Jürgen Habermas?

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Mehr als nur jeweils einen Satz dazu sagen zu könne, ist sicherlich erwartet, aber in 10 Minuten kann dies nicht wirklich ausführlich behandelt werden. Am meisten Zeit benötigt die Theorie des kommunikativen Handelns.

Ich versuche eine (nicht auf alle Einzelheiten eingehende) Darstellung und Erklärung.

Theorie des kommunikativen Handelns

Die Theorie des kommunikativen Handelns versucht eine Erklärung, wie soziales Zusammenleben stattfinden kann, und führt eine Grundlegung einer kritischen Gesellschaftstheorie durch.

Kommunikatives Handeln ist ein sprachlich vermitteltes Handeln, bei dem die Sprechenden an Verständigung orientiert sind.

Kulturelle Selbstverständlichkeiten, lebensweltliches Hintergrundwissen und (moralische) Überzeugungen werden sprachlich vermittelt. Als selbstverständlich angenommene Hintergrundüberzeugungen leiten das Handeln an, die erst problematisiert werden, wenn sie zum Thema werden und nicht im Hintergrund bleiben. In der Sprache ist eine normative Voraussetzung für Erkennen und Handeln enthalten.

Ein Sprechakt (Bestandteil einer Sprachhandlung) wird im Großen unter zwei Gesichtspunkten gesehen:

a) Inhalt der Äußerung

b) Handlung

Der Gesichtspunkt der Handlung verweist auf Geltungsansprüche (Ansprüche, daß die jeweiligen Bedingungen für die Gültigkeit einer Äußerung – eine Behauptung oder ein moralisches Gebot – erfüllt sind), die mit einer Äußerung erhoben werden.

Sprachliche Verständigung hat eine rationale Grundlage, weil sie auf dem (ausgesprochenen oder unausgesprochenen) Erheben von Geltungsansprüchen beruht, wenn jemand überhaut ernstgenommen werden will.

Grundlage von kommunikativem Handeln ist Konsens (Zustimmung/Übereinstimmung), weil die Handlungskoordination auf dem Anerkennen von Geltungsansprüchen beruht.

Geltungsansprüche sind, um akzeptiert zu werden, mit dem Angebot verbunden, im Fall einer Kritik (Bezweifeln oder Bestreiten) den Geltungsanspruch einer Überprüfung in einem Diskurs zu unterziehen. Ein Diskurs hat, wenn Aussicht auf Gelingen bestehen soll, unhintergehbare Voraussetzungen als Bedingung, deren Bestreitung zu einem performativen Widerspruch führt (mit einer Äußerung werden Voraussetzungen verbunden, die dem Inhalt des Geäußerten widersprechen).

Geltungsansprüche sind: Wahrheit, (normative) Richtigkeit, Wahrhaftigkeit (Aufrichtigkeit) und – nicht als einfach als weiterer Geltungsanspruch daneben, sondern eine Grundlage bildend – Verständlichkeit (Voraussetzung jeder gelingenden Kommunikation)

Rational können Behauptungen nur genannt werden, wenn sie die erforderlichen Bedingungen erfüllen, sich mit anderen über etwas zu verständigen. Dazu gehört, für Kritik offen zu sein begründet werden zu können. Rationalität bezeichnet eine Disposition (Veranlagung, Neigung, Fähigkeit, Verfügenkönnen) sprach- und handlungsfähiger Subjekte, deren Behauptungen und Verhaltensweisen einer Beurteilung durch andere zugänglich sind. Die Geltungsansprüche Wahrheit, (normative) Richtigkeit, Wahrhaftigkeit (Aufrichtigkeit) erfordern, zu Vertrauen bereit zu sein und nicht von vorneherein, vor jeder Überprüfung, Unglaubwürdigkeit und Unvernunft anderer Personen anzunehmen/zu unterstellen.

Kommunikative Rationalität ist allgemeingültig und ein Maßstab für Gesellschaften.

Mit diesem Maßstab richtet sich Kritik gegen einseitige und verkürzende Rationalität:

a) instrumentelle Rationalität (Zweck-Mittel-Rationalität; Frage der Rationalität/Vernünftigkeit bezogen auf die Ziel von Handelenden)

b) funktionalistische Rationalität (beruht darauf, welchen Beitrag etwas zur Aufrechterhaltung von etwas anderem leistet; auf soziale Gebilde bezogen)

Es werden Bezüge von Äußerungen auf Bereiche der Wirklichkeit/Welten unterschieden (die in der Praxis häufig gemeinsam/zugleich vorkommen):

a) objektive Welt: Gesamtheit der Tatsachen

b) soziale Welt: Gesamtheit der als legitim anerkannten Beziehungen zwischen Personen

c) subjektive Welt: Gesamtheit der Erlebnisse, zu denen jeweils nur ein Individuum einen besonderen Zugang hat (Gefühle, Wünsche, Absichten und Gedanken)

Kommunikatives Handeln bezieht sich auf die Interaktion zwischen mindestens zwei Subjekten, die interpersonale Beziehungen (Beziehungen zwischen Personen) eingehen. Sie suchen eine Verständigung über die Handlungssituation, um ihre Handlungspläne und damit ihre Handlungen einvernehmlich zu koordinieren.


Albrecht  28.05.2014, 12:24

Kommunikatives Handeln wird von anderen Handlungsmodellen unterschieden.:

teleologisches (zielgerichtetes) Handeln: Ausgangspunkt einsames Subjekt (Handeln nur aus der Perspektive eines Einzelnen, andere Personen nur wie Gegenstände der natürlichen Umwelt betrachtet) Weltbezug: objektive Welt Geltungsanspruch: Wahrheit

normenreguliertes Handeln: Handelnde als Mitglieder sozialer Gruppen Weltbezug: soziale Welt Geltungsanspruch: Richtigkeit (Übereinstimmung mit Norm)

dramaturgisches Handeln: Handelnde als Darsteller vor einem Publikum, bringt innere Zustände zum Ausdruck Weltbezug: objektive und subjektive Welt Geltungsanspruch: Wahrhaftigkeit

kommunikatives Handeln: mindestens zwei Handelnde, die Verständigung, über eine Situation suchen Weltbezug: subjektive Welt, objektive Welt, soziale Welt Geltungsanspruch: Wahrheit und Wirksamkeit, Richtigkeit (Übereinstimmung mit Norm), Wahrhaftigkeit

Als Handlungstypen werden unterschieden:

instrumentelles Handeln: nicht-soziale Handlungssituation; erfolgsorientiert

strategisches Handeln: soziale Handlungssituation; erfolgsorientiert

kommunikatives Handeln: soziale Handlungssituation; verständigungsorientiert

Kommunikatives Handeln ist umfassender, weil es auf Verständigung ausgerichtet ist, alle drei Weltbezüge aufweist (wobei der Bezug dabei reflexiv ist) und Zwecke auf andere Weise verfolgt. Es ist nicht ausschließlich am eigenen Erfolg orientiert, sondern neben den eigenen Zwecken auch an der dazu abgegebenen Zustimmung der Personen, mit denen Interaktion stattfindet.

Verhältnis von Lebenswelt und System

Gesellschaft ist durch eine Zweistufigkeit/ Doppelstruktur gekennzeichnet: Lebenswelt (von innen gesehen, Teilnehmerperspektive) und System (von außen gesehen, Beobachterperspektive eines Unbeteiligten)

Lebenswelt:

a) fraglos gegeben

b) jedem möglichen Dissens als Gemeinsamkeit vorausgehend, kann nicht umstritten sein, sondern höchstens zerfallen

c) hat unüberschreitbare Grenzen, Situationen wechseln, bildet einen grundsätzlich unerschöpflichen Zusammenhang

Lebenswelt ist der Bereich kommunikativen Handelns, in dem die Beteiligten bei der Deutung ihrer Umwelt zusammenarbeiten, Geltungsansprüche kritisieren und bestätigen, ihren Dissens austragen und Einverständnis erzielen können und eigene Sinnperspektiven erzeugen.

Kommunikatives Handeln dient unter dem Gesichtspunkt der Verständigung der Überlieferung und Erneuerung kulturellen Wissens, unter den Gesichtspunkt der Handlungskoordinierung der sozialen Integration und Herstellung von Solidarität, unter dem Gesichtspunkt der Sozialisation der Ausbildung personaler Identitäten. Lebenswelt besteht im Großen gesehen aus Privatsphäre und Öffentlichkeit. Steuerungsmittel sind Einfluß und Ansehen.

System: Die Welt wird als soziales System in einer Umwelt betrachtet. Gesellschaftliche Teilbereiche entstehen und bringen sich wieder hervor, indem Handlungsfolgen in einer Zweck-Mittel-Rationalität koordiniert werden, normfrei und nicht an den Orientierungen der Personen ansetzend.

Das System von Handlungen besteht im Großen gesehen aus den Untersystemen Wirtschaft und Staat. Steuerungsmittel sind Geld und Macht. Von ihnen geformt entwickeln Systeme Eigengesetzlichkeiten.

Die geschichtliche Entwicklung der Gesellschaft ist ein Auseinandertreten von Lebenswert und System in der Moderne, eine Entkoppelung.

Bei der Modernisierung entstehen einerseits Freiräume für Rationalität und Ideale wie Autonomie, Wissenschaftlichkeit, individuelle Freiheit und Universalismus machen den Gehalt von Emanzipation eines Projektes der Moderne aus, andererseits ergibt sich die Gefahr eines Eingreifens von Systemmechanismen mit schlechten Folgen, weil die Funktionsweise der Strukturen der Lebenswelt eingeschränkt und beeinträchtigt werden. Imperative (Gebote) verselbständigter Untersysteme dringen von außen ein (als ökonomische und bürokratische Rationalität) und erzwingen Angleichung, sind nicht auf einen Konsens ausgerichtet. Dies wird als Koloniasierung der Lebenswelt bezeichnet. In manchen Bereichen sind die Steuerungsmittel der Untersysteme sinnvoll, aber es gibt Bereiche (z. B. Familie und Schule), in denen eine solche Steuerung (durch Geld und Macht) dem Wesen der sozialen Beziehungen in den gesteuerten Bereichen nicht entspricht.

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Albrecht  28.05.2014, 12:26

Paradigmenwechsel

Ein Paradigma ist ein grundlegendes Denkmuster.

Habermas teilt die Geschichte der Philosophie als Abfolge von drei Stadien ein:

1) Paradigma der Ontologie: Frage nach der Wirklichkeit/dem Sein/Seiendem bzw. dem Wesen einer Sache

2) Paradigma der Bewußtseinsphilosophie (bzw. Subjektphilosophie) : Frage nach grundlegenden Strukturen der Erkenntnis, bei der Frage nach dem Sein/Seiendem wird von der Seite des diese Wirklichkeit erkennenden Subjekts angesetzt

3) Paradigma der Sprachphilosophie: Gehalt des Wissens wird in der Sprache angesiedelt, nicht mehr im Bewußtsein erkennender Subjekte; es geht darum, was verstanden werden kann

Habermas hat einen Wechsel vom Paradigma der Bewußtseinsphilosophie zum Paradigma der Sprachphilosophie vollzogen. Im Mittelpunkt steht nicht mehr das Subjekt (mitsamt seinem Verhältnis zum Objekt), sondern die Intersubjektivität. Bei der Kommunikation gibt es intersubjektiv geteilte Hintergrundannahmen.

Foucault-Habermas Debatte

Für eine Präsentation mit 10 Minuten Gesamtzeit ist dies wenig geeignet.

Themen der Auseinandersetzung: Verständnis und Beurteilung von Macht, Wahrheit, Humanismus, Aufklärung und Projekt der Moderne

Jürgen Habermas hat sich Michel Foucault (und andere französische Denker) gewendet und ihn als Vertreter einer Denkströmung mit Theorien einer Nachaufklärung und Postmoderne eingestuft, die sich modernistisch geben, aber tatsächlich Gegner der Moderne sind und deren Einstellung eine bestimmte Art von Konservativismus. Als Ergebnis der Erörterungen und des neuen Kennenlernens von Texten hat Habermas seine Einschätzung in dieser Hinsicht allerdings später abgeändert und hier einen Streitpunkt für weggefallen gehalten.

Habermas bejaht Humanismus, Aufklärung und Projekt der Moderne, während Foucault sie eher als zwiespältig beurteilt (z. B. als Selbstermächtigung, die ausschließt, was nicht in allgemeine Prinzipien hineinpaßt). Es gibt nach Habermas eine Universalität von Geltungsansprüchen, unhintergehbare Strukturen der Verständigung. Habermas hat Herrschaftsfreiheit als Ideal für einen Diskurs.

Foucault vertritt in seiner Diskursanalyse keine universalen Prinzipien. Wissensformen lösen sich in der geschichtlichen Entwicklung ab, aber ohne eine Eigenlogik. Foucault hält alles für Erscheinungen von Macht. Wissen werde von Machtverhältnissen produziert. Habermas hält dem entgegen, wenn Foucault auch Kritik an Macht als eine Form von Macht auffasse, sei der Kritik die Grundlage entzogen, es fehle ein Bezug, von dem aus überhaupt argumentiert werden könne.

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Albrecht  28.05.2014, 12:27

Neben Texten von Habermas selbst gibt es einführende Darstellungen (anscheinend aber nicht in jeder Bibliothek), z. B.:

Jens Greve, Jürgen Habermas : eine Einführung. Konstanz : UVK Verlags-Gesellschaft, 2009 (UTB : Soziologie, Philosophie ; 3227). ISBN 978-3-8252-3227-6

Detlef Horster, Jürgen Habermas zur Einführung. 3., überarbeitete Auflage. Hamburg : Junius, 2006 (Zur Einführung ; 249). ISBN 978-3-88506-630-9

Alessandro Pinzani, Jürgen Habermas. Originalausgabe. München : Beck, 2007 (Beck'sche Reihe : Denker ; 576). ISBN 978-3-406-54764-5

Walter Reese-Schäfer, Jürgen Habermas. Frankfurt/Main ; New York : Campus-Verlag, 2001. ISBN 3-593-36833-1

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