Ein System strebt immer nach dem energetisch günstigsten Zustand, warum?

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Der Satz vom Energieminimum ist kein geheimnisvolles Naturgesetz, sondern folgt direkt aus dem Zusammenwirken von Entropie und Energie.
Zunächst einmal muss man sagen, dass der Satz ohne weitere Erläuterungen natürlich unsinnig ist. Wenn jedes System immer den energetisch günstigsten Zustand anstreben würde, dann müsste wegen des Energieerhaltungssatz der ganze Rest folglich ein Energiemaximum anstreben, was natürlich Quatsch ist.
Was aber ist dann gemeint?
Wenn man von einem System spricht, welches ein Energieminimum annimt, dann rechnet man stillschweigend (vielleicht aus Angst?) die Entropieproduktion innerhalb des Systems aus dem System raus, genauer gesagt rechnet man die zur Entropieproduktion nötige Energie aus dem System raus und beachtet sie nicht weiter. Ein Fadenpendel pendelt solange weiter, bis es "unten" zum Stillstand kommt. Man sagt, hier hat es ein Energieminimum. Das Problem daran ist aber, dass durch die Reibung ständig Entropie erzeugt wird, und jeder Entropiestrom ist zwangsläufig mit einem Energiestrom gekoppelt. Nimmt man diese Energie mit ins Boot, dann hat das Pendel am Ende natürlich genauso viel Energie wie am Anfang. Nun nimmt man die zur Entropieproduktion nötige Energie aber gerne beiseite, übrig bleibt also am Ende weniger Energie, wen wundert's, wenn man ständig etwas wegrechnet?
Warum gibt es aber überhaupt ein Ende? Bei jedem freien Vorgang wird Entropie produziert, Entropie kann aber nie mehr vernichtet werden. Wenn das Pendel aber nun unten stillsteht, dann wird natürlich keine neue Entropie mehr produziert, da sich nichts mehr bewegt. Jede weitere Bewegung würde aber Energie benötigen, welche nicht mehr zur Verfügung steht.
Man sieht, die Kombination aus Entropie und Energie lässt den Satz vom Energieminimum als eine Trivialität erscheinen, und gewiss nicht als etwas mystisches.
Sicher ist die Energieminimumsbetrachtung vor allem rechnerisch sehr bequem, ihr aber eine tiefergehende Bedeutung als der oben skizzierten zuzuschreiben, ist sicherlich unnötig.


Firstheavy  06.10.2011, 13:12

Sehr schön geschrieben, DH!

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Iamiam  06.10.2011, 12:52

richtig, und der Satz von der Zunahme der Entropie bzw der Einbeziehing der Wärmeenergie als "minderwertigste Energieform" hat in gewisser Weise die Formulierung vom kleinsten Zwang abgelöst, auch wenn es immer noch die anschaulichere ist! Entropie ist eben in berechenbare Formeln gesteckt worden, und damit bleibt 1,0kJ 1,0kJ!

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Es ist die grundlegende Erkenntnis aus Beobachtungen, zuerst formuliert von Le Chatelier (PRINZIP von Le Chatelier)
Man könnte auch andersrum sagen: man hat alle Kräfte so formuliert, dass sie in dieses Prinzip passen. - so, wie man in Mathematik alle Zusammenhänge dahingehend formuliert hat, dass jede Zahl gleichen Abstand zur nächsten hat, also die Eins immer gleich groß ist.

Es ist aber die Form, in der wir im Heute gebildeten Menschen es am einfachsten (und kompliziert genug!) überhaupt verstehen können.
(es gibt in der Physik übrigens sehr wohl Axiome, sie müssen sich -wie alles- an der Praxis messen lassen).
Dass wir mit den Konsequenzen immer wieder in die Bredouille kommen, liegt an der tatsächlichen Realität: Licht breitet sich geradlinig aus: Schon vor Einstein wusste man, dass ein Prisma Licht bricht und hat die entsprechenden (Korrektur-) Theorien dazu entwickelt. Einstein hat das dann noch um den Einfluss der Garvitation tragenden Massen ergänzt bzw relativiert.
Solange wir noch in der Lage sind, für jeden neuen Befund eine (Korrektur-)theorie zu formulieren, bleibt das theoretische Gebäude stabil, auch wenns noch so kompliziert wird. (weiß nicht mehr, welcher Teilchenphysiker mal gesagt hat: also, wenn ICH Gott gewesen wäre, ich hätt's einfacher aufgebaut...)


Iamiam  06.10.2011, 11:51

Vielleicht noch zur Ergänzung: Die Natur IST, wie sie ist, wir aber wollen/müssen eine unserem Denken gemäße Form finden, sie zu erfassen, vielleicht sogar, sie zu verstehen. Das gibt zwar Spekulationen Raum, sie sei "eigentlich" ganz anders, nur, was hilt uns das? mit Unbestimmtem kann man nicht weitermachen. Wir müssen uns mit der Begrenztheit unseres Verstehens abfinden. Dogmen aber gehören ins Mittelalter, wie die Kreisbahn als die einzig mögliche, weil göttlich vollkommene Bewegung der Planeten. Naturwissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie für Korrekturen offen ist, auch wenns schwerfällt und auch, wenn es um Prinzipien/Axiome geht!

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Zunächst muss man der Vollständigkeit halber den 'energetisch günstigeren Zustand' ein bisschen präzisieren. Genau genommen ist nicht das Energieminimum, sondern das Minimum der freien Gibbsschen Enthalpie G=H-T*S.

Dann stebt die Natur nicht 'immer' diesen Zustand an: Eine Betonwand steht auch morgen noch und der Jupiter kreist auch auf absehbare Zeit um die Sonne. Es gibt also Systeme, die ihren Energieinhalt statisch beibehalten und nicht irgendwo hin streben.

Und jetzt schau Dir ein Beispiel für ein System an, das einem solchen Zustand entgegenstrebt: Zwei Gefäße unterschiedlichen Drucks werden mit einer Leitung verbunden. Es gibt kein Naturgesetz, das einem Gasmolekül untersagt, vom Niederdruck zum Hochdruck zu strömen. Das System ist aber dynamisch, alle Gasteilchen sind in ständiger Bewegung, und es bewegen sich sowohl Teilchen von einem Gefäß zum anderen als auch umgekehrt. Es ist nur wahrscheinlicher, dass sich ein Gasteilchen aus dem 'volleren' Behälter zu dem 'weniger vollen' Behälter fließt als umgekehrt. Das bedeutet, der vollere Behälter verliert aller Wahrscheinlichkeit nach Teilchen und der leerere Behälter gewinnt Teilchen. Makroskopisch entspricht das einem Druckausgleich. Und das bedeutet, das System strebt einem ausgezeichneten Zustand entgegen.

Die Physiker unter Euch mögen mir Vereinfachungen bitte verzeihen, aber ich finde so lässt es sich recht anschaulich erklären.


lks72  07.10.2011, 15:57

Schon verziehen :-)
Defaetist beschreibt hier eine (vereinfachte, aber anschauliche) mikroskopische Betrachtungsweise der Zunahme der Entropie. Man könnte auch sagen, jedes System strebt einem Maximum an Entropie zu.
Was fehlt, ist die Begründung, warum die Entropie denn nicht noch weiter zunehmen würde als in dem beschriebenen "Endzustand". Entscheidend ist daher das Zusammenwirkung von Energie und Entropie, denn eine weitere Zunahme der Entropie über den Endzustand hinaus würde mehr Energie erfordern, als dem System innewohnt, also wäre Energie von außen nötig.

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Defaetist  08.10.2011, 13:51
@lks72

Was fehlt, ist die Begründung, warum die Entropie denn nicht noch weiter zunehmen würde als in dem beschriebenen "Endzustand".

Das ist eine Folge dessen, dass es einen ausgezeichneten Zustand gibt, gegen den das System strebt. Dieser nennt sich dann Gleichgewicht.

Zum Einfluss der Energie: Stelle den einen der beiden Behälter tiefer, dann wird es wahrscheinlicher, dass ein Teilchen in den tieferen Behälter als in den höheren fällt. Also werden sich im Gleichgewicht im unteren Behälter mehr Teilchen finden als im oberen, es stellt sich ein Druckunterschied ein. Die einzelnen Teilchen verhalten sich nach wie vor nach ihrer Statistik.

Ich habe die Frage nach dem "Warum", warum strebt das System gegen den günstigsten Zustand, in den Fokus gestellt. Das lässt sich mit der mikroskopischen Betrachtung und dem Ansatz des dynamischen Gleichgewichts erklären.

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Niemand kennt den wahren Grund, warum z.B. eine Elektronenkonfiguration energetisch günstiger ist als eine andere. Die letzte Ursache der Kräfte, die die Natur bewegen, ist unbekannt. Ich nehme aber stark an, dass kein Gott dahinter steckt, sondern eher eine Banalität, die bisher übersehen wurde.


Iamiam  06.10.2011, 12:42

Gott ist -glaube ich- ein Problem der älteren Generation, auch wenns im Kreationismus fröhliche Urständ feiert. Die Frage hat vermutlich nicht darauf abgehoben. Aber der erste Teil: genau richtig, DH!

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Eine sehr schöne Frage, aber sie ist ähnlich der nach dem Sinn des Lebens. Physik beantwortet ja generell nur das wie und nicht das warum.