Etymologie zu: ánthropos - steckt da altgr.: an- (ἀv) & trepein (τρέπω) drin?

6 Antworten

Der Begriff Anthropologie setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörten anthropos (=Mensch) und logos (=Wort, Äußerung, Vernuft) zusammen. Es könnte gut möglich sein, dass sich der Mensch "dreht" und "wendet" (wenn man trepo wörtlich übersetzt). Damit kann gemeint sein, dass nichts konstant bleibt und sich der Mensch, genauso wie die Welt, immer verändert. Heraklit von Ephesos hat den unaufhaltsamen Wandel mit seinem Ausspruch "panta rei" (=alles fließt) beschrieben.


Oberfrosch  24.01.2015, 14:16

Sprachwissenschaftlich haarsträubend. Über den Interpretationsversuch sage ich lieber nichts ...

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Griechisch anthr�?pos kommt nicht von trep�?, sondern eher von anēr „Mann“. Eventuell steckt als zweites Element irgendetwas aus der Umgebung von „Optik“ drin, z.B. ops „Aussehen“. Ein anthr�?pos ist dann also jemand, der wie ein Mann aussieht.

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik

Anthropologie ist aus ἄνθϱωπος [anthropos] = Mensch und λόγος [logos]= Lehre/Kunde/Wissenschaft abgeleitet und bedeutet Lehre/Kunde/Wissenschaft vom Wesen/von der Natur des Menschen.

So etwas kann nur mit Erfolgsaussicht betrieben werden, wenn es bei allen Veränderungen auch etwas Gleichbleibendes am Menschen gibt. Höchstens könnte gesagt werden, etwas Gleichbleibendes bestehe beim Menschen auch darin, Veränderungen unterworfen/ausgesetzt zu sein. Aber auch dann wird etwa benötigt, das eine Grundlage für dauerhafte Wesensmerkmale bietet, um mit einer Anthropologie den Menschen erfassen zu können und nicht nur ein Nebeneinander und Nacheinander von verschiedenen einzelnen Menschen.

Untersuchungen zur Wortherkunft (Etymologie) und (etymologische) Wörterbücher bieten Informationen zu Deutungs-und Erklärungsversuchen zur Ableitung des Wortes.

Die Etymologie von ἄνθϱωπος ist unklar. Es gibt verschiedene Ansätze zur Deutung/Erklärung. Ein gesichertes Ergebnis liegt aber nicht vor, nur eine Anzahl an Deutungsmöglichkeiten.

Nur ἀv- (an-) ist als ein erster Wortbestandteil wenig geeignet. Es wäre ein Alpha privativum, eine Verneinung (Negation). Das Alpha privativum ist ἀ- (a-), vor einem Vokal ἀv- (an-). Dies würde nicht zu der in Verbindung mit τϱέπειν (trepein) vorschwebenden Wortbedeutung führen.

τϱέπειν ist tatsächlich als zweiter Wortbestandteil überlegt worden. Das Verb bedeutet: drehen, wenden kehren, richten, lenken, hinwenden, umwenden, abwenden, abhalten, ändern, umstimmen. Das Medium und Passiv τϱέπεσϑαι bedeutet unter anderem: sich umwenden, sich ändern.

Antike Überlegungen haben mit τϱέπειν ἀνά [ana] oder ἄνω [ano] (hinauf, nach oben, aufwärts, empor, in die Höhe) verbunden, was als Bedeutung etwas wie aufgerichtet oder vor allem sich/das Gesicht/den Blick hinauf/nach oben/aufwärts/in die Höhe richtend ergibt (vgl. auch Ovid, Metamorphosen 1, 76 - 88). In religiösen Weltbildern kann dabei ein Bezug zu Gottheiten im Himmel auftreten.

Platon, Kratylos 399c enthält in Gespräch der Dialogfiguren Sokrates und Hermogenes eine Deutung (Erklärung als ἀναθϱῶν ἃ ὄπωπε), der Menschen prüfe und überlege, was er gesehen hat. Der Dialog stellt allerdings die etymologische Weltdeutung als fragwürdig hin und ist bei vielen Etymologien spielerisch.

Ein in Frage kommender erster Wortbestandteil ist ἀνήϱ [aner], Genitiv ἀνδϱός [andros], daraus ἀνδϱ-. Eine Schwierigkeit ist dabei, ein Delta (δ) zu haben, kein Theta (θ).

Im hinteren Teil kommt ὤψ [ops], Genitiv ὠπός [opos] = Auge, Gesicht, Antlitz stark in Frage. Zur dieser Wortfamilie (aus der das Fremdwort Optik abgeleitet ist) gehört auch das Verb �?�?ᾶν [oran] = sehen, 1. Person Singular Indikativ Prasens Aktiv �?ϱάω [horao], 1. Person Singular Indikativ Futur Aktiv ὄψομαι [opsomai].

Zusammen ergibt dies „mannsgesichtig“, „(mit) Mannsgesicht“, „ein Mannsgesicht habend“.

Es gibt noch eine Reihe anderer abweichender Vorschläge, so Bezüge zu ἀνθεϱεών [anthereon] = Bart, ἀνθέϱιξ [antherix] = Halm(spitze), Ähre(nspitze), ἄνθος [anthos] = Blume, Blüte, Höhepunkt, ἀνατϱέφειν [anatrephein] = ernähren, aufziehen.

Hjalmar Frisk, Griechisches etymologisches Wörterbuch. Band 1: A – Ko. Heidelberg : Winter, 1960 (Indogermanische Bibliothek : Reihe 2, Wörterbücher), S. 110 – 111

S. 111: „Trotz wiederholter Anstrengungen nicht aufgeklärt […]. 1. Aus * ἄνδϱ-ωπ-ος ‘mit Mannsgesichts begabt’ […]. Dabei bleibt θ für δ unerklärt; […]. 2. Aus ἄνδϱ-ὡπος ‘mit männlichem Aussehen’; das Hinterglied zu got. saihvan ‘sehen’[…]. 3. * ἀνθϱ(ο)- ωπος ‘mit bärtigem Gesicht’ […]; das Vorderglied zu ἀνθεϱεών, ἀνθέϱιξ, […]. 4. Verbalnomen zu ἀνατϱέπω ‘der Aufrechte’ […]. 5. Verbalnomen zu ἀνατϱέφω ‘der Zögling, der Genährte, der Körperliche’ […].“

Erwähnt werden dort noch weitere Deutungen wie ἀνθηϱός [antheros] = blühend; zu althochdeutsch nuntar; * ἄνθϱω + πός „die unten Lokalisierten“.

Émile Boisacq, Dictionnaire étymologique de la langue grecque étudiée dans ses rapports avec les autres langues indo-européennes. 4e édition. Augmentée d'un index par Helmut Rix. Heidelberg : Winter, 1950, S. 63 erwähnt:

Etymologie aus ἀνήϱ + ὤψ erklärt nicht das θ; ἀνατϱέπων; ἄνθϱωπος < * ἀνδϱ-hωπ-ο-ς ‘ayant apparence ou extérieur d'un homme’

Pierre Chantraine, Dictionnaire étymologique de la langue grecque : histoire des mots. Tome 1: A – K. Paris : Klincksieck, 1968, S. 90 – 91 hält die Etymologie für unbekannt. Er verweist unter anderem auf eine Untersuchung, die betont, die Etymologie müsse von der Funktion des Wortes ausgehen, das heißt, die Klasse der Menschen der Klasse der Gottheiten entgegenzustellen, und nennt Überlegungen darunter zum zweiten Teil zu Gesicht/Blick (ὤψ, πϱόσωπον, …).


Albrecht  25.01.2015, 03:58

Franz Passow, Handwörterbuch der griechischen Sprache. Band 1: Griechisch-deutsches Wörterbuch. Abteilung 1: A – D. Neu bearbeitet und zeitgemäß umgestaltet von Val.[entin] Chr.[istian] und Fr.[iedrich] Rost. Darmstadt : Wissenschaft Buchgesellschaft, 2008. Unveränderter reprografischer Nachdruck der 5. Auflage, Leipzig, 1841., S. 237:

„(Einige leiten das Wort von dem aufwärts gerichteten Blick des Menschen ab, dem ἄνω ἀθϱειν, Plato aber, Crayl. P. 399 c. von ἀναθϱεῖ ἃ ὄπωπε […]. Das Wahre ist wohl, dass es mit zum Stamm ἀνά, ἄνω, ἄνθος, ἀνθέω gehört, aber ohne alle Zsmnstg, die bei einem so alten u. vielgebrauchtem Wort durchaus undenkbar ist.)“

W.[ilhelm] Pape, Handwörterbuch der griechischen Sprache : in vier Bänden. Band 1: A – K. 2., überall berichtigte und vermehrte Ausgabe. 5. Abdruck. Braunschweig : Vieweg, 1871, S. 196:

„(Ableitung der Alten schwankt zwischen ἄνω ἀθϱεῖν vom aufwärts gerichteten Blick des Menschen, u. Plat. ἀναθϱεῖ ἃ ὄπωπε Crat. 399, c; richtig nicht als Zusammensetzung, sondern als Ableitung von dem Stamme ANΘ, ἄνθος, ἀνθέω zu betrachten […])“

Hermann Menge, Langenscheidts Großwörterbuch altgriechisch-deutsch : unter Berücksichtigung der Etymologie. 28. Auflage. Berlin ; München ; Leipzig ; Wien ; Zürich ; New York : Langenscheidt, 1994, S. 67: „Etwa aus * ἀνδϱ-ωπ-ος Mannsgesicht, Mannserscheinung? od. aus * ἄνδϱ-hωπ-ο-ς (hωπ-ο-ς zu got. saíhwan sehen, lt. signum √ sew sehen, zeigen. Vgl. Ἕνέπω, also ebenfalls = Mannsgesicht?).

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Albrecht  25.01.2015, 03:58

http://t1p.de/8vqh:

„Scholars used to consider it to be a compound from ἀνήϱ (anḗr, “man”) and ὤψ (ṓps, “face, appearance, look”) "he who looks like a man". Beekes argues that since no convincing Indo-European etymology has been found, the word is probably of Pre-Greek origin; he connects the word with the word δϱώψ (drṓps, “man”). Romain Garnier proposed another etymology in his 2007 article « Nouvelles réflexions étymologiques autour du grec ἄνθϱωπος », deriving it from Proto-Indo-European *n̥dʰreh₃kʷó- (“that which is below”), hence "earthly, human".”

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Die genaue Etymologie von ἄνθ�?ωπος ist nicht geklärt. Aus der Sprachwissenschaft/Indogermanistik/Gräzistik gibt es dazu viele unterschiedliche Erklärungsversuche. Sicher steckt drin ἀνδ�?- (der Stamm von ἀνή�?, gen. ἀνδ�?ός [anér, andrós = Mann), vielleicht noch ὤψ, gen. ὠπός (óps, gen. opós) = Auge, Gesicht. Also ἀνδ�?-ωπος ~ manns-gesichtig.

Quelle: P. Chantraine, Dictionnaire étymologique de la langue grecque, Paris 1977, Sp. 90 f.


Apollonoli  24.01.2015, 12:38

bzw. nach Mann/Mensch aussehend.

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Das spricht allerdings gegen die bisherigen Forschungen auf diesem Gebiet. Und meiner Meinung nach versuchst du gerade bloß, dein persönliches Menschenbild auf den griechischen Begriff für "Mensch" zu projizieren.

Das ist aber wenig sinnvoll, weil die alten Griechen ein anderes Menschenbild hatten als du.