO2 und Wasser zwar günstiger aber müßte da nicht auch eine geraume Menge Aktivierungsenergie irgendwo herkommen, damit der "Zerfall" tatsächlich stattfinden kann?
Das ist es, was ich mit Umsetzung im Vakuum meinte. Ein völlig isoliertes H2CO3-Molekül. Würde es sich inert umsetzen? - frage ich mich, mit zunehmend mißtrauischem Blick auf die Cola-Flasche neben meinem Schreibtisch. ;-)))

JenerDerBleibt  02.12.2024, 17:37
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Da kann Licht schon reichen.

Ich mein, es muss im Prinzip nur ein H+ zur anderen OH-Gruppe wechseln und du hast ein H2O, das als Abgangsgruppe abfliegt. Und intramolekulare Protonentransfers sind extrem schnell und haben kaum Aktivierungsenergie.

Gibt auch einen Grund, warum mans bisher nicht geschafft hat H2CO3 zu isolieren, obwohl man Methoden wie verdünnte Gasphase, Edelgasmatrix und Temperaturen bis nahe absolut Null kennt.

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Beitragsersteller
 03.12.2024, 11:51
@JenerDerBleibt

Hochinteressant, daß es noch nicht gelungen ist, H2CO3 zu isolieren. Dabei ist es ein so "schönes" Molekül. Irgendwie, in der Architektur, dem Wassermolekül recht ähnlich. Daß ein H+ in dieser Struktur wechselt, halte ich (aber ich bin kein Fachmann) für extrem unwahrscheinlich. Aber der wesentliche Einfluß eines externen Wassermoleküls ist mir ja bereits aufgefallen (war ja der Grund der Anfrage :-)). Möglicherweise ist die Isolation von H2CO3 deshalb nicht möglich, weil sich ein H2CO3-Molekül dem anderem gegenüber ähnlich wie Wasser verhält. Und daß sich mehrere H2CO3-Moleküle immer gegenseitig zu Wasser, Carbonat-Ionen und CO2 umsetzen, kann ich mir gut vorstellen! Vielleicht ist bei der Kohlensäure (aq) ja das Wasser sogar der notwendige "Puffer", der die H2CO3-Moleküle davon abhält, sich gegenseitig aneinander umzusetzen.
So treibt eine Frage die nächste. Aber für die Grundfrage hast Du ja eine Antwort gegeben, mit der ich ganz gut leben kann. :-)))

JenerDerBleibt  03.12.2024, 12:19
@1malgucken

Doch doch, da passiert da schon :D

Kann man sich sowieso mal merken, dass intramolekulare Reaktionen immer deutlich schneller sind als intermolekulare. Besonders wenns um Protonentransfer geht.

Sieht man auch an der Erlenmeyer-Regel. Geminale Diole und Triole sind nicht stabil und lagern sich um, auch ohne externen Einfluss. Das liegt daran, dass eine C=O Doppelbindung energetisch besser ist, als zwei C-O Einfachbindungen.

Die kann man nur stabilisieren, wenn man entweder elektronenziehende Reste am Kohlenstoff hat (was bei H2CO3 nicht geht) oder man die Wasserstoffatome ersetzt. Und deswegen sind Kohlensäure-Ester stabil, Kohlensäure selbst aber nicht.

JenerDerBleibt  03.12.2024, 12:26
@JenerDerBleibt

Hab eben mal kurz ein paar Paper überflogen und gemessene Zeiten von (wohlgemerkt intermolekularen) Protonentransfer Reaktionen angeschaut. Und die sind schon im Bereich von nur einigen hundert bis tausend Femtosekunden (zumindest für die gemessenen Spezies). Intramolekular werden die nochmal schneller sein.

Protonen tunneln ja auch gern sehr weit

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Beitragsersteller
 03.12.2024, 12:44
@JenerDerBleibt

Na, dem guten Erlenmeyer werde ich mal lieber nicht widersprechen :-)
Nun hatte ich (dummerweise) den Vorschlag gemacht, diesen Komplex einer Gruppe von Chemie-Nerds in den Adventskalender zu schieben. Ich nehme an, dies war der für Dich der Anlaß, das jetzt stattdessen in meinen zu drücken! ;-)))
Da werden meine Neuronen bis Weihnachten wohl eine Menge "Spaß" haben.
In jedem Fall werde ich zum Jahreswechsel mit meinem ersten Cola-Mix auf Dich anstoßen. :-)

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Beitragsersteller
 03.12.2024, 13:18
@JenerDerBleibt

"Protonen tunneln ja auch gern sehr weit"
Muß sich ja schließlich auch lohnen - bei der großen Masse! ;-)
Könnte man vielleicht als "Habeck-Regel" einführen. :-))))
*duckundwech*

Genau genommen ist sie quasi schon ein Katalysator in dieser Reaktion. Ja, die beiden Reaktionspartner brauchen sie tatsächlich, um sich so umzulagern, dass sie die Produkte bilden können.

Kohlensäure ist generell relativ instabil, in Gegenwart von Wasser kann sie sich jedoch immer wieder bilden und zerfallen, was den Anschein erweckt, als komplett neue Moleküle zu bilden.

Der Ansatz ist richtig, allerdings läuft dann die Rückreaktion auch nicht ab dem Vakuum, bzw es müssen neue Reaktionspartner zugefügt werden, was ja nicht der Fall ist, weshalb diese Gleichung dann stimmen würde. Man kann also getrost die Reaktionsgleichung so stehen lassen.


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Beitragsersteller
 02.12.2024, 03:26

Nun ja, aber wenn man das so in einer Klausur zum Chemiestudium notiert? Gibt es dann Lob oder Tadel?

Ich denke schon, dass man es so notieren könnte, allerdings wäre es dann eher eine Reaktionskette und keine Gleichgewichtsreaktion mehr.


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Beitragsersteller
 02.12.2024, 03:27

Wo sehen die Störung des Gleichgewichts?

Ja, in der Realität existiert Wasser auch in der Produktseite, weil die Kohlenwasserstoffbindung in der chemischen Struktur von H2CO3 sehr polar ist.


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Beitragsersteller
 02.12.2024, 03:21

Ja, und ohne das zusätzliche Wassermolekül auf der "Kohlensäureseite" würde sich H2CO3 nicht in H2O + CO2 zerlegen. Und dieses zusätzliche Wassermolekül muß dann natürlich auch auf der "CO2-Seite" wieder auftauchen (stöchiometrisch). Ob es für die Reaktion in die rechte Richtung auch reaktiv erforderlich ist, weiß ich allerdings nicht. Ich würde nicht bezweifeln, daß eine Umsetzung von CO2 in H2CO3 schon an einem einzigen Wassermolekül praktisch gelingt.