Ist Teilzeit arbeiten als Lehrer weniger stressig?

1 Antwort

Moin,

ich arbeite zwar nicht an einer Grundschule, sondern an einem Gymnasium, aber ich kann dir vielleicht trotzdem mit ein paar Informationen dienlich sein, weil ich auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann...

Zu Frage 1:
Als ich an meiner jetzigen Schule in Hamburg anfing (das ist schon etwas länger her), wohnte ich ursprünglich noch in Berlin.

Wegen eines (unsäglichen Kommunikations-)Fehlers in der Hamburger Schulbehörde erhielt ich meinen Arbeitsvertrag zu spät zugeschickt, so dass ich meinen Schuldienst antrat, ohne eine Bleibe in der neuen Stadt zu haben (ohne Arbeitspapiere oder Verdienstnachweis keine erfolgreiche Wohnungssuche...).

Darum musste ich im ersten halben Jahr jeden Arbeitstag zwischen Berlin und Hamburg pendeln (zweimal dreieinhalb Stunden von Haustür zu Haustür pro Tag).

Darum war ich froh, dass die Stelle damals nur eine 50%-Teilzeitstelle war. Die damalige Stundenplanbauerin schaffte es, dass ich nur einmal um 8:00 Uhr in Hamburg sein musste, sonst immer erst zur 3. Stunde.

Das ist natürlich ein Sonderfall. Aber ein sehr typischer Grund für Teilzeit ist, dass man Zeit für seine eigene Familie haben will oder braucht.

Ein anderer Grund, der auch bei mir eine Rolle spielte, ist, dass ich als (damaliger) Berufsanfänger nicht gleich einen „Praxisschock” erleben wollte (von „gemütlichen” sieben Schulstunden im Referendariat auf 26 Schulstunden bei einer Vollzeitstelle im unsäglichen Arbeitszeitmodell in Hamburg).

Zu 2)
Ich hatte damals eine 50%-Stelle. Das waren - wenn ich mich recht erinnere - 12 bis 14 Stunden Unterrichtszeit. Aber natürlich war meine tatsächliche Wochenarbeitszeit viiieeel länger, denn ich war Berufsanfänger und hatte von Unterrichtskonzepten für ganze Lernstoffeinheiten in den verschiedenen Klassenstufen bestenfalls eine theoretische Vorstellung.
Im Grunde hangelte ich mich in beiden Fächern (Biologie und Chemie) von Stunde zu Stunde und war meinen Schülerinnen und Schülern die berühmt-berüchtigte eine Seite im Schulbuch voraus.

Die Teilzeit dauerte insgesamt zwei Jahre. Dann hatte ich genügend Erfahrung gesammelt, um zu wissen, wie man Einheiten plant und die dafür nötigen Methoden oder Arbeitsbögen bereitstehen hat.

In dieser Zeit probierte ich viel aus. Ich war im ersten Jahr noch alleinstehend. Im zweiten Jahr lernte ich dann meine jetzige Frau kennen. Sie sagte einmal zu mir: „Ich dachte immer, dass Lehrer nur vormittags arbeiten. Durch dich weiß ich jetzt, wie viel ihr wirklich zu tun habt!”

Damals (in meinen Anfängen) bereitete ich nicht nur Unterricht gewissenhaft vor, sondern auch und vor allem nach. Ich schätze, dass ich eine 50-60-Stunden-Woche hatte (davon wie gesagt etwa 14 Unterrichtsstunden).

Zu 3)
Diese Frage erübrigt sich eigentlich, wenn du die Antwort auf Frage 2 gelesen hast. Aber ich will dir dennoch eine weitere Erfahrung mitteilen: heute würde ich nicht mehr auf Teilzeit gehen. Das hat verschiedene Gründe. Einer ist, dass man zwar weniger Unterrichtsstunden hat, aber alles Organisatorische (Konferenzen...) hat man wie alle anderen auch. Ich hatte immer das Gefühl, dass man im Grunde ähnlich viel arbeitet und einen ähnlichen Stress hat wie 100%-arbeitende Kolleginnen und Kollegen, nur dass man deutlich schlechter bezahlt wird.
Ein weiterer Grund ist (heute), dass meine Routinen so angestiegen sind, dass ich mittlerweile weiß, wie ich was in welchem Moment unterrichten muss, um möglichst erfolgreich zu sein. Ich habe für alle Klassen und alle Themen sinnvolle Konzepte (Arbeitsblätter mit Musterlösungen, ein Fundus von Klassenarbeitsfragen usw.), dass ich heute nur noch punktuell mein Vorgehen anpasse oder verändere, wenn ich Neues ausprobieren will oder merke, dass mein Material veraltet ist.
Heute ist mein Lehrerdasein tatsächlich entspannter. Ich ernte sozusagen jetzt die Früchte der einstigen harten Arbeit. Insofern: Kopf hoch, es wird (später) besser...

Zu 4)
Wenn du dich überfordert fühlst, dann auf jeden Fall! Teilzeit kann dir helfen, wenigstens den Unterrichtsstress zu verkleinern (weniger Klassen, weniger Unterricht, weniger Vorbereitung). Ich fand es damals gut, dass ich als Berufseinsteiger erst einmal in der Schule ankommen durfte und nicht gleich das volle Programm fahren musste (was im Pendelverkehr auch wirklich schwierig geworden wäre).
Das heißt nicht, dass du effektiv weniger zu tun hast. Du schaffst dir in der Anfangszeit nämlich den Fundus, auf dem du dich später aufgrund der Routine etwas ausruhen kannst.
Dieses Sammeln von Erfahrungen kostet Zeit. Und deshalb finde ich es gut, wenn du anfangs in Teilzeit gehst (vor allem, wenn du dich überfordert fühlst).

Wenn du jung bist, hast du auch noch in zwei, drei Jahren genug Zeit, um deine Pensions- oder Rentenansprüche aufzupeppeln, wenn du dann in eine 100%-Stelle wechselst.

Kopf hoch, du schaffst das...

LG von der Waterkant