Gedichtsanalyse zum Gedicht „Einmal nahm ich“ von Rainer Maria Rilke?

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In dem Gedicht geht um das Nichthalten-Können des Schönen. Wir werden so manches Mal innerlich ergriffen von dem Wunderbaren, dem Zarten, dem Hauch des Ewigen, wollen es wie ein schönes Gesicht in Händen halten, aber wir greifen nur das Ding, das Schöne selbst scheinen wir nicht greifen zu können. Ein beliebtes Thema bei Rilke: Die Zerbrechlichkeit, die unendliche Sanftheit des Schönen, wir erreichen nur eine Oberfläche, so schnell droht uns alles zu entrinnen.

Sehr viele Gedichte von Rilke beschäftigen sich mit diesem Thema. Hier ein paar Verse von ihm mit ähnlichen Sprachbildern:

"Meine Stille ist wie eines Steines, über den der Bach sein Murmeln zieht"

"Erste Rosen erwachen, und ihr Duften ist zag wie ein leisleises Lachen, mit schwalbenflachen Flügeln streift es den Tag."

"Und wohin Du auch langst, da ist alles noch Angst"

"Und doch ist einer, der dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält"

"Ich fürchte mir so vor der Menschen Wort, sie sprechen alles so deutlich aus ..."

Rilke versuchte sein Leben lang zu diesen "Engeln", wie er sie nannte zu kommen. Engel waren für ihn der Inbegriff des Unsterblichen, Zarten, Wunderbaren, des Begreifens des Naturkerns allen Seins. Im Schloss Duino in Italien fror er einen Winter lang freiwillig, um seine "Duineser Elegien" zu schreiben, sein Versuch, diese "Engel" zu finden.

Das Nachtgedicht ist eine weitere Variante dieses Ewigen Suchprozesses.

Ein "Nachtgedicht"? Es lebt von starken Gefühlen, die in den Momenten des Nachterlebens wach werden und dann wird darüber nachgedacht, wie wir mit diesen Nachtgefühlen vielleicht am Tag dann umgehen: Wir interpretieren sie und teilen sie ganz anderen, manchmal scheinbar unklug gewählten Menschen mit, die mit der Person, mit welcher man dieses Nachterlebnis hatte, keinen Bezug hat...

Insofern könnte man auch sagen, dass es darin um die (rationale) Verarbeitung von Gefühlserlebnissen geht. Generell wird die Nacht ja dem Unbewussten, vielleicht irrational Leidenschaftlichen und der Tag der Bewusstwerdung und der Rationalisierung von Impulsen zugeordnet. Zwischen beiden scheint im Gedicht eine gewisse Trennung und Diskrepanz zu bestehen oder eine Schwierigkeit beide Welten zu harmonisieren, ein Gleichgewicht, einen Austausch zwischen ihnen herzustellen.