Ist das Abitur wirklich leichter geworden?
Immer wieder wird behauptet, dass das Abitur einem nur so hinterhergeschmissen werde oder es immer leichter werden würde. Dieser Schluss resultiert aus der steigenden Anzahl an Abiturienten.
Aber ist das Abitur objektiv wirklich leichter als noch vor einigen Jahren?
Oder hat sich vielleicht auch einfach nur die Didaktik und Pädagogik verbessert? Schüler haben neben dem Frontalunterricht auch noch die Möglichkeit sich das Wissen mittels Medien beizubringen, YouTube-Tutorials sind hier ein gutes Beispiel. Ich selbst habe mich standardmäßig damit auf Prüfungen vorbereitet - und mache es sogar heute noch im Studium so.
Was denkt ihr?
7 Antworten
Meine ehemalige Französischlehrerin sagte mal zu mir, dass, wenn man unseren damaligen Fehlerquotienten auf heutige Arbeiten anwendete, alle eine Fünf (oder schlechter) bekämen, so sehr ist das Niveau abgesenkt worden.
In Mathe ist nach dem, was ich sehe, die Thematik gleich geblieben. Was aber nichts zum Schwierigkeitsgrad der Aufgaben in Prüfungen aussagt.
Immer wieder lese ich hier Fragen von Leuten, wo ich mich fragen muss, wie die überhaupt die Zulassung zum Abitur bekommen konnten.
Und solche Leute kamen bei uns damals einfach nicht so weit. Da ging nach der 10 fast zwei Drittel der gesamten Stufe ab.
Wenn ich mein Abi betrachte und im Verhältnis dazu das meiner Tochter, dann ist das ABI definitiv leichter geworden. Alleine die medialen Möglichkeiten machen das Erlernen einfacher. Wir saßen zu meiner Zeit zusätzlich noch stundenlang in Bibliotheken - heute nennt man das Google. Videos bei YouTube gab es auch nicht, das wurde durch zeitintensives Üben ersetzt.
Als weiteres Indiz erkenne ich die mangelnden Grundfähigkeiten in logischen Fächern wie Mathe und Informatik (!!!). Als Dozent für EDV an einer FH musste ich über Jahre mit Erschrecken feststellen, dass nur ein geringer Bruchteil PC-Kenntnisse hatte - von Programmieren ganz zu schweigen. Insofern war die Basis für logisches Denken und Bildung kausaler Ketten im Laufe der Jahre abhanden gekommen.
Es gibt keine wirklich aussagekräftige Studie zu diesem sehr komplexen Thema.
Allerdings gibt es relative konkrete Beobachtungen, die den Schluss nahelegen, dass das Abitur in bestimmten Bereichen "einfacher" geworden ist. Insbesondere die Bereiche, die etwas höhere Anforderungen an das kognitive Vermögen haben (generell die MINT-Fächer) sind PISA-gerecht simplifiziert worden und das erlaubt eben auch wesentlich mehr Menschen das Abitur zu erlangen.
Andererseits sind auch die didaktischen Konzepte völlig anders und kaum mit früher zu vergleichen. D.h. es gibt wesentlich mehr Hilfsmittel und auszuwertende Unterlagen bei Prüfungen und oft scheint es als wäre eine hohe Lesekompetenz alleine ausreichend; die Aufgabenstellungen sind dem auch angepasst und die Bewertungsskala scheint sich nach oben verschoben zu haben.
Auffällig ist auch die hohe Zahl von Studienabgängern mit guten Abschlüssen, aber mangelhafter Kompetenz. D.h. wir stellen in meiner Abteilung nach wie vor hervorragende junge Ingenieure und Naturwissenschaftler ein, aber der Anteil derer, die wir ablehnen weil sie nicht überzeugen können und oft als weniger kompetent erscheinen hat stark zugenommen.
Im akademischen Bereich, insbesondere den Ingenieurs- und Naturwissenschaften, ist die Abbrecherquote wesentlich höher als früher (und noch höher wenn man mitzählt was in andere Fachbereiche überwechselt, die als weniger anspruchsvoll gelten).
Auffallend ist auch, dass die Bewertungen von Diplom-, Master- & Doktorarbeiten immer besser werden, aber die Qualität oft zu sinken scheint (auch das sind nur persönliche Erfahrungen und was man so von den Lehrenden an den Hochschulen zugetragen bekommt - Studien kenne ich dazu auch keine).
Aus meiner ganz persönlichen Erfahrungen das Abitur meiner Kinder betreffend, bin ich mir relativ sicher, dass das Abi heute insgesamt so umgestrickt wurde, dass ein wesentlich größeres Spektrum der IQ Skala es bestehen kann als früher. D.H. knapp die Hälfte der Klassenkameraden meiner Kinder wären vor 40 Jahren allenfalls auf der Realschule gelandet (ein relativ großer Teil hat dann auch nach dem eine Ausbildung gemacht, z.T. auch erst nachdem sie im Studium erfolglos waren)
Ich finde es war damals schon viel zu leicht.
Abi 2013, Sachsen.
Vor 1980 konnte man noch keine Fächer ablegen. Man schrieb auch in mindestens 10 Fächern eine Prüfung.
Von Leuten, die ihr Abitur noch vor 1980 gemacht hatten, hört man das eigentlich dauernd, dass das Abitur leichter geworden wäre. Und ich kann mir vorstellen, dass daran auch wirklich etwas dran ist.
Ob das Abitur aber jeweils nach 2000, 2010 und 2020 noch leichter geworden wäre, kann ich zwar nicht beurteilen, es würde mich aber nicht groß wundern.