Ist dieses vorgebliche Zitat von Friedrich Torberg authentisch?
Über den jüdischen Schriftsteller Friedrich Torberg, der von Repression durch die Nationalsozialisten betroffen und gleichzeitig überzeugter Antikommunist war, heißt es in einem Artikel der "Wiener Zeitung" vom 16. September 2018:
Torbergs politische Gesinnung war eher links angesiedelt, genauer gesagt, im sozialistischen oder sozialdemokratischen Segment des linken Spektrums. Mit den Kommunisten wollte er nichts zu tun haben. Dennoch machten sie ihm genug zu schaffen. Und er ihnen. Die Kommunisten waren für ihn, gleich den Nationalsozialisten, Todfeinde der Demokratie. Und als solche behandelte er sie. „Ich halte nichts davon“, schrieb er einmal seinem Freund Robert Neumann, „die Nazi so zu bekämpfen, dass sich die Kommunisten darüber freuen (und vice versa). Man muss sich’s immer gleichzeitig mit beiden Spielarten der totalitären Pest verderben, sonst taugt die ganze Kämpfer-Attitüde nichts.“
Das ist allerdings die einzige hochwertige Quelle, die ich für das Zitat im Internet finden kann. Der Rest sind Leserkommentare oder Blog-Beiträge in denen die Aussage zitiert wird. Meint Ihr, dass diese Quellenlage reicht, um Torberg das Zitat eindeutig zuschreiben zu können?
9 Stimmen
4 Antworten
Reicht so nicht. Dass die Wiener Zeitung zumindest mal ein seriöses Blatt ist lässt vermuten dass das Zitat tatsächlich existiert, aber mehr auch nicht.
Möglicherweise lässt sich das eigentliche Zitat aber hier finden, das wäre zumindest ein Suchansatz: https://www.oapen.org/search?identifier=453484
Das Zitat wird auch hier erwähnt, ich mag mich aber nicht registrieren um den Volltext runterzuladen und zu prüfen, woher die es haben: https://www.academia.edu/35994555/Diskurse_des_Kalten_Krieges_-_Open_Access_Fassung.pdf
Abgesehen davon gibt es etliche Bände mit Briefwechseln Torbergs, was die Suche natürlich nicht vereinfacht ;-) Z.B. https://www.zvab.com/buch-suchen/titel/in-diesem-sinne-briefe/autor/torberg/
Bei einer seriösen Zeitung kann vermutet werden, ein Zitat nicht willkürlich zu erfinden und nicht ohne Grund etwas als Äußerung einer Person zu zitieren.
Zu einem scharfen Antikommunismus ist die Aussage inhaltlich passend (in der Zeit des ‘Kalten Krieges’ war Friedrich Torberg anscheinend stark antikommunistisch einschließlich der Forderung, andere sollten sich deutlich vom Kommunismus abgrenzen, mitsamt heftigem Vorgehen bei Nichtbefolgung und vielleicht weniger »links« als in gewissem Sinn »konservativ«).
Für eine eindeutige Zuschreibung des Zitates als echte Aussage von Friedrich Torberg ist dies allein aber nicht ausreichend.
Für ein wissenschaftliches Vorgehen ist es erforderlich, eine Datierung anzugeben, wann dies geschrieben worden ist, und als Beleg auf eine Quellenedition bzw. das Originaldokument mit seinem Aufbewahrungsort hinzuweisen.
Offenbar gibt es eine Datierung und einen solchen Beleg. Dann kann das Zitat als authentisch gelten, wenn eine Überprüfung dies als richtig bestätigt.
Das Zitat steht demnach in einem Brief von Friedrich Torberg an Robert Neumann vom 17. Februar 1961. Um sicherzugehen, ist es nötig, in einer Quellenedition nachzusehen und soweit möglich den Originalbrief zu lesen. Den Brief bewahrt die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) in Wien auf.
David Axmann, der Verfasser des Zeitungsartikels in der „Wiener Zeitung“ vom 16. September 2008, ist Nachlaßverwalter von Friedrich Torberg gewesen und hat Schriften, Briefe und Dokumente von und zu ihm herausgegeben. Anscheinend ist er wohlwollend gegenüber Friedrich Torberg eingestellt und gut über ihn informiert gewesen.
In dem Artikel zieht er heran, was er in einer Biogaphie geschrieben hat, wobei dort zu dem Briefzitat in einer Anmerkung ein Beleg angegeben ist.
David Axmann, Friedrich Torberg : die Biografie ; mit vollständigem Werkverzeichnis. München : LangenMüller, 2008, S. 9 – 10:
„Torbergs Gesinnung war eher links angesiedelt, genauer gesagt im sozialistischen oder sozialdemokratischen Segment des linken Spektrums. Mit den Kommunisten wollte er nichts zu tun haben. Dennoch machten sie ihm zu schaffen. Und er ihnen. Die Kommunisten waren für ihn, gleich den Nationalsozialisten, Todfeinde der Demokratie. Und als solche behandelte er sie. »Ich halte nichts davon«, schrieb er einmal seinem Freund Robert Neumann, »die Nazi so zu bekämpfen, daß sich die Kommunisten darüber freuen (und vice versa). Man muß sich's immer gleichzeitig mit beiden Spielarten der totalitären Pest verderben, sonst taugt die ganze Kämpfer-Attitüde nichts.«
Von dieser Kämpfer-Attitüde, mit welcher er je nach Anlaß ironisch, lakonisch oder pathetisch ins politische Gefecht zog, war Torbergs publizistisches Wirken - besonders in seiner FORVM-Zeit - geprägt. Das trug ihm unverbrüchliche, bis heute währende Gegnerschaften ein.“
Der Freund Robert Neumann war kein Befürworter des Kommunismus, aber auch nicht scharf antikommunistisch.
Er wollte Auszüge aus seiner Broschüre „Ausflüchte unseres Gewissens : Dokumente zu Hitlers "Endlösung der Judenfrage" mit Kommentar und Bilanz der politischen Situation“, die er Friedrich Torberg zugesandt hatte, in der kommunistischen österreichischen Zeitschrift „Tagebuch“ erscheinen lassen. Friedrich Torberg vertrat den Standpunkt, er dürfe dies nicht machen. Robert Neumann antwortete in einem Brief vom 4. März 1961 unter anderem mit der Frage, ob er der Bolschewisierung der Welt Vorschub leiste, wenn er wenigstens einigen Österreichern gewisse Informationen vermittle, die er lieber den zahlreicheren Lesern der Kronenzeitung vermittelt hätte, die dies aber nicht drucke.
Hans Wagener, Robert Neumann : Biographie. Paderborn ; München : Fink, 2007 S. 226:
„Zur permanenten Entfremdung zwischen Neumann und Friedrich Torberg, mit dem er seit Ende der zwanziger Jahre befreundet war, wäre es beinahe auch 1961 durch einen brieflichen Schlagabtausch gekommen. Torberg war vielleicht der einzige Mann, mit dem ihm eine lange, herzliche Freundschaft verband, „irrational“, meine Neumann noch 1964, „ […] und da wir einander wechselseitig für Idioten halten, wo es um Politik geht, ist diese Freundschaft für uns beide eine komische Jugend-Reliquie zwischen Sentimentalität und Ironie. (VDH, 130) In Ein leichtes Leben spottet er: „Ich fürchte, er verspeist zum Frühstück einen Kommunisten wie andere ein weiches Ei. (ElL, 425) Aber trotz dieser Differenz in ihren politischen Überzeugungen war Torberg einer der wenigen Freunde, die er, trotz allem, ein Leben lang behielt. Das war wichtig, denn wie er im Journal seinen Sohn schreiben läßt: „Mein lieber Vater war nie gut in Freundschaften mit Männern.“
Ausgerechnet Torberg schrieb ihm am 17. Februar 1961, er halte nichts von einem Antinazismus, der nicht unzweifelhaft auch als Antikommunismus spürbar werde. Er halte nichts davon, die Nazis so zu bekämpfen, daß sich die Kommunisten darüber freuen (und vice versa). Man müsse sich's immer gleichzeitig mit beiden Spielarten der totalitären Pest verderben, sonst tauge die ganze Kämpfer-Attitüde nichts. Neumann versuchte seiner Antwort zunächst mit einem spöttischen Ton ein leichtes Gewicht zu geben, indem er Torberg struwwelpeterhaft mit „Lieber Friederich (,ein arger Wüterich')" anredete, dann in einer Parenthese aber schärfer wurde:
(Die Ansicht des Chefredakteurs des „FORUM" [Torberg], daß man die Nazis nur angreifen darf, wenn man österreichisch-paritätischerweise gleichzeitig auch die Kommunisten angreift, teile ich deshalb nicht, weil diese flinke Gleichsetzung der stur-konsequenten Exekutionsbeamten der Ideen der Hölle mit den ebenso stur-konsequenten Exekutionsbeamten des Verrats an einer der großen Ideen der Menschheit eine Simplifikation bedeuten, die nicht nur philosophisch, sondern auch politisch falsch ist: denn derlei Ineinentopfwerfen öffnet gerade jene emotionelle Hintertür zur „Ausflucht des Gewissens", zum Esnichtgewesensein, die ich verrammeln will.)“
VDH = Robert Neumann, Vielleicht das Heitere : Tagebuch aus einem andern Jahr. München ; Wien ; Basel : Desch, 1968
ElL = Robert Neumann, Ein leichtes Leben : Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. München ; Wien ; Basel : Desch, 1963
S. 277 Anm. 173 und 174 verweist als Beleg auf:
Friedrich Torberg, Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Band 12: In diesem Sinne … : Briefe an Freunde und Zeitgenossen. Mit einem Vorwort von Hans Weigel. Herausgegeben von David Axmann, Marietta Torberg und Hans Weigel. München ; Wien : LangenMüller, 1981. ISBN 3-7844-1900-3 (darin S. 266 die in indirekter Rede wiedergegebene Briefstelle im Brief von Friedrich Torberg an Robert Neumann vom 17. Februar 1961, S. 267 das Zitat aus dem Brief von Robert Neumann an Friedrich Torberg vom 4. März 1961)
Ein Auszug dem Brief von Robert Neumann an Friedrich Torberg vom 4. März 1961 steht in:
Stadler, Franz (Hrsg.), Robert Neumann. Mit eigener Feder. Aufsätze, Briefe, Nachlassmaterialien. Innsbruck ; Wien ; Bozen : StudienVerlag, 2013, S. 737
https://services.e-book.fwf.ac.at/api/object/o:404/diss/Content/get
S. 738 – 739 enthält noch mehr vom Briefwechsel.
Friedrich Torberg hat das Broschürenmanuskript zuückgeschickt und nicht in der Zeitschrift „FORVM. Österreichische Monatsblätter für kulturelle Freiheit“ drucken lassen. Er erklärte (Brief von Friedrich Torberg an Robert Neumann vom 6. März 1961), „FORVM“ sei eine scharf antitotalitäre Zeitschrift und könne seine Mitarbeiter weder mit nazistischen noch mit kommunistischen Publikationen teilen. Eine Aufkündigung der Freundschaft mit Robert Neumann hat Friedrich Torberg allerdings in einem Brief 14. März 1961 zurückgezogen.
Nein. Das reicht nach wissenschaftlichen Masstäben selbstverständlich nicht.
Vollständig zitierbar wäre es, wenn er es nicht "einmal" geschrieben hätte, sondern konkrete Angaben, wann und wo, etwa: "in einem Brief am 8. September 1929, der im Archiv der Gemeinde Oberunterötting dokumentiert ist".
Die Angabe "einmal" verdeutlicht eher, dass der Zitator es selbst eher "irgendwo" aufgeschnappt hat.
Dass es für dich eine "hochwertige Quelle" ist, macht wiederum deutlich, dass die Vermutungen anderer Antworter über Deine Absichten gar nicht so abwegig sind :)
Zeitungen zitieren häufig so. Zeitungsleser wollen keine Quellenangaben. Das bläht den Text also nur auf, ohne dass es den Wert für den Leser steigert.
Zeitungszitate sind darum in Wissenschaften eben auch kaum brauchbar.
Für politische Auseinandersetzungen ist aber brauchbar, was einem in den Kram passt :)
Der Autor des WZ-Nachrufs, David Axmann, war selbst Nachlassverwalter Torbergs, also nicht nur irgendein Journalist. Das schließt zwar nicht aus dass er das erfunden oder falsch erinnert hat, macht ihn aber zu einer einigermaßen seriösen Quelle.
Das mag sein. Wäre aber nun Insiderwissen.
Aber letztlich kommst du ja zum selben Schluss.
Im Grund ja, aber es ist schon ein Unterschied zwischen "irgendein Typ hat irgendwas im Internet gesagt" und "Nachlassverwalter Friedrich Torbergs gibt in einer seriösen Tageszeitung Zitat wieder". Sekundärzitate sind nie ideal, aber manchmal doch verwertbar.
Dann muss man aber die Zusatzinformation: "Nachlassverwalter Friedrich Torbergs" oder "Weggefährte Friedrich Torbergs für 20 Jahre" oder dergleichen auch haben!
Etwa in der Art kommt die islamische Überlieferung der Hadithe zustande.
Aber der Threadersteller gibt die ja nicht an. Und auf seine Frage "Meint Ihr, dass diese Quellenlage reicht, um Torberg das Zitat eindeutig zuschreiben zu können?" kann ich daher nur das antworten, was ich geantwortet habe.
torbergs Briefe sind veröffentlicht
vielleicht findest du das zitat
Ein Artikel der ältesten Zeitung Österreichs ist für mich in der Tat eine hochwertige Quelle. Die Frage ist eben bloß, ob eine einzige Quelle ausreicht. Denn auch bei einer hochwertigen Zeitung werden mitunter Falschinformationen gedruckt.