Japanisch: Ikigai für Europa?
Ikigai 生き甲斐
Mit Ikigai erreicht uns die nächste Anleitung zum Glücklichsein aus Japan.
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Was verbirgt sich hinter diesem leicht eckigen, aber alles ins Reine bringenden Wort? «Iki» steht für Leben, «gai» für Wert. Zusammen ergibt Ikigai «wofür es sich zu leben lohnt», «wofür du morgens aufstehst», kurz: den Sinn des Lebens.
Aussagen von: https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag-magazin/warum-ikigai-die-philosophie-aus-japan-gerade-so-angesagt-ist-ld.1771693
für mich und meine kurzen Erfahrungen in Japan ein sehr interessanter Artikel.
Für Euch? Und was sind daran für Euch die Grenzen, die Adaptionen für Europa, die Potenziale ...
3 Antworten
Für mich? Klassische Japan-Mystifizierung, bei der man jedem kleinen Ding einen japanischen Begriff aufdrückt und so tut, als sei es etwas exotisches, einzigartiges und nie zuvor dagewesenes. Da gibt es nichts zu adaptieren oder sonstiges. Die Frage um den "Sinn des Lebens" gibt es in Europa genauso seit Jahrhunderten und tausenden. Hat halt nur kein poppiges Wort gehabt, mit dem man etwas gut vermarkten kann.
Erklärt der Artikel ja auch: Alles mit japanischen Worten eignet man sich im Westen kritiklos an, ohne es zu hinterfragen. Und dass vieles davon eine uralte japanische Weisheit oder sonstwas sei, stimmt auch einfach nicht.
Ich dachte mir auch schon manchmal, dass um Ikigai ein bisschen zu viel Heckmeck betrieben wird, und die Leute, die nämlich ü100 sind, wahrscheinlich eher nicht zig Bücher mit kryptischen Schaubildern darüber gelesen haben, sondern das Mindset einfach aus einer Mischung aus Anerziehung durch Eltern und Gesellschaft, Reflektion und dann aber auch schlicht Schicksalsergebenheit entwickelt haben. Hier liegt denke ich auch ein wesentlicher Unterschied zu den Leuten, die das entweder in Japan oder auch „im Westen“ nicht schaffen, weil diese dazu neigen, ihre eigene Rolle in der Welt zu wichtig zu nehmen und sich für alles mögliche verantwortlich zu fühlen. Bei Deutschen kann man das leider sehr gut beobachten, wenn sich die Leute über Dinge, die sie selbst gar nicht betreffen, tierisch aufregen. Man hat die Klimakleber bisher nur im Fernseher gesehen, man kennt nicht einen einzigen Uiguren, ist dem Islam gegenüber eher kritisch eingestellt und war auch noch nie in China, man selbst hat gar keine Kinder, die von Unterrichtsausfall betroffen sein könnten, aber booaaah hat man zu allem eine starke und laute Meinung! Im Vorkriegs-Japan auf Okinawa geboren worden und einerseits von Anfang an die eigene Perspektivlosigkeit und Irrelevanz vor Augen zu haben, andererseits im Krieg die eine oder andere Nahtoderfahrung gemacht zu haben, erleichtert es einem glaube ich paradoxerweise wirklich, sich einfach über die sehr kleinen Dinge, die aber dafür um einen herum sind, zu freuen und darin Lebensmotivation zu finden.
Und die Japan-Besessenheit, die der Artikel behandelt, ist tatsächlich noch interessanter als Ikigai ;) Tja, was soll ich sagen, ich bin da auch definitiv schuldig. Japan hat tatsächlich das Rad nicht so häufig neu erfunden, wie wir manchmal meinen; exotisch bedeutet nicht automatisch gut; und ja, „so toll ist das alles eigentlich gar nicht“. Naja, ich vergebe mir meine Schuld ;) und immerhin, jeder der mal in Japan war wird mir zustimmen, dass die Andersartigkeit Japans einem eben doch ständig und deutlich ins Auge springt, und man versucht sich das natürlich zu erklären und verhaspelt sich dabei vielleicht hin und wieder ein bisschen in Dingen, die eigentlich gar nicht so anders sind als sonst wo auf der Welt.
Ich Fass mich kurz:
Der Artikel ist interessant und gut gestaltet und ist lesenswert. Jedoch neigt er wie viele andere Artikel/Bücher dazu zu „übertreiben“, indem er versucht jede noch so kleine Bedeutung heraus zu holen die im Altag eigentlich nichts besonderes ist.