Deutsch, Frage zu Gedicht?

3 Antworten

Zu Gryphius' Zeiten gab es noch kein l'art-pour-art. Ein Rilke-Gedicht kann man aus sich selbst interpretieren, dieses wohl eher nicht. Die Interpretation eines Gedichtes aus sich selbst heraus auf der einen Seite und die Einbeziehung gesellschaftspolitischer Bezüge auf der anderen ist ein ewiger Streit, den ich übrigens bei meinem Literatur-Studium in den 70er Jahren hautnah erlebt habe.

In einer Vorlesung wurde das eine gefordert, in der nächsten bei einem anderen Professor wurde das völlig abgelehnt.

Ich hab mir mal das Gryphius-Gedicht, von dem Du sprichst, aus dem Regal gezogen.

Es ist ja ein typisches Barock-Gedicht, in dem die sechsfüßigen Zeilen mittig geteilt sind. Klingt etwas leierig, weswegen sich übrigens Shakespeare lieber für den fünffüßigen Jambus entschieden hat.

Und dann werden immer die beiden Seiten des Schicksals nebeneinander gesetzt. Steigen/fallen, Grünes Laub/verdorrte Äste, reich/arm. An dieser damals extremen Ungleichheit haben die Barockdichter generell gelitten.

Ich frage mich, was Gryphius gedichtet hätte, wenn er heute lebte, wo eine Hand voll Multimilliardäre die Hälfte des Weltvermögens besitzen!


Grundsätzlich kann jedes Gedicht schon für sich selbst stehen, aber die Interpretation ist im historischen Kontext einfacher, weswegen man das auch in der Schule lernt.  Also grundsätzlich versuchen, Dinge über den Autor, die Zeit oder die Lebensumstände einzubauen. 

Ein Gedicht kann generell für sich alleine stehen, aber das eine oder andere kann ohne historischen Kontext falsch verstanden/interpretiert werden.

Selbst wenn der Autor es für sich alleine stehend gedichtet hat, so kann es sein, dass sein denken doch sehr in der jeweiligen Epoche verhaftet ist und unserem stark widerspricht.