Honorar: Was sind verlagsübliche Konditionen für musikwissenschaftliche Editionen & Transkriptionen?

1 Antwort

Hallo,

Dein Problem ist vielschichtig und nicht in Kürze zu beantworten. Rechtlich stellt sich in erster Linie die Frage, ob Du einen richtigen Werkvertrag unterzeichnet hast und unter welchen Konditionen eine Auszahlung stattzufinden hat. Diese Konditionen sind im Falle der Lieferung der vereinbarten Werkes durch Dich für das Institut bindend. Sollte es daher eine vertragliche Vereinbarung gegeben haben, gemäß welcher eine von Dir angegebene Stundenzahl (Vertrauensbasis!) die Berechnungsgrundlage für das auszuzahlende Honorar ist, kannst Du diesen Modus auch einfordern. Du solltest mit der Rechtsabteilung der Universität in Verbindung treten.
Und falls Deine Auftraggeber erklären sollten, dass Du die in Auftrag gegebene Werkleistung beispielsweise zu 70% erbracht hättest, dann müssten sie auch zumindest 70% der Summe, zu deren Forderung Du laut Vereinbarung ermächtigt wurdest, auch bezahlen. Dies dürfte eine juristisch gangbare Lösung sein.

Tatsache ist und bleibt, dass Dein Institut, das Dich mit der Aufgabe einer druckreifen kritischen Edition beauftragt hat, mehrere schwerwiegende Fehler begangen hat: Offenbar warst Du -- mit Verlaub gesagt -- im professionellen Sinn mit der Dir gestellten Aufgabe überfordert: Das soll nicht heißen, dass Du die Aufgabe nicht gelöst hast, aber Du hast offenbar überdurchschnittlich viel Zeit dafür verwendet und hast anscheinend auch nicht die eigentlich dafür erforderliche Sorgfalt aufgebracht, bzw. aufzubringen vermocht. Das klingt jetzt sehr viel härter als ich es tatsächlich meine und richtet sich nicht gegen Dich oder gegen Deine Kompetenz. Bitte verstehe mich nicht falsch: Ich bin überzeugt, dass Du getan hast, was Du konntest. Die peinliche Genauigkeit aber, die es zur Erstellung einer druckfertigen wissenschaftlich einwandfreien Edition braucht, die hat man nicht einfach so, sondern man lernt sie sich erst durch jahrelange Arbeit und Übung mühevoll an. Dies weiß im Grunde jeder, der sich schon einmal selbst die Finger mit einer kritischen Edition schmutzig gemacht hat. Und man weiß auch, dass die Korrekturarbeit nach Abgabe einer erstellten Fahne -- völlig gleich, wie erfahren der- oder diejenige ist, die den Notensatz und den kritischen Apparat macht -- ganz erheblich ist. Der Unterschied zwischen einem unerfahrenen und einem routinierten Editor liegt in der Genauigkeit des Blickes und in der darauf folgenden Fehlerzahl: Als Studierender konntest Du gar nicht wissen können, auf welche Vielzahl von Dingen bei der Erarbeitung einer kritischen Edition in der Praxis überhaupt zu schauen ist. Daher erklären sich auch die vielen für Dich vielleicht unsichtbaren Fehler.

Dass Deine Auftraggeber aber nicht in der Lage waren, den Aufwand der Edition für einen studentischen Werkvertragsnehmer korrekt einzuschätzen, lässt mich vermuten, dass sie selbst nicht besonders kompetent in der Praxis wirklicher Editionsarbeit sind. Einem nicht routinierten Studierenden die gesamte Arbeit einer Edition zu übertragen ist nicht riskant, sondern schlichtweg hirnrissig. Ein Chirurg lässt eine schwierige Herz- oder Gehirnoperation auch nicht einen Studierenden durchführen, erst recht nicht ohne Aufsicht. Man hätte Dich für einen vereinbarten Fixpreis pro Seite (oder pro Notensystem) die Noten sauber digital setzen lassen und Dir dann Anleitungen für Vorarbeiten zur Erstellung eines kritischen Apparates geben sollen (ich meine hier natürlich: Anleitungen im Hinblick auf jene Dinge, die man nicht im Grundkurs Editionstechnik lernt). Die abschließende Arbeit hätte letztlich ein Profi machen müssen. Und dann ist natürlich das Stichwort "Layout für den Druck" noch nicht ein einziges Mal gefallen... Kurzum: Dich mit der ganzen Aufgabe zu betrauen und Dich damit alleine (sozusagen: im Stich) zu lassen, ist für sich genommen schon mehr als grob fahrlässig.

An der Angabe Deiner Seitenzahl dürfte etwas nicht stimmen: 22 Seiten Partiturmanuskript und 85 Seiten Stimmen klingt -- ohne dass ich jetzt näheres über das konkrete Werk weiß -- irgendwie etwas sonderbar, gerade vor dem Hintergrund von 78 Seiten gesetzter Partitur, selbst wenn Du nur auf ein System pro Seite mit jeweils wenigen Takten kommen solltest. Aber da wären wir wieder beim Thema Layout...

Ungeachtet Eurer vertraglichen Vereinbarung sehe ich die Sache folgendermaßen: Dass Du als vermutlich nicht ein vollends geeigneter Kandidat für die Aufgabe bestimmt worden bist, ist ganz klar die Schuld Deiner Auftraggeber, die eigentlich sowohl Deine Fähigkeiten korrekt hätten einschätzen (denn sie kennen Deine Studienerfolge und -leistungen) und auch die hohen Anforderungen für eine kritische Edition in Theorie und Praxis genauestens hätten kennen müssen. Dennoch würde ich sagen, dass der Mehraufwand an Stunden, den Du aufgrund Deines Mangels an Routine hattest, nicht unbedingt vom Institut zu bezahlen wäre. Es war definitiv ein Fehler Deiner Auftraggeber, eine Vereinbarung auf Grundlage einer Bezahlung nach Arbeitsstunden zu treffen. Und es ist rechtlich sicher nicht in Ordnung, sich jetzt davor drücken zu wollen, nur weil die Stundenzahl zu hoch geworden ist, bloß weil man nicht in der Lage war, mit dem eigentlich Erwartbaren zu rechnen. Jedenfalls ist der Vorschlag, Deine Arbeit mit € 660,- abzutun, schlichtweg lächerlich und entspricht auch gerade deshalb nicht der Realität, weil Du nicht von 22 Seiten gut leserlicher Partitur als Stichvorlage ausgehen konntest.
Im Übrigen kann von einem "verlagsüblichen Honorar" von € 30,- als Standard insofern überhaupt nicht die Rede sein, weil sich ein solcher Standard nur für einen professionellen Notensetzer ergibt, der so viel macht, dass sich die komplizierte Notenfaktur eines Werks gegen eine einfache im Fall in einer anderen Edition aufhebt. Im Einzelfall aber muss man immer die Komplexität der Notenvorlage und den daraus folgenden Arbeitsaufwand individuell bemessen. Dies ist übrigens schon wieder so ein Punkt, den man eigentlich weiß, wenn man selbst schon Editionen gemacht hat...
Eine intensive Fehlerkorrektur nach Erstabgabe der Fahnen ist aber bei jeder Edition üblich und völlig normal. Und es ist ebenso üblich, die Korrektur von Fehlern gesondert zu bezahlen (Verlage arbeiten, wenn sie können, ohnehin nach dem Vielaugenprinzip und engagieren meist mehrere Leute, die sich gegenseitig korrigieren). Hier also würde ich unbedingt das Institut in der Pflicht sehen, Dich die Korrekturen nur gegen eine erneute Bezahlung auf Stundenbasis vornehmen zu lassen. Und hier würde das Institut auch entsprechend einen Mehrbetrag zu leisten haben, weil sie sich keinen routinierten Profi, sondern einen nicht hinreichend erfahrenen Studierenden für diese Aufgabe genommen haben. Dies schiene mir im Prinzip eine Lösung für einen gangbaren und fairen Kompromiss zu sein.

In konkreten Zahlen ausgedrückt würde ich es aber für nicht seriös halten, Dir einen genauen Betrag zu nennen, der für Deine geleistete Arbeit -- abzüglich des Mehraufwandes an Zeit, den Du gegenüber dem Aufwand hattest, den ein geübterer Editor gehabt hätte -- fair sein dürfte. Dazu müsste ich das Werk und seine Faktur, die Besetzung, Epoche und die Qualität der Vorlagen kennen. Wenn es ein achtsätziges Quartett als Einzelwerk ist, vermute ich, dass es eher etwas aus dem 19./20. Jh. ist und gehe daher von einer tendenziell komplizierten und dichten Notenfaktur (im Gegensatz beispielsweise zu einer frühklassischen Komposition) aus. Ich könnte mir daher vorstellen, dass ein realistischer Betrag zwischen € 1400,- und € 2200,- liegen könnte.

Viel Glück und lieben Gruß!